Nachrichten vom Höllenhund


Steinbeis
6. März 2010, 19:01
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 Maximilian Steinbeis: Pascolini

Braucht’s des?“ (Gerhard Polt) – Braucht’s so ein Buch, ein so aus der Zeit und in die Welt gefallenes? – Natürlich hätt’s das nicht gebraucht, aber schön ist’s doch, dass es so was noch oder noch einmal gibt.

Den Inhalt kann man in wenigen Sätzen wiedergeben, oder auch in vielen. Steinbeis fasst gleich am Anfang bilanzierend zusammen: „In den Wäldern, heißt es, wird immer noch gelegentlich geschossen.“ (Bitte diesen Satz noch einmal lesen! Oder sprechen. Wer ihn mag, mag auch den Roman.) Nicht nur geschossen wird im Oberbayerischen, sondern auf fantastisch viele Weisen kommen die Leut zu Tode, sodass am Ende, ohne was zu verraten, gar nicht mehr viel vom angehäuften Personal überbleibt. Oder, laut „Königlich Bayerischem Amtsgericht“ (KBA): Eine liebe Zeit – trotz der Vorkommnisse, menschlich halt.

Die Handlungsfladen sind geschickt geknetet, manchmal müssen auslappende Enden wieder aufgelesen und eingearbeitet werden, aber das Was ist – mir – eher nebensächlich. Steinbeis bereitet ein Potpourri aus den Klischees übers Oberland, Wildern, Saufen, Schmuggeln, Haberfeldtreiben u.v.m., auch neuen, etwa einem weißen Pulver, füllt seinen Kessel mit bunten Gestalten, vom „Zaiserl“ Stadler über den „roten Gustl“, den Egid „Gidi“ Duftinger, den Jakob Böhm und den Kastenbauer und den Unternehmer Scholten und auch ein paar aus dem Norden, Katholische und Evangelische und erzbayerische Partikularisten, Wunderheiler und natürlich die Schmuggler und Ganoven in höheren Ämtern. Zeitlos unmodern. Nicht zu vergessen: der Titelheld Matthias „Hias“ Pascolini, abstämmig aus dem „Teufelsschlupf“, Inkarnation des sagenhaften „Bayerischen Hiasl“ (Nom de Guerre). Man kennt sie alle aus dem Komödienstadl, doch hier treiben sie’s wild, dumpf, anarchisch und verquerer als dort. Karikaturen, falls die Menschen im Norden nicht eh glauben, dass die Bayern insgesamt solche sind.

Wo es beim KBA heißt: „Das Bier war noch dunkel, die Menschen warn typisch; die Burschen schneidig, die Dirndl sittsam und die Honoratioren ein bisserl vornehm und ein bisserl leger.“, geht Steinbeis ins Volle:

 Die Mädchen staken (Steinbeis liebt diese alten Präterita) in Miederkleidern von ben­zinpfützenhaft schillerndem Himmelblau mit erdbeerrosa Schürzen und trugen eine höchst sonderbare grüne Kopf­bedeckung, geformt wie ein Katzenfressnapf und den Etten­gruber Mädchen bei Besuchen außerorts ein Quell bestän­diger Pein, aber unglückseligerweise auf alten kolorierten Stichen des Münchner Staatsarchivs wiedergegeben und des­halb von Kurt Duftfinger mit brutaler Autorität durchgesetzt. Die Jungen trugen forstgrüne Westen über ihren weißen Hemden, offen, auf dass der farbenfroh mit dem Dorfwap­pen, fakultativ auch dem Wappen des Königreichs Bayern bestickte Quersteg des ledernen Hosenträgers schön zur Schau gestellt bleibe, und auf dem Kopf einen spitzen Nadel­filzhut nebst Auerhahnfeder. Die bayerische Burschentracht mit ihren aufgerollten Hemdsärmeln und kniekurzen Gams­lederhosen legt die jeweiligen Unterteile der Gliedmaßen frei, und das aus gutem Grund: So ein Unterarm, dick wie zwei nebeneinandergelegte Schiffstaue, mit blonden Borsten behaart und in der Lage, die kurzen dicken Finger keulenför­mig zusammenzuballen, zeigt die knochenzermalmende Kraft seines Eigentümers diskreter und eindrücklicher an als jeder noch so gut trainierte Bizeps. Die Wade wiederum gilt in ihrer schwellenden Schnellkraft als Verkörperung nicht nur läuferischer, sondern auch sexueller Leistungsfähigkeit, übrigens auch bei den Mädchen, womit die eigentlich etwas stupide permanente Drehbewegung, die ihnen die Choreo­graphie des Volkstanzes zwischen den schenkelklatschenden, springenden und juchzenden Burschen zuweist, ihren Sinn bekommt, weil sie den knöchellangen Rock zentrifugal auf­steigen lässt und den Blick nicht nur auf allerhand weißes Unterzeug, sondern auch und zuallererst auf die nackten Waden zulässt, und zwar jedermann gleichermaßen, anders als die eigentlich näher liegende Brust, deren Umfang und Formschönheit immer nur Einzelne aus eigener Anschauung kannten und die daher auf dem Heiratsmarkt zur Kursfest­setzung ungeeignet war.

