Nachrichten vom Höllenhund


Hültner
5. Dezember 2009, 21:37
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Robert Hültner:
Inspektor Kajetan kehrt zurück

hueltnerkajetanGlaser stand auf und begann, sich den Mantel wieder zu­zuknöpfen.
»Also dann? Ich kümmer mich derweilen um eine andere Spur. Zum Beispiel die, ob da nicht doch irgendwas Poli­tisches dahinter gewesen sein könnt.«
Kajetan sah ihn zweifelnd an.
»Politisch! Ja! Für das, was heut in der Früh auf der Fahrt nach München passiert ist, gibts nämlich genau drei Erklä­rungsmöglichkeiten: Erstens, dass ich mir die Sach tatsäch­lich bloß eingebildet hab und es sich doch um eine harmlose Panne gehandelt hat. Zweitens, dass ich es mir nicht einge­bildet hab und dich jemand befreien hat wollen, weil er gemeint hat, dass du der Kerschbaumer bist. Und drittens, und davon bin ich mittlerweile überzeugt, dass jemand genau das Gegenteil vorgehabt hat. Nämlich, dich – also den angeb­lichen Kerschbaumer, der in eine ziemlich undurchsichtige politische Mordsach verwickelt ist – aus dem Weg zu räu­men.«
»Aber -«
Der Kommissar hob abwehrend die Hand. »Und fürs Letz­tere gibts auch wieder mehrere Möglichkeiten: Erstens, je­mand – ein fanatischer Königstreuer beispielsweis – wollt sich für den Mord am Thannheiser rächen. Der Elias Thann­heiser war bei den Königstreuen, und die wiederum strei­ten sich sowohl mit den Nazen als auch mit den Sozen. Die Sozen und Kommunisten wiederum, die eine Zeit lang gar nicht mal so schlecht dagestanden sind auf dem Land, sind sowohl mit den Nazen wie auch mit den Königstreuen über Kreuz. Kurz: Jeder hackt auf jedem herum.

Es gibt die Sozen und die Nazen und die Königstreuen und den Bauernbund und auch Bauernsozen am Ende der 1920er Jahre. Die Fäden werden in München gespannt und über dieses Gewirr ist Paul Kajetan “gestolpert”, weil er auf manche Machenschaft gestoßen ist und deshalb ist er jetzt auf der Flucht nach Österreich. Er kommt aber nicht übers Gebirg, weils schon Winter wird und weil er mit einem Mordverdächtigen verwechselt wird. So gerät er nach Zellach im Grenzland und wird dort in die langwierigen Aufklärungsversuche der örtlichen Gendarmerie hineingezogen. Die Provinz ist noch Provinz, es gibt die üblichen Dorfbewohner, für einen Mord ist man nicht gerüstet und doch brodelts hinter den Fassaden. Der Tourismus verspricht Gewinnmöglichkeiten und eigentlich traut keiner dem anderen über den Weg.

Kajetan nickte bestätigend. »Man kann sichs gar nicht vorstellen. Das Dorf wirkt so … so friedlich. Und dann so was.«
Der Schneider sah nicht auf. »Friedlich … na ja. Wann man halt nicht dahinter schaut, gell?« Er nickte gedanken­voll und fuhr fort: »Wos Menschen gibt, da gibts auch Strei­tereien. So ists halt einmal. Man mischt sich besser nicht zu viel ein.«
»Dieser … « Kajetan tat, als suche er nach dem Namen des getöteten Wirts.
»Thannheiser«, kam ihm Mitius zu Hilfe.
»… der doch recht angesehen gewesen sein soll im Dorf, oder?«
»Freilich. Wer was hat, der kriegts Ansehen gleich mitge­schmissen. So ist es doch überall, oder?«

Nicht nur der Schneider mischt sich nicht gern ein, niemand will etwas sagen oder gesehen haben oder wissen, weil die politischen Fäden auch schon bis nach Zellach reichen. Und so könnt der Nachbar bei den Nazen sein oder mit ihnen sympathisieren und so ist man lieber ein bisschen vorsichtiger.

Robert Hültner setzt seinen Kriminalfall in die Unübersichtlichkeit der späten Weimarer Republik und gibt ihm mit Ort und Landschaft im Süden Bayerns die Kulisse und mit dem Ex-Inspektor Kajetan die eigensinnige und politisch integre Hauptperson. Hültner nimmt die Dörfler ernst in ihrem “Kontrast zwischen dem Ausdruck überbor­dend barocker Lebenslust, herzensvoller Güte, Humor und musischer Lebensgewandtheit auf der einen, lähmender Me­lancholie, kaltschnäuziger Rücksichtslosigkeit und Verbohrt­heit auf der anderen Seite”.

Hültner hat seine Geschichten in Chroniken und Protokollen gefunden und die zu einem spannenden Fall komponiert. Er erzählt bayrisch bedächtig mit vielen Gesprächen in der “Sprache des Volkes”. Es ist kein Geschichtsbuch, aber ein Roman darüber, wie sich die Fäden der Geschichte über das Leben legen und wie sich die Leute darin verfangen.

2009       275 Seiten    (+ Glossar + Nachwort von Hültner)

hueltnerendeÜber Inspektor Kajetan gibt es mehrere Romane, etwa „Am Ende des Tages„. Kajetan ist imer der knorrig-geduldige Ermittler, der außerhalb der Bürokratie steht und trotzdem/deshalb näher an die Leute herankommt.

Auch lesenswert Robert Hültners Roman “Der Hüter der köstlichen Dinge”, die ungewöhnliche Geschichte eines deutschen (bayerischen) Soldaten im Vichy-Frankreich Anfang der vierziger Jahre, der von der französischen Bevölkerung versteckt und beschützt wird.

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