Nachrichten vom Höllenhund


Henning
13. Oktober 2009, 17:12
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Peter Henning: Die Ängstlichen

Man sollte keine Bücher kaufen, bei denen so was auf der KLAPPE steht: “Der Ton dieser Prosa ist bewusst, reif und kontrolliert, mit anderen Worten, es ist der Ton genuiner literarischer Kunst.“ (Frankfurter Rundschau)

Nachdem ich das halbe Buch gelesen habe, würde ich sagen, dass die Bewertung stimmt, wenn man überall das Gegenteil einsetzt.

Peter Henning will einen Familienroman schreiben ohne Familie. Familien nämlich gibt es nur noch dem Namen nach und gerade weil sie miteinander verwandt sind, wollen die Familienmitglieder nichts miteinander zu tun haben. Sie kommen auch kaum in Kontakt zueinander, allenfalls telefonieren sie mal widerwillig. So ist das wohl heutzutage oft, aber so kommt kein Roman zustande. In den einzelnen Kapiteln wursteln die Personen vor sich hin, leiden an sich selbst, drohen verloren zu gehen (oder tun es), beschäftigen sich mit ihren Krankheiten oder Konsumartikeln.

Damit der Zusammenhang auch im Roman nicht völlig verloren geht, macht Henning zweierlei: Einmal lässt er es stark symbolisch gewittern über Südhessen, wodurch alles weggeschwemmt wird (Die Kapitel heißen: Elektrische Potentiale – Spannungsgefälle – Entladungen – Beruhigung und Aufklaren); zum anderen orientiert er sich an AKTENZEICHEN XY:

Während Rainer, betrunken und voller diffuser Gier, in den Armen einer Frau lag, die er gerade mal ein paar Stunden kannte, Ulrike mit vom Weinen geröteten und leicht geschwollenen Augen vor der Frisierkommode in ihrem Schlafzimmer saß und nervös an dem in ihrer linken Hand zu einer widerspenstigen Kugel geformten Tissue nestelte und Rainer erbittert Rache schwor, betrat Helmut die „Spelunke“ in Altkesselstadt.

Zur gleichen Zeit machte in Dörnigheim Ben dem Kellner des „Da Angelo“ ein Zeichen, um die Rechnung zu erhalten, nachdem er und Iris bei Kerzenlicht in einer milden Champagnersauce servierte Seezungenfilets verspeist hatten, währenddessen Johanna im Wohnzimmer in der Ankergasse saß und nachdenklich, die Fernbedienung in der Hand, auf die verstaubte Mattscheibe des ausgeschalteten Fernsehers starrte.

Ich hab beim Lesen leider immer wieder vergessen, wer jetzt der Rainer ist und wer der Helmut und wer der Konrad.

Zum Stil. Zunächst die Dialoge:

Zu allem entschlossen, marschierte Ulrike in die Diele, nahm den Telefonhörer von der Feststation und wählte die Nummer ihrer besten Freundin Britta.

»Ich hab in Rainers Hosentasche ein Kondom gefunden!«, platzte es aus Ulrike heraus, nachdem sie die Stimme ihrer Freundin vernommen hatte. »Das Schwein betrügt mich!«

»Bist du sicher?«, kam es von der anderen Seite.

»Absolut«, antwortete Ulrike entschieden und malte sich aus, wie sie Rainer zur Rede stellen und ihm kurz entschlossen den Teppich unter den Füßen wegziehen würde, kalt und ohne die Bereitschaft, ihm seinen Fehltritt zu verzeihen. Und sie würde ihn lange schmoren lassen, o ja, das würde sie!

»Aber so ein Kondom alleine, was besagt das schon? «, gab die andere zu bedenken.

»Ach komm! «, beharrte Ulrike „Meinst du vielleicht, jemand hat es ihm zugesteckt? Oder es hat sich ohne sein Zutun in seine Tasche verirrt? «

»Nein, natürlich nicht«, gab die Freundin kleinlaut nach. »Und was willst du jetzt machen? «

»Na, was wohl? «, giftete Ulrike und spürte, wie ihre Gesichtshaut zu brennen und zu prickeln begann. »Ihm das Fell über die Ohren ziehen, natürlich! Der soll nur nach Hause kommen

So übt man das im Schreibkurs oder in der 5. Klasse – Wortschatzübungen für die Einleitung der wörtlichen REDE. Es ist nicht durchgehend so krass, aber wenn ich das lese, suche ich stets nach ähnlichen Stellen. Ist das der „Ton genuin literarischer Kunst“? Oder ist das strebsam bemüht?

