Nachrichten vom Höllenhund


Verhulst
1. April 2010, 09:55
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Dimitri Verhulst:
Die Beschissenheit der Dinge

Muss mich das interessieren? Muss ich das lesen? Ein Rudel Bumsköpfe, bekotzt, bepisst, bekackt – alles wörtlich!, vom Leben nicht angenommen und wieder an die Mutter retourniert, welche die komatösen Kretins so gut es geht mit rohem Hackfleisch und Dosenölsardinen bekocht und ihre Ausscheidungen dann beseitigt. Voll-jährige Männer!? „Menschliche Fauna“ nennt das der Erzähler selbst, der mit seinem Vater und ein paar Onkeln Teil dieser „Kakerlaken“ ist, und menschlich ist da zunächst nur als Gattungsbegriff gemeint. Das kotzt mich an. Das soll es wohl auch.

Im Klappentext steht, diese Permasäufer hätten einen Stolz und auch die Solidarität sei hier zuhause. Der gemeine Sinn beschränkt sich aber darauf, nach jedem Zusammenbruch sofort wieder mit in die Kneipen zu torkeln. Es gibt schon ein paar lustige Ideen, etwa die, die Tour de France als Tour de Suff zu inszenieren, mit Zeittrinken und Bergwertungen, je steiler der Anstieg desto höher die Prozente und die Promille.

 Die Zone der Entscheidung kam näher, die imaginären Berge dräuten am Horizont, die Gipfel der zweiten und drit­ten Kategorie warteten auf das Spektakel. Die Fahrt nach Mourenx, über die Gipfel des Aubisque und des Tourmalet. Ein leichter Anlauf von drei Pils. Danach ein schwieriger Parcours von sieben Glas Wein. Weiß oder rot, man durfte wählen. Und dann ging’s los. Ein Glas Tequila, ein Meskal, dann eine halbe Flasche Whisky. Bei der Abfahrt vier Glas Wasser und ein halbes Glas Milch, um die Leute zu ärgern, und dann zum zweiten Gipfel: die andere Hälfte der Flasche Whisky. Wenn man ehrlich war, alles in allem eine kurze Etappe. Doch was für eine.
Als die noch verbliebenen zwölf Trinker am Morgen den Caravan betraten, war ihnen klar, dass der Kalender ein historisches Datum anzeigte. Das ganze Grundstück stank gewaltig nach Pisse und dem Chlormittel, mit dem Jowan­neke versucht hatte, die Räder des Wohnwagens vom Erbro­chenen zu reinigen. Derselbe Geruch hing auch im Wohnwa­gen, wo das Nikotin schon von der Kunststoffdecke tropfte. Alle Elemente in richtiger Dosis vorhanden, Geschichte zu schreiben.

 Der Sumpf soll so dumpf sein, damit der Ich-Erzähler Dimitri(eken) die nötige Steighöhe zum Abheben gewinnt. In den späteren Episoden ist er nämlich älter und gebildet, ja weltklug. Er lebt nicht mehr in Reetverdegem – auf Deutsch etwa „Arschdammichhausen“ (Pieke Biermann) – und reflektiert seine Verwandtschaften fast ethnologisch, ohne jedoch überheblich zu werden. Aus dem Kontrast zwischen Fäkalexistenz als Grundierung und dem Schriftstellerleben entstehen interessante Geschichten wie die über die „Psychiatrische Klinik De Pilgrim“ oder die über den „Sammler“ mit ihrem umwerfenden Schluss, aber auch sprachlich derbe und pointierte Studien über Altsein und Kinder.

Was man nicht erfährt: Wo ist die Bruchstelle, an der es dem Erzähler gelingt, der „Beschissenheit der Dinge“ zu entkommen, die „Vertikalspannung“ (Sloterdijk) in sich zu spüren und einzulösen, nicht ein solcher zu werden, wie sein Vater einer war? – Für mich ist das kaum zu glauben, aber vielleicht steht’s im nächsten Buch von Verhulst.

2006      –       220 Seiten

3-2

Danke für den Tipp, Andreas

Die Verfilmung kommt am 20. Mai in die Kinos.
Video-Beitrag des NDR-Kulturjournals zum Film

Das flämische Original soll voller Anspielungen stecken, die sich nicht übersetzen lassen.

Klappentext: „In den Niederlanden auf Platz 1 der Bestsellerliste.“ Ist das ein Grund, ein Buch zu kaufen? Oder soll man eher die Finger davon lassen, wenn man bedenkt, was in D oben in den Charts steht?


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