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Erik Orsenna: Inselsommer
Vladimir Nabokov: Ada oder Das Verlangen
Gilles Chaline hat sich mit 47 Katzen auf eine einsame, vom Massentourismus noch verschonte Insel vor der bretonischen Küste zurückgezogen. Er hat den Auftrag angenommen, Nabokovs „Ada oder das Verlangen“ ins Französische zu übersetzen, wozu er sich allerdings nicht aufraffen kann und deshalb die Mahnschreiben des Verlags ungeöffnet lässt.
Als der Verlag drängt, weil der Nobelpreis für Nabokov erwartet wird – der dann doch nicht kommt – erhält Gilles Hilfe: Die Inselbewohner und einige der eigenwilligen Sommerurlauber machen sich, organisiert von einer kapriziösen Dame – einer geborenen Saint-Exupéry – gemeinsam an die Übersetzung. Gegen mancherlei Widerstand, etwa des Pfarrers, der vom Sujet des Romans irritiert ist, gelingt das Kollektivprojekt. Ob Gilles es termingerecht abliefert, bleibt offen, ist aber auch nicht wichtig.
Der Roman ist kurz und lebt vom Flair der beschriebenen Inselwelt zwischen England und Frankreich und doch am Rande der Welt und natürlich auch von Anspielungen auf Nabokovs „Ada“.
Darin lieben sich in einer aristokratisch-verwahrlost-mondän-esoterisch-elitären Parallelwelt Ada und ihr Vetter/Bruder Van. Nabokov stellt eine Genealogie voran, die durchaus verwirrt und lässt die Protagonistin sich auch an seinem, Nabokovs, Hobby, der Lepidepterologie begeistern. Nabokov arrangiert überaus kunstvoll. Für mich verschwinden Thema und Geschichten des Romans hinter den sprachlichen Manierismen und der bemühten kosmosophischen Gelehrsamkeit/Geschwätzigkeit, die nur mit Mühen und nich immer verstehbar zu übersetzen ist. So habe ich nach 250 (von 600) Seiten gelangweilt aufgehört zu lesen. Was mich erstaunte, dass der Roman erst 1969 erschien. Er fällt aus der Zeit.
Van war zu Bett gegangen, mit Sandpapier-Augen, gleich nach dem «Abend-Tee», einer praktisch teelosen Sommermahlzeit, die zwei Stunden nach dem Dinner kam und deren Stattfinden für Marina so natürlich und unausweichlich schien wie der Sonnenuntergang vor Einbruch der Nacht. Dieser russische Routine-Schmaus bestand im Ardis-Haushalt aus prostokvascha (von der englischen Gouvernante übersetzt als curds-and-whey und von Mlle Lariviere als lait caillé, «Dickmilch»), deren dünne, rahmglatte Oberschicht die kleine Miss Ada behutsam, aber gierig (Ada, diese Adverbien kennzeichneten viele deiner Taten!) mit ihrem besonderen „-Monogramm-Silberlöffel abschöpfte und aufschleckte, ehe sie die amorpheren Quark-Tiefen des Zeugs in Angriff nahm; dazu gab es grobes schwarzes Bauernbrot; dunkle klubnika (Fragaria elatior) und riesige leuchtendrote Gartenerdbeeren (eine Kreuzung aus zwei anderen Fragaria-Sorten). Van hatte kaum seine Wange auf das kühle, flache Kopfkissen gelegt, als er von einem jauchzenden Jubilieren heftig hochgerissen wurde – ein helles Schmettern, süßes Flöten, Schirpen, Trillern, Zwitschern, heiseres Krächzen und zärtliches Schwatzen, von dem er mit der Besorgnis eines Nicht-Audubons annahm, daß Ada es sogleich den richtigen Stimmen der richtigen Vögel zuordnen könnte und würde. Er schlüpfte in seine Turnschuhe, ergriff Seife, Kamm und Handtuch und verließ, indem er seine Nacktheit in einem Frotte-Mantel barg, sein Schlafzimmer, um einmal kurz in den Bach zu tauchen, den er am Abend entdeckt hatte. Die Flur-Uhr pochte durch die morgenrote Stille, die im Innern des Hauses sonst nur von dem Schnarchen aus dem Gouvernanten-Zimmer gebrochen wurde. Nach kurzem Zögern ging er ins Kinderzimmer-WC. Dort stürzten durch ein schmales Fenster das tolle Vogelhaus und das volle Sonnenlicht auf ihn ein. Alles war in Ordnung, ganz in Ordnung! Als er die Große Treppe herunterschritt, nahm ihn General Durmanovs Vater mit ernsten Augen zur Kenntnis und reichte ihn weiter an den alten Prinzen Zemskij und andere Ahnen, und alle waren sie so diskret aufmerksam wie jene Museumswärter, die den einzigen Touristen in einem dämmrigen alten Palast beobachten.
Erik Orsennas „Inselsommer“ kann man lesen, auch wenn man „Ada“ nicht kennt; „Ada“ ist ein Versuch, wohl ohne Folgen.
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