Nachrichten vom Höllenhund


Qiu
29. Dezember 2009, 13:55
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Qiu Xialong: Tod einer roten Heldin

Da die Namen für europäische Ohren ähnlich klingen könnten, ist dem Roman ein Personenverzeichnis vorangestellt. Die Befürchtungen, da dauernd nachschlagen zu müssen, waren aber überflüssig. Im Mittelpunkt steht Oberinspektor Chen Cao, noch jung, aber schon auf der Karriereleiter. Er hat sogar schon eine eigene Wohnung zugewiesen gekriegt, was im Shanghai am ende des letzten Jahrhunderts alles andere als selbstverständlich ist.

 Die Wohnung war nicht luxuriös. Sie hatte keine richtige Küche, nur einen schmalen Gang mit einem zweiflammigen Gasherd in einer Ecke. Darüber hing ein kleiner Wandschrank. Es gab auch kein richtiges Bad, sondern nur einen winzigen Raum, gerade groß genug für eine Toilette und ein Zement­viereck mit einem Duschkopf aus Edelstahl. An heißes Wasser war nicht zu denken. Er hatte zwar einen Balkon, auf dem er allen möglichen Ramsch hätte aufbewahren können – Korb­truhen, Regenschirme, die noch zu reparieren waren, verrostete Messingspucknäpfe oder was nicht anderweitig vernünftig un­terzubringen gewesen wäre. Aber da er solche Dinge nicht besaß, standen jetzt nur ein Plastikklappstuhl und ein paar Regalbretter auf seinem Balkon.
Für ihn war die Wohnung gut genug.
Im Büro hatten sich einige Kollegen über seine angeblichen Privilegien beschwert. In den Augen derer, die dort schon län­ger arbeiteten oder größere Familien hatten und auf der Warte­liste ausharren mußten, war Oberinspektor Chens jüngste Errungenschaft ein weiterer Beweis für die ungerechte neue Kaderpolitik, das war ihm klar. Doch er beschloß, in diesem Moment nicht weiter an jene unerfreulichen Klagen zu den­ken. Er mußte sich mit dem abendlichen Menü befassen.
Im Vorbereiten einer Party hatte er wenig Erfahrung. Er konzentrierte sich auf diejenigen Rezepte in seinem Koch­buch, die als einfach gekennzeichnet waren. Schon diese waren zeitaufwendig genug, doch nun füllte ein buntes Gericht nach dem anderen den Tisch, und im Raum breitete sich eine ange­nehme Mischung unterschiedlicher Düfte aus.
Um zehn vor sechs war der Tisch gedeckt. Zufrieden mit dem Ergebnis seiner Mühen, rieb er sich die Hände. Das Haupt­gericht bestand aus Schweinemagenstücken auf einem Bett grüner Napa, dünnen Scheiben Räucherkarpfen, gebettet auf zarte Jicai-Blätter, und gedämpften Krabben in Tomatensauce. Da­neben gab es noch ein Gericht aus Aalen mit Frühlingszwiebeln und Ingwer, das er in einem Restaurant bestellt hatte. Außerdem hatte er eine Dose gedämpftes Meiling-Schweinefleisch aufge­macht und mit etwas Gemüse verfeinert, um sein Buffet um ein weiteres Gericht zu bereichern.

 Chen und sein Mitarbeiter Yu gehen bei der Aufklärung ihres Falles viel durch Shanghai, die Stadt, die wohl am typischsten das sich rasant verändernde China verkörpert. Die Wohnungen bestehen aus einem Zimmer, “Küche” und Klo liegen auf dem Gemeinschaftsgang, es wird viel und Seltsames, aber wohl Schmeckendes gegessen. Der Krimi ist zwischen dem spätkommunistischen und dem frühkapitalistischen China angesiedelt, wobei der Unterschied nicht immer erkennbar ist, beide Prinzipien überlagern sich und behindern sich dabei, was Chen das Leben und die Arbeit nicht einfach macht. Es gibt noch kein Privatleben im westlichen Sinn, Chen stößt auch bei den Ermittlungen schnell an Grenzen, da sich herausstellt, dass das Verbrechen politische Dimensionen hat; der Sohn eines alten Kaders, ein “Prinzling” gerät in Verdacht, die junge Guan ermordet zu haben.