Da die Personen letztlich keine Persönlichkeit haben, muss Henning ihnen mit Objekt-Attributen vermeintlichen Charakter verleihen. Es sind die kaufbaren Dinge, die den Roman beherrschen. Auch hier könnte man sagen, dass damit der Stand der Wirklichkeit beschrieben ist, aber die Art der Beschreibung nervt noch mehr als die Warenwelt selbst.

Helmut, ihr ältester und plötzlich in eine Art katatonischen Bewegungsdrang verfallener Sohn, war, nachdem er das Telefonat mit seinem Sohn Benjamin beendet und sich im Schlafzimmer hastig in die entsprechende Bekleidung gehüllt hatte – in weiße Fred-Perry-Shorts, ultraleichte Dunlop-Segeltuchtennisschuhe und ein zitronengelbes, mit der in tiefschwarzen Lettern gehaltenen Aufschrift »Gott liebt dich« bedrucktes T-Shirt der Marke Fruit Of The Loom, Größe XL -, hinunter in den Keller gegangen, wo ein nagelneuer Heimtrainer der Marke Kettler, Modell »Racer GT« stand.

Helmut, der den Heimtrainer für die nicht unerhebliche Summe von 664,05 Euro zuzüglich der Lieferkosten erstanden hatte, erklomm den schwarzglänzenden Ledersattel des eingeschalteten Geräts, postierte seine Füße auf den Tretkurbeln und stieg in der Hoffnung, seinem Unglück auf diese Weise eine Zeitlang zu entkommen, kräftig in die Pedale. Dabei hatte der bereits nach wenigen Minuten mit hochrotem Kopf strampelnde Atheist Sport in geschlossenen Räumen stets verachtet. In dem gelben, schon nach wenigen Minuten an Brust, Schulterblättern und Bauch durchgeschwitzten Shirt sah der unermüdlich strampelnde Helmut, an dessen linkem Ohr der Clip des Pulsmessers wackelte, wie ein verrückt gewordener Postbote aus, der erfolglos eine Botschaft des Herrn zuzustellen versuchte. Ein beflissener Gottesdiener hatte ihm das in Plastikfolie eingeschweißte T-Shirt, zusammen mit einer Einladung der katholischen Gemeinde zu einem Seniorennachmittag mit Kaffee und Kuchen, in Hanaus verregneter Fußgängerzone feierlich aufgenötigt. Wie ein klammes Einmannzelt  umfloss es nun Helmuts schweißbedeckten, über den Multipositionslenker gebeugten Körper.

Auf den letzten Metern und mit zwischen dem Pulsfrequenzmesser, der Energieverbrauchs- und der Trittfrequenzanzeige hin und her springendem Blick dachte er plötzlich keuchend an den Aufdruck auf seiner Brust. Er dachte: Wieso, um Himmels willen, straft der Kerl mich mit so einer Sache? Dabei hielt er in seiner Strampelbewegung inne, ließ sich erschöpft über den Lenker sinken und spürte, wie sinnlos die ganze Schinderei war. Nein, er war seiner Angst nicht einen einzigen Zentimeter weit entkommen. Stattdessen stand wie auf einer schiefergrünen Schultafel in riesigen, bedrohlich kantigen Lettern das Wort »Tod« vor seinem inneren Auge: Tod, Tod, Tod!

»Oh, mein Gott!«, stöhnte Helmut, riss sich das Shirt vom Leib und schleuderte es auf den Boden. Und während im selben Moment Johanna mit bangendem Kopf hinüber in die Küche schlich und den Knopf des am nördlichen Ende der Arbeitsplatte stehenden Wasserkochers drückte, um sich eine Tasse Maxwell-Nescafé zuzubereiten – bis in Ihrer Rommée-Runde im Café Schien blieben ihr schließlich noch gut siebzig Minuten -, tippte Ben die Durchwahlnummer der 36-jährigen Bankangestellten Iris Münch, die eben aus ihrer verspäteten und viel zu kurzen Mittagspause an ihren Platz im rundum verglasten Schalterraum 2 der Dresdner Bank, Hanau, zurückkehrte, in den Hörer seines schnurlosen, anthrazitfarbenen Siemens-Telefons ein, um sich nicht ohne Hintergedanken für den Abend mit ihr zu verabreden.

Ich hab mir einiges von dem Buch erwartet, mich bis Seite 260 durchgequält und es dann zur Seite gestellt. Es ist noch im Regal. Aber viel Platz hab ich dort nicht mehr.

Wer einen Roman darüber möchte, dass Familie nicht mehr funktioniert, könnte bei Harriet Köhler  lesen, wie sich alle dem Familientreffen am Ostersonntag entgegenquälen. Auch bei den ÄNGSTLICHEN will die alte Johanna alle noch einmal bei sich versammeln. Ob es dazu kommt, will ich gar nicht mehr wissen.

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5


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