Nachrichten vom Höllenhund


Schulz
10. Januar 2010, 19:25
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Bruno Schulz: Die Zimtläden

„Manchmal schrieb er wie Kafka, manchmal wie Proust, und mit der Zeit gelang ihm eine Tiefe, die keiner von beiden erreicht hat.“ – Isaac Bashevis Singer (Klappentext)

Proust kenn’ ich zu wenig. Die Sprache seiner Figuren plustert sich auf, um ein noch Wer-Sein vorzutäuschen. Schulz’ Figuren, voran der Vater des Erzählers, leben ihre Hohlheit bis zum Schrumpfen und Verschwinden. Auch Kafka trifft nicht. Es gibt zwar Parallelen: Wechsel-Mutationen von Mensch zum Tier, Tiere als andere Erscheinungsform des Menschen, die Gehilfen als irrlichternde Hofnarren, die die Realität in die Narreteien bringen.

Bei Kafka aber ist die Situation abwegig, die Handlung entwickelt sich daraus und darin mit einer schneidenden Logik. Bei Schulz kommt keine Handlung zustande, weil sich die Situation auflöst, entgrenzt. Deshalb lassen sich die Skizzen auch nicht zu Romanen entwickeln. Die Stadt ist Chimäre, die Straßen sind Kulissen, sie verschwimmen, verschieben sich mit den Wahrnehmungen der Personen, auch die Personen sind nicht zu fassen, sie träumen sich in ihre Phantasien, die die Welt erschaffen und ersetzen. Es lässt sich nicht bestimmen, wie viele Zimmer eine Wohnung hat, wo diese aufhören, wer in ihnen lebt. Manchmal nisten sich Vögel ein, vielleicht ist es auch der Vater, der zum Kondor wird, vielleicht auch zur Kakerlake, weggewischt, weggeschrumpft.

Schon nach kurzer Glanzzeit nahm dieses Spektakel jedoch eine traurige Wende. Denn bald erwies sich die Translokation meines Vaters in die beiden Dachzimmer, die bisher als Rumpelkammern gedient hatten, als not­wendig. Von dort drangen schon in den frühen Morgen­stunden die mannigfachen Klagelaute der Vogelstimmen zu uns. Die Holzkisten der Dachzimmer tönten, unter­stützt von der Resonanz des gesamten Speichers, mit Rau­schen, Flattern, Krähen, Balzen und Glucksen. So ver­schwand der Vater binnen einiger Wochen aus unserem Blickfeld. Er kam nur selten herunter in die Wohnung, und jedesmal bemerkten wir dann, daß er etwas kleiner geworden war, abgemagert und geschrumpft. Manchmal vergaß er sich, sprang bei Tisch vom Stuhl auf und schlug mit beiden Armen wie mit Flügeln, stieß ein langgezo­genes Krähen aus, und seine Augen überzogen sich mit einem nebligen Häutchen. Woraufhin er beschämt in un­ser Lachen einstimmte und sich bemühte, den Zwischen­fall ins Scherzhafte zu wenden.
Einmal, im Verlauf des Großreinemachens, erschien Adela unerwartet im Vogelstaat meines Vaters. Sie war in der Tür stehengeblieben, händeringend ob des Gestanks, der die Luft erfüllte, sowie der Kothäufchen, die Fuß­boden, Tische und Möbel bedeckten. Rasch entschlossen öffnete sie das Fenster und wirbelte mit dem Schrubber die ganze Vogelmasse auf. Eine höllische Wolke aus Federn, Flügeln und Geschrei erhob sich, in der Adela wie eine wahnsinnige Mänade, unter dem rasenden Wirbel ihres Thyrsus, ihren Vernichtungstanz vollzog. Entsetzt ver­suchte mein Vater, sich armschwingend zusammen mit der Vogelschar in die Lüfte zu erheben.

Es ist alles real, realistisch beschrieben, eher gemalt, farbig, glänzend, blendend. Nicht Kafka, eher Chagall. Die Personen schweben in der Landschaft, werden vom Sturm aufgesogen.

Schulz war zuerst Maler und Graphiker, man spürt es in seinen Erzählungen. Es gibt die Anekdote, dass er als Hilfszeichenlehrer die Schüler nur zur Ruhe brachte, indem er ihnen Geschichten erzählte.

