John Cheever: Der Schwimmer
(Stories)
Die Menschen leben in den Vororten, die so heimelig aussehen, dass es dem Autor unheimlich erscheint. In den Häusern und Gärten und Accessoires von Shady Hill lauern die Abgründe auf die menschlichen Gespenster. „Mein Gabardineanzug sollte für Sauberkeit und Redlichkeit stehen, aber ich war eine erbärmliche Kreatur, deren Schritte jemand für das Rauschen des Windes gehalten hatte.“ Die Verwandten und die Nachbarn sind genau so, wie man selbst: „In den ersten Wochen hatten ihre Nachbarn sich nett um sie gekümmert, aber sie wusste selbst, dass eine Frau ohne Ehemann bei einer Abendgesellschaft die Stimmung verderben kann.“ Oft halten sich Brüder gegenseitig für Arschlöcher. Man hat Frau und Kinder und ein Kindermädchen und einen Beruf und das kann nicht gut gehen. So fährt man im Sommer weg an den Strand von Martha’s Vineyard oder nach Italien, aber obwohl dort die Natur für einen Moment das Glück verspricht, enden die Geschichten immer mit der Trennung. „Meine Güte, du gehst mit heute früh auf die Nerven“, sagte mein Frau. „Du gehst mir schon die letzten sechs Jahre auf die Nerven“, entgegnete ich. […] Ich fuhr mit einem Taxi zum Flughafen und flog am Nachmittag zurück in die Stadt. Wir waren zwölf Jahre verheiratet und vor unserer Ehe zwei Jahre ein Paar gewesen, alles in allem also vierzehn Jahre zusammen, dennoch sah ich sie nie wieder.“
Cheever deutet die Abgründe immer an, er kommentiert . Nicht der Gedanke an das unausweichliche Scheitern überrascht ihn, sondern die Möglichkeit, eine Fassade vorzutäuschen.
Manche Leute führen ihre Leidenschaften lieber vor, als sie zu genießen. Sie scheinen sich nicht zu verlieben oder Freundschaften zu schließen, sondern nur die Rollen in einem aufwühlenden Schauspiel, dessen Inszenierung sie sich schon seit ihrer Geburt widmen, mit Männern, Frauen, Kindern und Hunden zu besetzen. Das fällt einem besonders bei Leuten auf, bei denen ein schmales Gefühlsbudget die Besetzungsmöglichkeiten einschränkt. Die schwachen schauspielerischen Leistungen lenken unsere Aufmerksamkeit auf das Stück. Die jugendliche Naive ist viel zu alt. Die weibliche Hauptdarstellerin ebenfalls. Der Hund hat die falsche Rasse, die Möbel passen nicht zueinander, die Kostüme sind abgetragen, und wenn Kaffee eingegossen wird, sieht es aus, als wäre die Kanne leer. Doch das Drama nimmt mit ebenso großem Schrecken und Jammer seinen Lauf wie bei eindrucksvolleren Inszenierungen.
„Seine Charaktere, die so charakteristisch männlich sind und so charakteristisch verwirrt und verblüfft angesichts der engen Regeln des gehobenen Mittelstands.“ schreibt T.C.Boyle in seinem Nachwort 2006.
“Die Crutchmans Waren so glücklich, so massvoll in all ihren Gewohnheiten und so zufrieden mit allem, was ihnen widerfuhr, dass man in ihrem rosigen Apfel unwillkürlich einen Wurm vermutete und den Verdacht hegte, die erstaunlich rosige Farbe des Apfels solle nur verbergen, wie weit die Fäulnis schon fortgeschritten war. Nehmen wir zum Beispiel ihr Haus in der Hill Street mit all den großen Glasfenstern. Wer so viel Licht in seine Zimmer strömen ließ, litt doch bestimmt an einem Schuldkomplex. Und überall Teppichboden, als würde ein Zentimeter nackter Fußhoden (den gab es nirgends) die dunkle Erinnerung an Einsamkeit und unglückliche Liebe wecken. Und bei der Gartenarbeit zeigten sie eine gewisse nekrophile Leidenschaft. Warum gaben sie sich solche Mühe, Löcher zu graben, Samen zu setzen und zu beobachten, wie die Pflanzen aus dem Boden sprossen? Warum dieses krankhafte Interesse an der Erde? Helen Crutchman war eine hübsche Frau, auffallend blass. wie man es oft bei Nymphomaninnen antrifft. Larry war gross und kräftig und arbeitete im Garten stets ohne Hemd, was auf einen Hang zu infantilem Exhibitionismus schließen ließ.” (Der Wurm im Apfel)
Die Illusion des Glücklichseinkönnens liegt in der Natur.
“Der Sand ist von von dunkelgoldener Farbe, und das Meer leuchtet wie ein Regenbogen – smaragd- und malachitgrün, saphir- und indigoblau. Seton ist gerührt, weil das Bild jegliche Gewöhnlichkeit und Feindseligkeit vermissen lässt, und seine Brust schwillt vor Glück. Das ist Schlichtheit, denkt er, das ist Schönheit, das ist die unverfälschte Anmut der menschlichen Natur! Er schwimmt in dem frischen, tragenden Wasser, und als er genug davon hat, streckt er sich in der Sonne aus. Doch jetzt wirkt er unruhig, als bekümmerte es ihn wieder, dass er kein Dichter ist. Und wenn er kein Dichter ist, was ist er dann?
Er ist Fernsehautor.” (Das goldene Zeitalter)
Die Geschichten selbst stammen aus den Jahren 1946 bis 1978, das Buch des Pullitzer-Preisträgers ist erst 2009 auf Deutsch erschienen.
Mir gefällt das, obwohl der Stil altmodisch, aber nicht unironisch ist, ganz gut. Heute und bei uns sind die Verhältnisse natürlich ganz andere.
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