Nachrichten vom Höllenhund


Mühldorfer
25. September 2009, 18:53
Filed under: - Belletristik

Stefan Mühldorfer:
Tagsüber dieses strahlende Blau

Robert Ames ist 37, hat Frau und Kind und lebt in der „Upper Paradise Road“ im Süden Kanadas. Er schildert bis ins Kleinste seinen letzten Arbeitstag als Versicherungsmakler. Ständig ist er damit beschäftigt, sich und sein Verhalten zu beobachten, Handlungsmöglichkeiten abzuwägen, sich psychologisch abzusichern. Damit, meint er, könne nichts schiefgehen. Tut es aber. Auf der Fahrt zu einer Kundin sieht er eine Gruppe Kinder und beschließt, um sich zu beweisen, dass er noch nicht zu alt ist, mit ihnen ein bisschen Fußball zu spielen. Ungeübt, verletzt er einen der Jungen, der, wie sich herausstellt, der Sohn der Kunden ist.

»Trotzdem noch viel Spaß«, sage ich, aber natürlich fühlt sich niemand bemüßigt, darauf etwas zu antworten. Der Weg zurück kommt mir plötzlich doppelt so lang vor – kein Wunder, ich werde auch selten von einem so beeindruckenden Begleittross eskortiert. Ich bugsiere Mark ins Auto und schließe die Tür. Dann gehe ich um den Wagen herum, schlüpfe in meine Socken und die Schuhe und steige ein.
»Würdest du dich bitte anschnallen.«

»Es sind nur zwei Minuten.«
»Trotzdem.«
Langsam rollen wir vom Gehsteig. Marks Freunde treten auf die Straße. Vermutlich merken sie sich meine Nummer – ich könnte es ihnen ehrlich gestanden nicht verübeln. Im Wegfahren sehe ich, wie einer von ihnen meine Mappe schwenkt. Geschenkt – bei Glandis stapeln sich mehr als genug davon.
»Rechts und dann gleich wieder rechts.«
Mark spricht mit mir, ohne mich zur Kenntnis zu nehmen.
Für ihn – so viel steht fest – trage ich die Schuld an einem unerfreulichen Start ins Wochenende.
»Da vorne ist es. Sie können mich hier rauslassen.« Ich ignoriere ihn und biege in die Evelyn Street. »Ich hab gesagt, Sie können mich hier rauslassen!« »Und ich hab gesagt, dass ich dich nach Hause bringe.« Nummer sechs ist das dritte Haus auf der linken Seite, mit einem Vorgarten ohne Zaun und einem großen roten Briefkasten an der Gehsteigkante. In der Einfahrt steht ein schwarzer Chrysler PT, der aussieht wie ein Leichenwagen.
In den neunzig Sekunden, die die Fahrt gedauert hat, bin ich damit beschäftigt gewesen, darüber nachzudenken, wie ich den Rutherfords klarmachen soll, dass ich ihrem Sohn zwei Straßen weiter eine blutige Nase verpasst habe, ansonsten aber für alle ihre Fragen der richtige Ansprechpartner bin. Vielleicht sollte ich Mark einfach gute Besserung wünschen und zwanzig Dollar in die Hand drücken (ohne die anderen hätte er damit bestimmt kein Problem). An der nächsten Ecke könnte ich anhalten, die Rutherfords anrufen und ihnen mitteilen, dass ein überraschender Todesfall in der Familie mich zwinge, für ein paar Tage zu verreisen, und dass mein Kollege Walter Buck sich nächste Woche umgehend wegen eines neuen Termins mit ihnen in Verbindung setzen werde. Walter wäre nicht sonderlich begeistert, würde aber mitspielen, wenn ich ihm das hier erklärt hätte. Und ich? Hätte den ganzen Ärger vom Hals und müsste mich nicht zum Idioten machen, denn wie ein Idiot komme ich mir vor, schließlich bin ich erwachsen und keine dreizehn mehr (wie höchstwahrscheinlich der gute Mark).

Was genau der Grund ist, warum ich meine hübsche Variante getrost wieder vergessen kann. Wenn man sich eine Suppe eingebrockt hat, ist es dem Respekt vor sich selbst nicht besonders zuträglich, sie andere auslöffeln zu lassen. Als ich mir das klargemacht habe, breitet sich eine große innere Ruhe in mir aus, die ich nicht ganz zweifelsfrei von einer großen inneren Leere unterscheiden kann. Man muss die Dinge auf sich zukommen lassen, ist das Einzige, was mir durch den Kopf geht. Aber so ganz wohl fühle ich mich nicht bei dem Gedanken.
Alles ist unter Kontrolle – und alles kommt anders. Ames’ Reflexionen greifen immer zu kurz, sein psychologisches Wissen, mit dem er meint, seinem Leben ein Gerüst geben zu können, ist eher trivial. Es besteht aus fertigen Bauteilen, durch deren Lücken stets der Zufall schlüpft.

Mühldorfer erzählt aus Ames’ Perspektive. Als Leser ertappt man sich oft als jemand, der schlauer ist als dieser. Es bleibt aber interessant, weil man wissen will, wie der nächste Schritt geplant ist und wie sehr die Dinge von diesem Plan abweichen. Ames merkt natürlich nichts, er wird aus seinen Reinfällen nicht klüger; seine Lebensweisheiten lassen ihn nicht los. Lothar Müller weist in der Süddeutschen Zeitung darauf hin, dass Mühldorfer – sehr gekonnt – amerikanische Erzählstimmen covert.

2009      –    240 Seiten

2-3

http://www.perlentaucher.de/buch/31776.html


Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar



Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: