Nachrichten vom Höllenhund


NDiaye
1. Februar 2010, 19:49
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Marie NDiaye: Mein Herz in der Enge

Nadia ist Lehrerin, doch ihr Leben gerät aus der Bahn. Sie, die immer von den Schülern geachtet werden wollte und auch geachtet wurde, spürt plötzlich das Missstrauen und die aggressive Feindschaft nicht nur ihrer Schüler. Ihr Mann Ange, auch er Lehrer, kommt mit einem Loch im Bauch nach Hause, die Wunde eitert und statt zu vernarben, wird sie immer größer und stinkender. Beide werden entlassen und das ist der Startpunkt für eine ausufernde Orgie der Selbstvergewisserung und Selbsttäuschung . Nadia weigert sich zu verstehen, dass sie selbst sich ein Trugbild von Leben und Kontakten aufgebaut hat, dass sie sich ihrer Herkunft schämt und diese verleugnet, etwa in Person ihrer Eltern, die sie sich und ihrem Mann gegenüber für tot erklärt. „Mein Exmann … hat nie ermessen können, welch kalten Haß ich dem Milieu entgegenbrachte, aus dem ich mich herausgearbeitet hatte.“ Ihre Abgrenzungsstrategien rächen sich, denn so wie ihre Beziehungen schwinden, wird sie immer fetter, verformt sich wie die Wege der Stadt.

Eine Situation wie bei Kafka. Verstört kämpft Nadia gegen die eingebildeten Feinde. Ihren Exmann, ihren Sohn, dessen Freund, gegen den berühmten Monsieur Noget, den nur sie nicht kennt und der sich in ihrer Wohnung einnistet und ihren Gatten pflegt und bekocht. Die Störung trifft aber auch die Welt der Dinge und die Geographie. Sie verläuft sich in ihrer Heimatstadt Bordeaux („Meine illoyale Stadt“ *), findet sich plötzlich und unerwartet in ihrer Straße wieder, Nebel lassen die Stadt verlaufen, Straßenbahnen werden zu Feinden („Lassen wir die Straßenbahn uns verspotten“ *) und Züge fahren nicht, wohin sie sollten, vielleicht, weil Nadia mitfährt. Personen finden sich an nicht vermuteten Orten, plötzlich tauchen ihre Eltern auf, überraschend Noget, die Enkelin fehlt. Gibt es sie nicht? Die Welt täuscht sie, wird zum Feind, zur Projektionskugel.

Nichts ist gewiss in diesem Roman, denn man ahnt nicht, was an Nadias, der Erzählerin, Beobachtungen und Gedanken real ist. Ich habe auch ständig nach der Symbolik gesucht, nach der für die kleinen Dinge  – der Sohn wohnt auf einer Mittelmeerinsel, aber wieso nicht wie gedacht am warmen Meer, sondern an einem kalten Berghang? – und nach dem Sybol fürs Ganze, für den verstörenden Zusammenbruch des Lebens und der Logik. Gefahren lauern im Essen, das eine zentrale Rolle spielt („Bei meinem Sohn ißt man schlecht“ *), das man aber nicht vermeiden kann. Zentral auch die Eltern-Kind-Beziehungen („Er ist es also, das ist mein Sohn“ *), die störrische Abgrenzung von Nahestehenden („Wir brauchen keine Freunde, nein danke“ *), das hilflose Suchen nach Nähe.

Vor Zorn angespannt, stehe ich vor ihm und hoffe nur, daß er mein Zurückweichen, wenn er es bemerkt hat, nicht für Angst hält. Diese unerträgliche Untätigkeit des Ruhestandes, dieses lange, trostlose und offizielle Abseits von dem, was für Ange und mich quasi das einzige Interesse am Leben darstellt, die Arbeit, das ist es, was uns so sehr abstößt, was ihn uns so unmäßig verabscheuen läßt: Ein Verbannter, das ist er, und er weiß es und bettelt um unsere Solidarität und unsere Sympa­thie. Die Bettelei kann er vergessen. Ohne Arbeit kein Leben mehr.
Er schnieft. Priscilla reicht ihm ein Papiertaschentuch. Er schneuzt sich rasch und befördert sein zusammengeknülltes Taschentuch erneut mit einer flinken, umstandslosen Bewe­gung unter das Bett. Er wischt sich mit Daumen und Zeigefin­ger die Nasenlöcher ab.
»Ich habe es geahnt«, sagt er, »daß Ihr Vater den Fehler be­gehen würde, den er gerade macht, denn wenn ich ihn zwar, wie ich Ihnen erklärt habe, liebe und bewundere, so weiß ich doch auch, daß er unter einer Schwäche leidet, dem Hochmut, welcher gleichwohl, das muß ich einräumen, durchaus zu den Eigenschaften gehört, die Ihren Vater zu dem hervorragenden Mann machen, der er ist.
»Ange ist nicht hochmütig. Das ist Unsinn«, sage ich. »Ach, ich will nicht mit Ihnen diskutieren.«
»Dann sei still«, sagt Gladys aufgebracht, »und laß ihn reden.
»Ihr befindet euch alle in meinem Schlafzimmer«, sage ich.
»Warum sollte ich das akzeptieren und still sein?«
»Die Lage hat sich geändert«, sagt Priscilla.
»Wir wollen Ihnen nur helfen«, sagt er. »Weshalb ist das so demütigend? Nichts ist demütigend, wenn man es will.«
»Es ist alles nicht weiter schlimm. Wir werden die Lage mei­stern«, sage ich.
Plötzlich spüre ich, wie mir die Röte ins Gesicht schießt. Ich setze mich langsam wieder, dicht an Anges Rücken. Über dem Laken stehen seine grauen Haare auf eine Art zu Berge, die er nie irgend jemandem zu sehen erlaubt, nicht einmal mir, seiner Frau, da er immer als erster aufsteht und sie jeden morgen eilends mit einem Haaröl glättet. Doch jetzt sehe ich zwischen den struppigen Strähnen seine Kopfhaut, die mit bräunlichen Flecken übersät ist. Ich beuge mich über ihn, um seine Haare so leicht wie möglich glattzustreichen. Doch kaum habe ich ihn ihn berührt, zuckt er im Schlaf zusammen und beginnt, wirre Worte zu murmeln. Aus Furcht, daß er plötzlich ver­ständliche Sätze bilden und irgend etwas verraten könnte, das vor solchem Publikum besser nicht enthüllt wird, ziehe ich meine Hand zurück. Sofort beruhigt sich Ange wieder.

Peu à peu wird die Vermutung virulent, dass nicht die Umwelt, sondern die Erzählerin selbst mit ihrer überheblichen Selbstverblendung den Prozess in Gang gesetzt hat. „Die Mutation der Umwelt führt zur Entlarvung der Heldin.“ (Niklas Bender in der FAZ) Sie wird immer mehr eine „Fremde in ihrem eigenen Leben“ (NDiaye). Nicht leicht zu lesen, aber man wird zunehmend ins „Geschehen“ hineingezogen.

* Kapitelüberschriften

2007           280 Seiten

2

 

Für ihren letzten Roman „Trois femmes puissantes“  – „Drei starke Frauen“ – bekam Marie NDiaye 2009 den Prix Goncourt.


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