Nachrichten vom Höllenhund


Yglesias
3. Juni 2010, 15:44
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 Rafael Yglesias: Glückliche Ehe

Qualvoll und lang stirbt Margaret und quälend ausführlich beschreibt Enrique, ihr Mann und Ich-Erzähler, dieses Hinfällig-Werden. So genau und detailliert liest man das selten und will ich das auch gar nicht lesen, aber es fasziniert doch, wie nah sich der Mann-Erzähler hintraut, sich überwindet, auch wo’s bloß noch medizinisch und eklig wird.

Fast noch erstaunlicher ist, wie die Todkranke noch in den Endstadien ihres Siechtums ihr Sterben und ihre Existenz über den Tod hinaus plant und wie Enrique in diese Logistik des Sterbens einbezogen ist. Wer von den Verwandten und Freunden soll/muss noch empfangen werden, damit man sich von ihnen konform verabschieden kann? Es wird ein Stundenplan des Sterbens aufgestellt, der auch den vorgeschriebenen und gewünschten, aber in der Familie umstrittenen, Ritualen der Trauerfeier samt Trauerredner und Grabstätte einen fast bürokratischen Rahmen verpasst, der nicht zum Titel des Romans, Glückliche Ehe, passen will.

Der englische Titel „A Happy Marriage“ umfasst nicht nur die Ehe, sondern auch das Heiraten. Zwischen die Sterbekapitel schiebt Yglesias die Kapitel über das Kennenlernen und das Sich-Annähern, auch erzählt von Enrique und auch bestimmt von den vorgeschriebenen und gewünschten, aber nicht erfüllbaren Ritualen der – jüdischen – Familie bzw. – in Konkurrenz – der beiden Familien. Enrique ist zwar nicht ganz erfolgloser Schriftsteller, aber er leidet an und unter seinen Komplexen, wird zum gefühlten und realen Versager vor seinen männlichen Pflichten, vor den Erwartungen, die er an sich hat, vor seinen übermächtigen Vater. Da wird’s dann (Trivial-)Psychologisch:

Sein Leben lang hatte Enrique die Frage be­schäftigt wie keine andere – ein Umstand, der ihn wieder­um wütend machte wie kein anderer -, was sein Vater von ihm hielt: von seiner Art zu reden, seinem Aussehen, seinen Träumen, seinen Texten. Nichts an ihm war der Beurteilung durch seinen Vater entgangen. Keine seiner Gewohnheiten, seiner Vorlieben oder Abneigungen, seiner Ambitionen hatte sich ausgebildet, ohne die Missbilligung seines Vaters über­lebt oder dessen Billigung gefunden zu haben. Er hatte sei­nen Kompass verloren.
Es war 3 Uhr 16 morgens. Mal wieder fiel ihm etwas ein, was sein Vater immer sagte. »In der dunklen Nacht der See­le«, hatte Guillermo gern Fitzgerald zitiert, »ist es immer drei Uhr morgens.« Und Enrique musste daran denken, dass sein Vater Fitzgerald für überschätzt gehalten hatte, und fragte sich, ob das Neid gewesen war oder ein ästhetisches Urteil oder beides – und dann war er wieder im jetzt, stand am Fuß des Krankenhausbetts und starrte auf die grauen Lippen seines toten Vaters.
Der Anruf aus dem Beth Israel hatte Enrique um 2 Uhr 37 aus dem Tiefschlaf geschreckt. »Es tut mir leid, Ihr Vater ist gestorben«, sagte die Schwester und setzte hinzu, dass der Tote in zwei Stunden in den Leichenkeller gebracht wer­den müsse. Wenn er noch etwas Zeit mit seinem Vater ha­ben wolle, müsse er jetzt gleich kommen. Enrique rief seine Halbgeschwister an, um ihnen die Nachricht mitzuteilen, und Margaret hielt ihn in ihrem Ehebett in den Armen und küsste ihn, während er auf die beiden Lichtkästen der Twin Towers in der Mitte ihres Schlafzimmerfensters schaute, geschockt, weil der Tod seines Vaters, von dessen Unaus­weichlichkeit er seit einem Jahr gewusst hatte, tatsächlich eingetreten war. Er wollte seinen toten Vater nicht sehen, fühlte sich aber genötigt hinzugehen. War das nur Konven­tion? Oder gab es am Tod etwas zu sehen?

Es ist auch dieses unabwendbare Pflichtgefühl, das ihm die Kraft gibt, seine Frau Margaret bis zuletzt zu pflegen, sich um sie zu be-kümmern, sie in den Tod zu begleiten. Margaret ist die in seinen Augen Stärkere, der er es nicht recht machen kann, die er deshalb auch nicht immer und bis zuletzt liebt, der er sich aber verpflichtet fühlt.

Die Enkelsöhne, die ihm Enrique geschenkt hatte, waren Teil dieser Pflichterfüllung, und Enrique hatte in den Augen seines Vaters auch die rich­tige Mutter für sie ausgesucht. Margaret erzog und beschütz­te ihre Söhne entschieden und liebevoll, mit jenem unfehl­baren Gefühl für Richtig und Falsch, das Guillermo schätzte. »Deine Enkelsöhne werden tolle Männer werden«, hatte Enrique geantwortet, als Guillermo bedauert hatte, dass er sie nicht als reife Erwachsene erleben würde. »Oh, das weiß ich«, hatte sein Vater erklärt. »Um die Zukunft meiner En­kel mache ich mir keine Sorgen. Margaret wird dafür sor­gen, dass sie die Welt erobern.« Er lachte. »Sonst Gnade ih­nen Gott.«

Enrique ist analfixiert und kann deshalb seinen Schwanz nicht steuern, all die Sektionen der Liebe entlang bedauert er sich selbst, hofft im Detail ihres Sterbens und seiner Hingabe eine Art Erlösung zu finden. Sie kommt, kitschig (!?), vielleicht geht’s nicht anders, ganz am Schluss. Liebe und Tod fließen ineinander:

 „In ihren Ozean ließ er die Angst aus seinem Herzen entweichen, atmete die Verzweiflung seiner Seele aus und dachte freudig: Ich bin zu Hause! Ich bin zu Hause! Gott sei Dank, ich bin zu Hause!“ (die letzten Gedanken im Roman kursiv).

Aber auch diese Worte sind keine Lösung, denn sie sind nur gedacht. Auch hier kriegt es Enrique nicht hin, seine Verkrampfungen wegzulegen. Die Familie/ die Gene scheinen doch zu mächtig.

Einen „zutiefst menschlichen Roman“ liest Lena Bopp in der FAZ. Das „menschliche“ liegt wohl darin, dass Margaret und Enrique trotz ihrer Neurosen zueinander finden und es miteinander aushalten. Christoph Schröder schreibt in der SZ: „Die unmerklichen Prozesse, die sich einschleichen; die kleinen Demütigungen und Machtspiele; die fest gefügten Rollenverteilungen – auch für sie hat Yglesias ein unfehlbares Gespür. Erst in der Krankheit und im Sterben muss man all das noch ein letztes Mal überprüfen und neu justieren. Mehr als zwanzig Jahre sind sie ein Paar, als Enrique am Hochzeitstag einen geradezu schockhaften Moment der Erkenntnis hat:

Und für einen Augenblick verstand er das Wesen seiner Ehe. An diesem sonnigen Nachmittag in Torcello begriff er, dass ihn Margarets Zufriedenheit über ihren Platz in der Welt ehrfürchtig machte, dass sie das war, was sich für ihn als dauerhaft erwiesen hatte. Sein Vater war gestorben, seine Eitelkeiten und sein Glaube an die Kunst waren dahin. Was er dem Leben an wahrem Wert abgewonnen hatte, war das, was sie ihm gegeben hatte.

Glückliche Ehe. Es steckt manches, wenn nicht vieles von Yglesias’ Autobiographie im Roman. Ich hätte die Zumutungen der Sterbeszenen gerne weggeblättert.

2009            425 Seiten

Lange Leseprobe hier

 

         

 


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