Patrick Modiano: Place de L’Étoile
Raphaël Schlemilovitch, französischer Jude, weiß zur Zeit der deutschen Okkupation und der französischen Kollaboration nicht, wer er ist und wo er hingehört und fantasiert sich deshalb Phantom-Biografien. Im „Verlaufe der Erzählung stirbt Schlemilovitch mehrmals, ist mal antisemitischer Jude in Diensten der Gestapo, mal Aufreißer für einen orientalischen Mädchenhändler in Savoyen und der Normandie, mal Vorzeigejude des Dritten Reichs, der auf dem Berghof den Geliebten von Eva Braun gibt, mal Assimilationsgenie, das in der Provinz die französische Scholle preist, mal Folteropfer in einem israelischen Umerziehungslager. Er ist Über- und Antijude in einem, ein Verschleierungs- und Entfesslungskünstler, der sich alle Vorurteile zu Herzen nimmt und in ihr Gegenteil verkehrt, ein unzuverlässiger Erzähler, wie er im Buche steht – und damit die einzig logische Antwort auf eine Historie, in der man sich als Jude auf nichts mehr verlassen konnte, am wenigsten auf die eigene Identität.“ (Michael Althen, FAZ). Am Schluss (?) liegt er in Wien bei Dr. Freud auf der Couch.
Das Buch ist zu voll mit Namen und Orten, fiktiven und realen und solchen, die auf Orte und Namen anspielen. Ohne Schlüssel lässt sich der Roman kaum verstehen, man müsste auch mehr – oder etwas – über die zeit- und kulturgeschichtlichen Bezüge wissen. Vielleicht gibt es ein Sachbuch, das Grundlagen liefert als Einblick in die Zeit, in der der „Place de l’Étoile“ auch der Platz über dem Herzen war, an dem der Judenstern getragen werden musste.
1968 160 Seiten (+ Nachwort)
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