Nachrichten vom Höllenhund


Kennedy
8. November 2009, 21:24
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A. L. Kennedy: Was wird
(Erzählungen)

Es sind die Gefühle unserer Zeit, schreibt der Wagenbach Verlag. Nur kleine Episoden sind es, die Alison Louise Kennedy braucht, um diesen Gefühlen nahezukommen, sie nicht zu beschreiben, sondern erkennbar werden zu lassen. Man will so nicht sein wie diese Protagonisten, denkt aber, dass es sie gibt, in England, den USA, den großen modernen Städten. Stets sind sie bemüht, Beziehungen herzustellen, sich selbst anders erscheinen zu lassen, sich aufeinander einzulassen. Die Personen sind zu klug, zu erfahren, zu skeptisch, sie trauen den anderen nicht, weil sie sich selbst kaum trauen.

Was man sagt, was man denkt, wird im selben Moment in Frage gestellt und trägt damit nicht mehr. Tausendfüßler, die über ihre Gedanken nachdenken und dabei scheitern.

Dieses Essen findet er lachhaft anrührend, vielleicht erzürnt es ihn sogar. Es ist wie eine Reihe von Geschenken angerichtet, aus­gesuchte Delikatessen, in lackierte Kistchen gebettet, als würde je­mand hinter dem Vorhang sie mögen, an ihrem Wohl interessiert sein.
Die üblichen Gäste hier verlangen dieses Maß an vorgetäusch­ter Zuneigung sicher als etwas ganz Selbstverständliches, denkt er, und das ist empörend, aber irgendwie ist diese eigenartige Lie­besgabe auch entwaffnend, berauschend. »Weißt du …« Tatsäch­lich glaubt er, dass er deswegen bald anfangen wird zu weinen. »Ich bin zweihunderttünfzigtausend Dollar wert. Habe ich her­ausgefunden.« Tom hatte nicht vorgehabt, das zu sagen.
»Was?« In den letzten sechs Monaten hat Elaine Schecks mit einer nicht identifizierbaren Version ihrer eigenen Unterschrift versehen, damit Nachforschungen angestellt und eine längere Korrespondenz geführt werden muss, was die Abbuchung des Geldes von ihrem Konto verzögert – Geld, das nicht mehr ihnen gehört, nur eine Vorstellung von Geld ist, für die sie bezahlen, im­mer teurer bezahlen. ‚Tom starrt sie an. In seiner Miene liegt eine Art Jaulen, etwas Dringliches. Sie will gerade sagen: »Was redest du denn da – du bist überhaupt nichts wert.« Und merkt dann, wie das klingen wird, selbst wenn sie hinzufügte: »Und ich ge­nauso wenig.« Dann wäre es schon zu spät, der Schaden ange­richtet. (Konditorgold)

Das Zitat ist fast beliebig gewählt, man könnte alles zitieren, es gibt keine unwichtigen Wörter oder Sätze, über die man hinweglesen könnte. Deshalb muss man beim Lesen ganz schön aufpassen, aber es lohnt sich, denn Kennedy beobachtet genau und streng.

Er hatte sich fein gemacht -bester Anzug, modische Krawatte, die er schnell bereut und fast sofort wieder abgenommen hatte – sie steckte jetzt zusammengerollt in seiner Tasche. Aus irgend­einem Grund hatte er vergessen, dass nichts das Single-Sein schlimmer machte als gut angezogen zu sein. Wenn er gut aus­sehen konnte – und er sah ziemlich gut aus, das fiel ihm ziemlich leicht – aber dennoch keine schöne Begleitung am Arm hatte, dann lag das Problem tiefer, bei einem inneren Makel. (Verschwinden)

Er hat eine Karte für eine Zaubervorstellung gekauft, auch eine zweite für seine Ex-Freundin, die natürlich nicht kommt. Er findet einen Abnehmer und mit diesem und einigen fremden jungen Leuten warten sie nach der Vorstellung auf ein Privatgespräch mit dem Magier – natürlich auch vergebens. Dabei ergibt sich eine Liebesgeschichte für ein paar Minuten mitten in der Nacht auf einer kalten Treppe:

Und dann lässt sie ihn los, weil sie ein­ander nichts bedeuten, er ihr nichts bedeutet: »Ich glaube, ich gehe jetzt nach Hause.«
Er bedeutet niemandem etwas. »Kommst du allein klar?« Seine Fingerknöchel liegen blank, sind entkleidet. Er hat nieman­des Hände.
»Ja.«
Sie steht leicht schwankend auf, Paul erhebt sich mit ihr, hält sie einen Atemzug lang an den Schultern. »Es war schön, dich kennenzulernen.«
»Dich auch.« Bevor sie weggeht, in Richtung Straße, zu einem Taxi, nimmt er an. (Verschwinden)

Alle Versuche scheitern. Ein Mann nimmt aus der Hotelbar eine Frau mit aufs Zimmer für einen One-Night-Stand. Die Geschichte heißt “Mit Gefühl”. Es kommt aber nicht einmal zum Sex, weil sie sich ständig ihrer aktuellen Wünsche und Verhaltensweisen versichern müssen. Die Geschichte geht ins Detail, es ist zum Bedauern. –

Nur eine Geschichte fällt aus dem Rahmen. Ihr letzter Satz: Lynne blieb stehen und sah sie an und dachte ganz bewusst: So hat es schon immer sein sollen.

Ich denke, so können heute Kurzgeschichten sein. Knapp, alltägliche Ausnahmesituationen, überzeitlich und zeitbezogen. Ich habe noch nicht viel von A. L. Kennedy gelesen, aber diese short-stories haben mir gefallen. 

 

2009      220 Seiten
 

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Zur Bereicherung diesmal das Cover:


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