Die Sprache ist genau. Die Sprache ist verspielt. Für ein Wortspiel, für die poetische Assonanz verlässt Schulz die Wirklichkeit, die Wirklichkeit gibt es nur in der Sprache. „Am Anfang war das Wort. […] Wir halten das Wort üblicherweise für den Schatten der Wirklichkeit, für ihr Abbild. Richtiger wäre die umgekehrte Behauptung: Die Wirklichkeit ist der Schatten des Wortes.“ (Schulz) Der ausufernden Architektur der Stadt und des Lebens entspricht die „Architektur der Sätze“ (Übersetzerin Doreen Daume). Man sollte die Texte laut lesen, erst dann hört man, wie schön und manieriert der Stil ist.

Noch ein Ausschnitt – nicht ganz typisch – aus der Hundegeschichte “Nimrod”. Auch hier erscheint wieder Adela, die große Saubermacherin, die Widersacherin der Mythen:

Der Schauplatz seines jungen Lebens, die Küche mit den duftenden Bottichen, mit den kompliziert und inter­essant riechenden Wischlappen, mit Adelas klappernden Schühchen und ihrer lautstarken Geschäftigkeit schreckt ihn nicht länger. Er betrachtet ihn bereits als seine ge­wohnte Domäne, hat sich darin einquartiert und damit begonnen, ihm gegenüber ein unklares Zugehörigkeits­ und Heimatgefühl zu entwickeln.
Außer wenn unerwartet ein Kataklysmus in Gestalt des Bodenscheuerns über ihn hereinbricht – der Umsturz der Naturgesetze, das Platschen warmer Lauge, die alle Möbel unterspült, und das grauenerregende Scharren von Adelas Schrubber.
Doch die Gefahr geht vorüber, der Schrubber, beruhigt und regungslos, steht wieder still in der Ecke, der trock­nende Fußboden riecht angenehm nach feuchtem Holz. Seinen normalen Gesetzen und der Freiheit auf eigenem Terrain wiedergegeben, verlangt es Nimrod lebhaft da­nach, die alte Decke auf dem Fußboden mit den Zähnen zu packen und sie mit ganzer Kraft nach links und rechts zu zerren. Die Pazifikation der Elemente erfüllt ihn mit un­aussprechlicher Freude.
Auf einmal bleibt er wie angewurzelt stehen: Vor ihm, etwa drei Hundeschritte entfernt, krabbelt ein schwarzes Scheusal, ein Ungeheuer, das sich rasch auf den Stäbchen vieler ungeordneter Beine vorwärtsbewegt. Nimrod, zu­tiefst erschüttert, läßt den schrägen Kurs des glänzenden Insekts nicht aus den Augen, verfolgt gespannt den platten, kopflosen und blinden Torso, der von ausnehmend flinken Spinnenbeinen getragen wird.
Bei diesem Anblick schwillt etwas in ihm an, es reift, nimmt zu, etwas, das er selbst nicht begreift, etwas wie Unmut oder Furcht, jedoch eher angenehm und verbun­den mit einem Schauder von Macht, Selbstgefühl und Ag­gressivität.
Plötzlich läßt er sich auf die Vorderpfoten fallen und stößt einen Laut aus, den er selbst noch nicht gekannt hat, der fremd ist und einem normalen Winseln alles andere als ähnlich
.

1934          150 Seiten    (plus Nachwort)

Rezensionsnotizen zu den „Zimtläden“
Zeichnungen
Biographie mit links
Essay über Die drei Musketiere in der toten Klasse:
Gombrowicz, Schulz, Witkacy

Hier  ergibt sich endlich die Möglichkeit für einen anderen Lesetipp:
Witold Gombrowicz: Ferdydurke

i

 

 

 


1 Kommentar so far
Hinterlasse einen Kommentar

Kein Kommentar, nur ein Hinweis: Ein Absolvent des Gymnasiums Neutraubling hat 2004 ein Buch mit dem Titel „Eine Poetik der Offenbarung“ veröffentlicht, in dem sich auch längeres Kapitel über Bruno Schulz befindet. Die genaue bibliographische Angabe: Jörg Schulte: Eine Poetik der Offenbarung. Isaak Babel‘, Bruno Schulz, Danilo Kis. Wiesbaden 2004. Harrassowitz Verlag. Die Ausführungen des „hoellenhundes“ haben mich neugierig gemacht. Vielleicht bei Gelegenheit mehr.

Kommentar von Josef Schindler




Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..



%d Bloggern gefällt das: