Maximilian Steinbeis: Schwarzes Wasser
Die Haustür steht halb offen. Im Widerglanz schimmern auf dem Steinfußboden unzählige verschiedene Sohlenabdrücke, in verwirrendem Durcheinander sieht man die Menschenmasse sich über das Haus ergießen und wieder herausströmen, gerafft in einen einzigen geräuschlosen Augenblick. In der Ecke liegt eine aufgeplatzte Chipstute auf dem Boden und glänzt rotmetallisch. Auf dem Fensterbrett neben der Tür drängeln sich die Bierflaschen, aber sie erinnern sich nicht, daß sie je mit Geklirr aneinandergeschlagen sind und im Licht des Stroboskops aufgeblitzt haben, so weit ist das weg und so lange ist das her. In einigen von ihnen stehen Bierreste wie starre Wassersäulen, und auf mancher Oberfläche sieht man in der grünen Schwärze eine mausetote Zigarettenkippe schwimmen. In einer anderen Welt, in der es eine Zeit gibt, war der Stuhl neben der Garderobe einst unter einem großen Haufen Jacken und Mäntel begraben, aber nicht in dieser: Eine verschossene Jeansjacke liegt über der Lehne, die niemand vermißt. Sonst nichts.
So enden Partys. Diese hier war die Fete zu Elisabeths zwanzigstem Geburtstag, für die sie ihre Entjungferung eingeplant hatte. Man erfährt nur nebenbei, ob’s heut’ passiert ist und wenn ja, mit wem, denn Steinbeis nimmt das recht gewöhnliche Fest als Stoff für seine Erzähl-Etuden. Man könnte es Novelle nennen, was er da zusammenstellt, denn in die – für den Leser – eher belanglose Feier schiebt er die Lebens- und Liebeserzählung des steinalten Wolodja, des Großvaters des gleichnamigen Freundes von Elisabeth. Der junge W. hat wenig Interesse an Frauen, der alte stellt sich als Verführer an den schwarzen Wassern dar. Das ist schon reizvoll, die ironische Melancholie des Greises inmitten des Party-Chaos-Gedröhnes im selben Haus. „Die Anmut der wie aus einem fernen Jahrhundert daherkommenden Binnenerzählung, (…) die ruhigen Momente des Innehalten und der visuellen Prägnanz zeigen einen Erzähler, der Begehren und Rede kunstvoll verflicht.“ (Andrea Gnam in der NZZ). Altmeisterlich an Zeitgeistern vorbei geschrieben.
2003 140 Seiten
Bis auf ein paar Seiten bietet Google-Books den Text im Internet an. Ich weiß nicht, ob das gut ist.
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