Robert Harris: Pompeji
Der Wein kräuselt sich im Glas, das Wasser in den Zisternen riecht nach Schwefel und versiegt dann, der Wasserbaumeister Exomnius ist verschwunden. Auf den neuen jungen Aquarius Attilius, aus Rom gesandt und mit kaiserlichem Auftrag befugt, warten große Aufgaben. Er soll den mächtigen Aquädukt Aqua Augusta, der das Wasser von den Hängen des Vesuv zu den Küstenstädten führt, reparieren und er soll nebenher noch herausfinden, was mit seinem Vorgänger geschah.
Daraus wird kein Krimi, auch wenn Attilius manchem auf die Spur kommt und deshalb nicht bei allen Bewohnern der Küstenstädte wohlgelitten ist. Spannend ist vor allem, wie auch Attilius erst nach und nach die Zusammenhänge erkennt und sie als Vorzeichen eines Vulkanausbruchs deuten kann. Denn dass der Vesuv ein Vulkan ist, der eine Gefahr für die Region darstellt, hatte man zuvor nicht gesehen oder nicht sehen wollen. Es ließ sich zu seinen Füßen ja sehr angenehm leben und reich werden.
Der Leser ist, meist mit Attilius, bei den letzten 48 Stunden von Pompeji hautnah dabei. Die Schilderungen der Wasserbeschaffung und der Gewalten des Vesuvs sind spannend, das Leben in Pompeji und den anderen Küstenorten entspricht eher Klischeevorstellungen, hier fordert auch die Anlage als Krimi ihren Tribut. Der Chronist Plinius taumelt durchs Geschehen und wertet Harris’ Roman auf. Unpassend und unnötig finde ich den Vergleich der Katastrophe von Pompeji mit dem Einsturz der New Yorker Twin-Towers des 11. September 2001.
Ich habe „Pompeji“ gelesen als Band der Zeit-Edition „Historische Kriminalromane“. Die Reihe bietet 12 schöne Bücher für 99.95 €.
2003 200 Seiten
Weitere Romane der Reihe historischer Krimis:
Robert van Gulik: Nagelprobe in Pei-tscho – 664
Richter Di, weise, menschlich, Serienheld – „eine nahezu mythische Figur des chinesischen Bewusstseins“, klärt mit Einfühlung und Logik drei recht rätselhafte Morde. Dabei gerät er selbst in Bedrängnis. Der Roman soll Gesellschaft und Denkweisen im China der Tang-Dynastie beleuchten, aber das kann ich nicht bestätigen. Etwas gewöhnungsbedürftig.
Peter Tremayne: Das Konzil der Verdammten – 670
„Schwester Fidelma ist eine kluge, emanzipierte, mutige Frau, die ihre Widersacher in Grund und Boden argumentiert.“ (Südwestrundfunk)
Das ist das Neue an Tremaynes Klosterkrimi, die ansonsten stets nach den gleichen Mustern ablaufen. Ein Bischof/Mönch/… wird ermordet, man holt Ermittler von außen, hier eben die irische „Schwester Fidelma“und ihren Bruder, die im burgundischen Autun eine ganze Welt an Intrigen, Heucheleien, Habgier und Wollust aufdecken. Das Kloster bietet auch die sinistren Schauplätze, die alle der Reihe nach aufgesucht werden. Historischer Background ist die Auseinandersetzung um weniger frauenfeindliche Ordensregeln, auch der Sklavenhandel wird zum Thema. Es gibt einen richtigen Kult um Schwester Fidelma. Wer Klosterkrimis mag.
Frank Schätzing: Tod und Teufel – 1260
Vorherahnbares Geschehen, bemühte Personencharakterisierung, genretypische Klischees, ellenlange Dialoge, holpriger Stil. Geschichtliche Hintergründe in belehrender Form. Alten Zeiten übergestülpte Gegenwart, auch in der Sprache. Ich habe das Buch nach wiederholtem „nicht wirklich“ nicht wirklich lesen wollen und es nach 70 Seiten weggelegt. Wird Schätzing überschätzt ?
Christopher J. Sansom: Pforte der Verdammnis – 1537
Ein typischer Klosterkrimi mit allen Zutaten. Der zeitgeschichtliche Hintergrund ist interessant: Thomas Cromwell, ungeliebter Reformer, schickt Kommissare in die Klöster, die Verstöße gegen die neuen Regeln aufspüren sollen, um damit einen Vorwand zu haben, das Kloster aufzulösen (engl. Titel: Dissolution). Im Kloster, das sich bisher wie eine eigene Welt verwaltet hat, geht die Angst um, es kommt zum Aufruhr.
