Nachrichten vom Höllenhund


Wray
14. November 2009, 19:00
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John Wray: Die rechte Hand des Schlafes

Ein seltsam altmodisches Buch. John Wray, ein 29-jähriger Amerikaner, schreibt einen Text über Kärnten 1938 und hat damit in den USA Erfolg.

Oskar Voxlauer hat mit Müh und Not den Ersten Weltkrieg überlebt, sich dann bis in die Ukraine durchgeschlagen, dort eine Frau gefunden und verloren und ist jetzt wieder in seiner Kärntner Heimatstadt. Sein Vater ist gestorben, seine Mutter, eine Bildungsbürgerin, die er Maman nennt, alt. Voxlauer findet sich schwer zurecht, er lässt sich von einem befreundeten jüdischen Wirt als Wildhüter in den nahen Bergwäldern anstellen. Die Nazis überschwemmen die Täler und prügeln sich auch die Hänge hinauf. Auf den Bergen lebt noch ein Kommune von Lebensreformern und die zunächst geheimnisvoll erscheinende Else. Natürlich verlieben sich Oskar und Else und halten auch zusammen, als Elses Cousin Kurt, der örtliche SS-Führer, den beiden nachstellt.

Erzählt wird episch breit, die Natur ist malerisch und unschuldig; kitschig, kalt und neblig und voll schwachen Sonnenlichts. Das lässt sich angesichts des ernsten Themas verkraften. In gedanklichen Rückblenden berichtet Voxlauer über seine Erlebnisse im und nach dem Ersten Weltkrieg; auch der Nazi Kurt darf in Ich-Form von seiner Beteiligung an der Ermordung des österreichischen Kanzlers Dollfuß erzählen. John Wray verbindet die Ebenen von Fiktion und Fakten nicht ungeschickt. Ich finde nicht, wie viele Rezensenten betonen, dass die Figuren zu schwarz-weiß gezeichnet sind, eher wirken sie in ihrer Unentschlossenheit, in ihren Versuchen, sich zwischen den Parteien durchzuwinden, überfordert und verweigern die Anteilnahme. Andererseits ist das Thema im Süden Österreichs auch heute noch virulent und der Roman damit auch als Zeit-Geschichte zu lesen.
„Wo sich der mainstreamige Diskurs des journalistischen Antifaschismus nur noch in der Wiederholung längst bekannter Tatsachen ergeht und die Zeitgeschichtler sich in nobles Schweigen hüllen, findet John Wray mit der Gegenüberstellung des Nazis mit dem Kommunisten ein offenes österreichisches Territorium“, schreibt Erich Klein im Wiener Stadtmagazin „Falter“. (Ansonsten sei das Werk eine „Kitschorgie“. Wie aber soll man schreiben über eine Bergwelt, in deren Landeshymne es noch heute heißt: Wo Mannesmut und Frauentreu’|die Heimat sich erstritt aufs neu‘,|wo man mit Blut die Grenze schrieb|und frei in Not und Tod verblieb;| hell jubelnd klingt’s zur Bergeswand:Das ist mein herrlich Heimatland!)

Eines Morgens, als sie, er mit seiner Angel, zusammen am Bach saßen, ertappte er sich dabei, wie er gebannt ihren Hinterkopf anstarrte, auf dem die Schatten der Uferpflanzen spielten. »Was ist?«, fragte Else nach einiger Zeit und drehte sich nach ihm um. »Pauk hat erzählt, dass dein Vetter wieder da ist«, sagte er und holte behutsam die Schnur ein.
»Ja.«
Er blickte auf. »Du hast das gewusst?«
»Seine Mutter hat angedeutet, dass er von ihr wissen wollte, wo ich wohne. Ich weiß nicht genau, ob sie’s ihm verraten hat« »Ah«, sagte Voxlauer.
Else tauchte den Absatz ihres Schuhs leicht ins Wasser. »Sie hat nicht gesagt, wie lange er bleiben wird. Möglicherweise war er nur auf der Durchreise, ich weiß es nicht.«
»Er ist der Leiter der neuen Reichsverwaltung«, sagte Voxlauer langsam. »Zuständig für das Gebiet von Gressach bis zur Steiermark. Ich glaube, er wird eine ganze Weile hier bleiben.« »Ich habe sie gebeten, ihm auszurichten, er soll nicht kommen, Oskar. Und ihm nicht zu sagen, wo ich bin. Mehr kann ich nicht tun, oder?«
»Er wird bald wissen, wo er dich finden kann. Er weiß es schon.« »Warum sagst du so was?« Sie wich seinem Blick aus. Voxlauer schloss die Augen. »Weil er bei der SS ist. Darum.« Sie antwortete nicht.
»Du hast mir nicht erzählt, dass er bei der SS ist. Hast du’s vergessen?«
»Ich hab dir gesagt, dass er ein Illegaler war.« Sie stand langsam auf. »Spielt das eine Rolle?«
»Es spielt allerdings eine Rolle, ja.«
»Na gut, Oskar, jetzt weißt du’s.« Sie ging hinter ihm vorbei, nahm ihr Netz und verschwand zwischen den Büschen. Voxlauer saß lange bewegungslos da und starrte aufs Wasser.
Nach einer Stunde kam Else zurück und stellte ihr Netz neben ihm ab. »Schau, Oskar.« Sie nahm mit ihrer Pinzette einen Fal­ter mit tiefblauen Flügeln heraus, die zinnoberrot und purpurn geädert und gesprenkelt waren. Die Unterseite der Flügel glit­zerte wie Lapislazuli. »Der hat noch Platz in Resis Kasten, meinst du nicht?«

2000     420 Seiten

2-

Ähnliches Thema, auch Kärnten:
HERMANN BROCH: DIE VERZAUBERUNG (1954)

Broch geht es darum, den psychischen, massenpsychologischen sowie politischen Ursachen und Mechanismen nachzuspüren, die zu faschistischen Systemen in Europa führten. Dichterisches Modell ist ein Alpendorf, in das ein Fremder namens Marius Ratti kommt. Jeder sozialen Schicht und den verschiedenen Generationen vermag Ratti die Erfüllung geheimer Hoffnungen und Wünsche glaubhaft zu versprechen. Indem er Interessengegensätze ausnutzt, die Jugend militarisiert, Minoritäten verfolgt, eine zukünftige materielle Überlegenheit des Dorfes über die Nachbardörfer verheißt und es versteht, massenwahnartige Ekstasen auszulösen, ergreift Ratti die Macht. Broch geht es darum, den psychischen, massenpsychologischen sowie politischen Ursachen und Mechanismen nachzuspüren, die zu faschistischen Systemen in Europa führten. (Amazon)

John Wray: Retter der Welt


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