 Erzählen tut alles vom Rande des Geschehens und doch dabei die wenig bescholtene Camilla, denn „um ihr Bestand zu geben, dieser Welt aus Rauchgestalten und Nebelschemen, um sie zu bannen und zu bändigen, da bin ich mir ganz sicher: um das zu tun, muss man sie erzählen.“ Da die Camilla aber nicht alles weiß und auch des öfteren anders beschäftigt ist, erzählt, ohne sich zu outen, auch der Erzähler Steinbeis und, wenn’s offiziell werden soll, der Freiherr von Ergoldsbach, der Chronist. Damit erhält alles den Stempel der Glaubwürdigkeit ;-}

 Steinbeis glänzt neben seinem Wissen über gar manches vor allem mit seinen Sätzen. Ganz und gar nicht recht hat dabei Jennifer Mettenborg, wenn sie meint: Vielleicht ist die Sprache ein bisschen umständlich. Vielleicht wird aber gerade dadurch die etwas gemütliche Umständlichkeit der dargestellten Bevölkerungsgruppe verdeutlicht. (literaturmarkt.info). Die Sprache ist nicht umständlich, sondern höchst elaboriert. Und gemütlich ist hier schon gleich gar nichts. Das Gegenteil ist der Fall. Steinbeis’ Schreibe ist beißend, zynisch, entlarvend. Mir kommt dabei Eckhard Henscheid in den Sinn, der auch über stark oder noch stärker verdeutlichte Grenzexistenzen aus dem Herzen und dem Bauch der Gesellschaft schreibt, auch, wie Steinbeis, höchst kunstvoll und unterhaltsam. Am besten deshalb noch eine Stelle aus dem „Pascolini“:

 Es gab durchaus Katholiken unter den Gästen meiner Mutter, aber die meisten waren doch evangelisch. Streng genommen ist auch das nur eine Vermutung. Die Konfession spielte, erstaunlich aus heutiger Sicht, damals kaum eine Rolle für uns. Das glaubten wir zumindest. Als einmal nach dem Abendessen ein entsetzlich schüchterner junger Mann namens Alfons Bichler, den Seb Rothkehl bei irgendeiner Parteiveranstaltung aufgelesen und seines liebenswerten Sprachfehlers wegen – der junge lispelte – mitgebracht hatte, in eine Gesprächspause hinein »Gelobt sei Jesus Christus« murmelte und sein privates kleines Tischgebet zu seiner gro­ßen Scham plötzlich zum Gegenstand der belustigten Neu­gier der gesamten Runde gemacht sah, schnaubte meine Mutter nur und lachte ärgerlich. Bei den meisten unserer Gäste wusste kein Mensch, welcher Glaubensrichtung sie an­hingen. Bei anderen, deren Konfession ich kannte, hätte sie kein Mensch vermutet: Sebastian Rothkehl beispielsweise, der sich damals als Historiker, Fritz-Schäffer-Biograph und Apologet der bayerischen Partikularismusbestrebungen eben anschickte, zum Chefideologen der Bayernpartei zu werden, unser krachlederner Seb, der keinen Preußen davonkommen ließ, ohne ihn ausführlich über Herzog Tassilo aufzuklären, über die jähe kulturelle Verödung nördlich des Limes sowie die Tatsache, dass das Nibelungenlied aus der Gegend von Passau und Richard Wagners Tannhäuser, des Kaisers Fried­rich des Zweiten Ritter und Bußliedsänger, aus Tannberg un­weit des Chiemsees stammte, woselbst man heute noch den Hof »Zum Venusberger« besichtigen könne – dieser Seb Rothkehl war in Wahrheit, was so gut wie niemand wusste, ein frommer Sohn der evangelisch-lutherischen Kirche. Er kam aus Nürnberg und hatte sich in Ettengrub ein Häuschen gekauft, und zwar mit dem Geld seiner Frau, einer Nichte von Josef Baumgartner und fanatischen Partikularistin, vor deren teigiger Humorlosigkeit er immer öfter und zuletzt ganz und gar in die freundliche Obhut meiner Mutter floh.

 Ich merke gerade, so ganz unaktuell ist das gar nicht.

2010 – 250 Seiten

Maximilian Steinbeis liest am 22. April 2010
– Donnerstag – 20.30 –
bei Dombrowsky in Regensburg

 Roman-Homepage
mit Leseproben, Videos uvm
 Steinbeis‘ Verfassungsblog
 Blog-Rezension von Katharina Schmitz  Aufbau-Verlag

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2 Kommentare so far
Hinterlasse einen Kommentar

Bin ja noch nicht fertig.
Ich lese aber eifrig und das spricht für das Buch. Andererseits komme ich nicht so schnell vorwärts, weil es immer wieder Sätze oder Passagen oder Seiten gibt, die ich freudig noch einmal lesen will. Hohe Sprachkunst !

Kommentar von vomhoellenhund

und? gefällt’s Ihnen?

Kommentar von Max Steinbeis




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