Nachrichten vom Höllenhund


Drury
30. Mai 2010, 12:28
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Tom Drury: Die Traumjäger

»Charles hat auch Waffen«, sagte Joan. »Er jagt.«

»Er jagt im Traum.«

»Ja, vielleicht.«

»Oh, ich meine nicht Charles. Das ist aus einem Gedicht, von Lord Alfred Tennyson. Mein Großvater las es mir manchmal vor. Er war ein großer Fan von Tennyson. >Gleich einem Hund jagt er im Traume noch, und du starrst an die Wand, / wo die vergeh’nde Lampe flackert und Schatten auf- und niedersteigen.<«

Joan zog sich an den Ketten der Schaukel hoch und kam zum Stehen. »Er ist nicht wie ein Hund.«

»Natürlich nicht«, sagte der Doktor. »Hör zu. Denk nicht an das, was passiert ist. Grüble nicht darüber nach.“

Im Traum jagen ist nicht das selbe wie seinen Träumen nachjagen. Sie haben nämlich gar nicht die großen Träume, denen man nachjagen könnte. Charles (der Klempner) will ein bestimmtes Gewehr (in Deutschland nicht so leicht nachvollziehbar), hat aber keine Verwendung dafür. Joan, sein Frau, weiß mit ihrer Trophäe wenig anzufangen. Micah, der Sohn, sucht sich als Ort seiner Träume den Himmel, aber Fahrradfahren zu lernen und eine Ziege zu kriegen ist am Boden wichtiger.

 Die Wolken hatten sich verzogen. Micah suchte den Jäger im Sternbild des Orion, aber er sah nichts als eine Riesenpor­tion Schmetterlingsnudeln. Er hatte Hunger. Manchmal las ihm seine Mutter aus Audubons Führer des Sternenhimmels vor. Einmal hatte sie ihm vorgelesen, wie Artemis, die Jägerin und Mondgöttin, Orion tödlich mit einem Pfeil traf, weil sie ihn für jemand anderen gehalten hatte. Um ihren Irrtum wie­dergutzumachen, versetzte sie ihn an den Himmel und gab ihm seine Hunde zur Begleitung. Also deshalb ist der Mond seither so kalt und leer, hatte seine Mutter mit einem Kopfschütteln ge­sagt. Das ist der Grund. Dann las sie weiter; Orion erlangte seine Kraft wieder, als er die Nymphen auf Taurus jagte. Micah war sich nicht ganz im Klaren, ob seine Mutter das für einen pas­senden Ausgang der Geschichte hielt. Er wünschte sich jedoch, alle diese Dinge würden am Himmel wirklich passieren.

Charles richtete die Taschenlampe auf das zerbrochene Holz und den herabhängenden Türhaken. »Wie stellst du dir das eigentlich vor, eine Ziege zu halten, wenn du solche Sachen mit einem Tor machst?«

Der Vergleich kam Micah unlogisch vor. »Ich würde doch niemals einer Ziege etwas zuleide tun.«

Charles seufzte. »Na ja, absichtlich wahrscheinlich nicht.«

Joan nahm die Taschenlampe und brachte das Kleid in die Scheune. »Es kommt jedenfalls keine Ziege ins Haus, bevor du das hier nicht in Ordnung gebracht hast.«

»Ich weiß aber nicht, wie.«

Joan trat nach draußen und klopfte sich den Staub von den Händen. »Das vielleicht nicht«, sagte sie. »Aber du kommst nicht drum herum, mitzuhelfen.«

»Das ist in Ordnung«, sagte Micah.

 Lyris schließlich, die vierte der Personen, Tochter aus Joans früherer Beziehung, wird von den „Home Bringers“ zu ihrer Mutter zurückgebracht, nachdem die sechzehnjährige bisher in Adoptiv-„Familien“ gelebt hat. Sie ist damit zufrieden, aber vor allem deshalb, weil sie nicht sagen kann, was sie eigentlich will.

Häufig ist es die Nacht in den vier Tagen dieses Roman-Wochenendes, in denen Charles, Joan, Micah und Lyris ihre Streifzüge unternehmen, sich eher treiben lassen, die Gegend nah und doch unbestimmt im Mondenglanz (immer wieder der Mondschein) im Mittleren Westen der USA. Die Konturen lösen sich dort auf, die Erlebnisse sind nicht weltbewegend, finden ihr Ende wieder im Kreis der Familie, im Haus, das ähnlich zusammengestückelt ist wie die Familie. Es fehlt nicht viel, dass die Katastrophe eintrifft, aber letztlich ist doch immer der Antrieb zu schwach. Nur die Mutter bleibt länger weg.

Die Beziehungen verleihen Halt und sind doch brüchig. Ständig ist da etwas, das nicht ganz stimmt, auch wenn es nie ganz falsch ist. (Michael Angele in einer eher unbeholfenen SZ-Rezension. Gut dagegen Felicitas von Lovenberg in der FAZ) Tom Drury passt seine Erzählweise dieser auch in ihrem Aufbegehren leisen Lebensart an, das Jagen im Traum findet schnell ein Ende, ist melancholisch, ohne dass dies ausgesprochen wird, auch ein bisschen komisch in seinem Scheitern.

 Micah wollte die alte Ge­schichte hören, wie Charles auf einen Güterzug in den Wes­ten aufgesprungen war, nur um nach ein, zwei Kilometern feststellen zu müssen, dass der Zug für die Nacht auf einem Nebengleis im freien Feld abgestellt wurde. Charles hatte schließlich wie ein Troll unter einer Holzbrücke geschlafen, jedenfalls erzählte er es so und hob die Szenen hervor, in denen er sich besonders lächerlich gemacht hatte. Micah ge­noss jedes Wort.

 Vielleicht sollte noch gesagt werden, dass Micah und Lyris ihre Ziege kriegen, während in der Jukebox Tom Waits singt. 

2000       250 Seiten (Tabu) 

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20-seitige Leseprobe hier


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