 Guan war eine Modellarbeiterin, eine nationale Berühmtheit. Sie widmete ihr ganzes Leben der kommunistischen Sache. Ihr tragischer Tod hat sich bereits sehr negativ ausgewirkt. Ich bin ein pensionierter alter Mann, und dennoch bin ich hier und arbeite mit euch zusammen. Warum? Es ist ein besonderer Fall, den die Partei uns übertragen hat. Das Volk beobachtet unser Tun. Wir dürfen nicht versagen.«
Yu hatte genug von diesem Geschwätz. Er konnte sich kaum mehr auf den Vortrag des Kommissars mit all seinen rhetori­schen Phrasen konzentrieren. Bei den regelmäßig im Präsidium stattfindenden Sitzungen zur politischen Bildung schaffte Yu es manchmal, sich von der Stimme des Redners einlullen zu lassen und ein paar Meditationsübungen zu machen. An die­sem Morgen gelang es ihm nicht.

 Man sieht, auf welcher Seite der Autor Qiu Xiaolong steht, er überträgt auch manches aus der eigenen Biographie auf seinen Ermittler. Chen übersetzt nämlich neben seinem Dienst Krimis aus dem Englischen und er schreibt auch Gedichte, die veröffentlicht werden. Die Lyrik hilft auch bei der Aufklärung des Mordes, wenn die Prosa zu brisant wird. (Auch Form und Aussage (?) der Gedichte geben dem Europäer manches Rätsel auf; erstaunlich, wie viele Bezüge auf ganz frühere Sing- und Dong-Dynastien und ihre Literatur sich erhalten haben.)

 Was gehen will, das geht. / Was bleiben will, das bleibt. /Schmück ich mein Haar mit den Blumen der Berge, /Dann frag mich nicht, wo mein Heim sein wird. «
Das war typisch Ouyang: Er vergaß nie, seine Rede mit lyrischen Zitaten zu schmücken. Chen hörte die Nachricht ein zweites Mal ab. Ouyang kannte Chens Vorlieben gut genug, um Li Shangyin zu erwähnen – aber warum Yan Rui? Das Gedicht hatte in den klassischen Anthologien hauptsächlich wegen einer damit verbundenen romantischen Geschichte überlebt. Die Dichterin war angeblich eine schöne Kurtisane, die in General Yue Zhong verliebt war. Sie wurde von Yues politischem Widersacher ins Gefängnis geworfen, doch weigerte sie sich standhaft, ihren Geliebten durch das Eingeständnis ihrer Beziehung zu belasten. Das Gedicht, so hieß es, künde von der Unbeugsamkeit ihres Geistes trotz allem Ungemach. Konnte das ein Hinweis auf Xie Rong sein, um Chen wissen zu lassen, daß sie ihn nicht belasten würde?

 Stückchenweise kommt die Suche nach dem Mörder voran. Das ist aber nicht das Wesentliche, denn das Interessante ist China, das Leben der Leute, die Stadt, das indirekte Reden, die Verflechtung mit der Politik, die Aufbruchstimmung, das Essen. Natürlich machen die vielen Beschreibungen das Buch auch dick. „Tod einer roten Heldin“ ist mehr als ein Kriminalroman, ein „faszinierendes Gesellschaftsporträt“ (Klappentext). Oberinspektor Chen ist inzwischen Serienheld. Man weiß, dass sich China in den letzten zehn Jahren weiter stark verändert und es ist schon interessant zu erfahren, wie die Geschichten weitergehen.

2000       460 Seiten

 http://www.chinakrimi.de/index.cfm 

 

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