Josef Haslinger: Das Vaterspiel
Rupert Kramer – Ratz – schlittert auf verschneiter Winterstraße durch den Wald, weil er einen Flug von Frankfurt nach New York gebucht hat, um eine Jugendbekannte zu besuchen. Wir fahren und frieren lange mit ihm und mit R.E.M..
Das ist aber nicht alles. Ratz sitzt, da er sonst kaum was kann und gelernt hat, nächtelang am Computer und programmiert Spiele, bevorzugt Vernichtungsspiele. Wir sitzen dabei. Immerhin kann er Mimi, seiner Jugendliebe, ein bisschen technische Hilfe geben.
Das ist aber nicht alles. Als er in den USA bei dieser Mimi eintrifft, soll er dort ein Haus ausbauen, in dem sich Mimis Großonkel vor möglichen Nachstellungen verstecken will. Ratz hilft. Wir nehmen teil.
Das ist aber nicht alles. Dieser Großonkel ist Algis Munkaitis, der sich 1941 in Litauen bei der Judenverfolgung hervorgetan hat. Haslinger fügt Protokolle dieser Mordaktionen in den Roman ein. Durch Mimi wird der Zusammenhang hergestellt, sehr zwingend ist das nicht konstruiert. Allerdings sind diese Protokolle geschichtlich sehr interessant, weil sie einen Aspekt der europäischen Nazi-Herrschaft beleuchten, der sonst eher ausgeblendet, aber doch symptomatisch für die Entmenschlichung und das Grauen des NS-Terrors ist.
Das ist aber nicht alles. Eigentlich geht es darum, dass Ratz’ Vater österreichischer SPÖ-Minister ist, und man weiß ja, dass die SPÖ durch und durch korrupt ist und Minister auch und wenn man einen zum Vater hat, hat man auch einen Komplex. Daran leidet Ratz. Und wir mit ihm. Und seiner Mutter, die der SPÖ-Vater natürlich verlassen hat. Das ist aber noch nicht alles, denn Ratz ist ein guter Computerer und kann so das Vatervernichtungsspiel erfinden und auf den Markt bringen, weil es ja viele Vater-Komplexe gibt und das auch in den USA, woher er eine Offerte für den Vertrieb erhält.
Spät in der Nacht rief mein Vater an. Er sagte, ich weiß jetzt, wo deine Mutter ist. Er sagte: deine Mutter, schon allein dafür hasste ich ihn.
Wo?, fragte ich.
Daraufhin mein Vater: Beim Service. Ich legte den Hörer auf.
Von da an bekam meine Arbeit am Computer eine neue Note. Ich erfand Vatervernichtungsspiele. Am Anfang waren es einfache Clip-Art-Animationen, die sich aber im Laufe der Jahre zu einem Videospiel mit dem eingescannten Foto meines Vaters entwickelten, das ich allen nur erdenklichen Arten von Torturen aussetzen konnte.
Meine Mutter kam von Salzgitter mit einem verbundenen Gesicht zurück, aus dem nur die Augen, der Mund und die Nasenlöcher herausschauten. Am nächsten Tag nahm sie den Verband ab. Ihr Gesicht war übersät mit dunkelroten Brandnarben, die sie mit einer Salbe betupfte. Mir waren ihre Pigmentflecken überhaupt nie aufgefallen. Ich sah sie erst, nachdem sie davon zu sprechen begonnen hatte. Aber nun war sie wirklich entstellt. Sie ging nicht zur Schule. Klara und ich erledigten die Einkäufe. Jeden Nachmittag kam die Therapiegaby. Meinen Vater sah ich die ganze Woche nicht. Wenn ich aufstand, war das Garagentor offen. Ich wusste nicht, ob er überhaupt heimgekommen war. Seit er im Gästezimmer schlief, musste er nicht mehr an meiner Tür vorbeigehen. Nie war mir alles so hoffnungslos vorgekommen wie in dieser Woche.
Aus diesen Ingredienzen bastelt Haslinger einen Roman zusammen, der sich gar nicht schlecht liest, der natürlich auch zu lang ist. Da der Vatersohn eigentlich ein Versager ist, kann er auch nicht so gut denken, und da er – bis auf die Protokolle – selbst erzählt, muss man auch bei dieser Gedankenlosigkeit dabei sein, „keine subtile Poesie brüskiert den modernen Durchnittskonsumenten“, klagt Franz Haas in der NZZ.
2000 570 Seiten (Tabu)
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