David Liss: Die Papierverschwörung – 1719
Ben Weaver ist sephardischer Jude und versucht mit Geduld und Muckis den Mord an seinem Vater aufzuklären. Dabei kriegt er es mit vielerlei Ganoven, manchen reizenden Frauen und vor allem mit den „organsierten Gaunereien der Hochfinanz“ zu tun. Der erste Börsencrash, ausgelöst von der „South Sea Bubble“, ist Hintergrund der Machenschaften, Liss erzählt aber sehr umherschweifend und schmückt die Story mit viel genretypischem Lokalkolorit des vorindustriellen England: sinistre Kaschemmen, amoralischer Gestank, lichtscheues Gesindel, gepuderte Edelleute. – Lesbar, aber mit – wie Liss sagt – „viel zu vielen Leuten“. Die Auf- und Erlösung will nicht kommen, der Roman findet kein Ende. Man braucht den langen Atem.
Petra Oelker: Mit dem Teufel im Bunde – 1772
Der Titel passt nicht, denn der Teufel spielt nicht mit. Auch wenn der Schnittpunkt von Tat und Ermittlungen eine Kirche ist: die Katharinenkirche in Hamburg. Hintergrund ist die Hamburger Bürgerschaft, der Adel spielt keine Rolle mehr, die Religion ist Beiwerk des Handels, der sich die Restaurierung aber doch angelegen sein lässt. Eine Bürgersfrau ist das Opfer, an der Aufklärung – und zwar im doppelten Sinne – ist die ehemalige Wandersschauspielerin Rosina Vinstedt beteiligt, die ein reales „Vorbild hat: die „Neuberin“.
Petra Oelker stattet Schauplätze und Personen genau aus, sie hat sich kundig gemacht über Kirchenbau, Handelshäuser, Literatur (Lessing) und vieles Geschichtswichtige mehr; Mord und Ermittlung sind nicht ihr Hauptanliegen, der Mörder ist Nebenfigur. Trotzdem spannend und belehrend.
Dieter Hirschberg: Tagbuch des Teufels – 1814
Hirschberg bietet E.T.A. Hoffmann als Ermittler, der als Kammergerichtsrat in Berlin an einen sehr unübersichtlichen Fall gesetzt wird. Er wird konfrontiert mit Persönlichkeitspaltungen, Doppelgängern, grauslichen Morden, schwarzen Messen, bewusstseinstrübenden Elixieren. Manches erscheint von E.T.A Hoffmann geborgt, doch entwickelt Hirschberg seine Handlung so krude phantastsich, verliert er oft den Faden, sammelt die wirren Enizelheiten wieder auf, bleibt dabei aber unglaubwürdig. Die Zeitgeschichte spielt mit Kontinentalsperre, preußisch-sächsischen Rivalitäten und einer Prise Romantik mit herein, das bleibt aber sehr hintergründig. Nicht gelungen.
Caleb Carr: Die Einkreisung – 1896
„Die Frage war, was denn nun einen geistig abnormen Schwerverbrecher ausmache. Männer und Frauen, deren Verbrechen zwar abartige moralische Auffassungen verrieten, die sonst aber normale geistige und intellektuelle Fähigkeiten aufwiesen, waren durch den deutschen Psychologen Emil Kraepelin kurz zuvor auch als »psychopathische Persönlichkeiten« bezeichnet worden. […] Im Gegensatz dazu vertrat Kreisler die Ansicht, dass Psychopathen keineswegs Kranke im eigentlichen Sinn seien, sondern nur die Opfer extremer Kindheitsmilieus und -erlebnisse. Wenn man den »Kontext« kannte, dann ließen sich die Taten dieser Patienten verstehen und sogar voraussagen (was für die echten Geisteskranken nicht zutraf).”
Den Ermittlern, Ich-Erzähler John Moore, Dr. Laszlo Kreisler, dem reformerischen Polizeipräsidenten Theodore Roosevelt und desen Sekretärin, der toughen Sara Howard, gelingt es unter Erhellung dieses „Kontextes“ den bestialischen Kinder-Serienmörder „einzukreisen“ und damit die Ergiebigkeit der forensischen Psychologie zu bestätigen. Der Roman spielt in New york zu Beginn des Booms mit seinen sozialen Verwerfungen. Die Gedanken brauchen Zeit zum Entstehen; das Geschehen beschleunigt gegen Ende der 500 Seiten zu einem dramatischen Showdown.
Robert Hültner: Inspektor Kajetan und die Betrüger – 1927
Inspektor Kajetan ist aus dem Polizeidienst entlassen worden und jetzt als Privatermittler tätig, meist für die „kleinen Leute“. Gleichzeitig will er sich rehabilitieren, da er meint, seine Entlassung sei nicht rechtmäßig gewesen. Kajetan verstrickt sich bei seinen Recherchen in die zunehmend rechtsradikal-nazistisch unterwanderte Behörden- und Geschäftswelt – die Betrüger – und wird beinahe selbst zum Mordopfer. Auch die Landkommunen der Lebensreformer geraten in den Blick. Kajetan versteht es, mit allen Leuten zu reden. Ein historischer Krimi mit viel Milieu und Münchner Lokalkolorit.
Joseph Kanon: Die Tage vor Los Alamos – 1945
Vor Los Alamos ist ein Sicherheitsoffizier ermordet worden. Mike Connolly wird zur Aufklärung geschickt und findet auch gleich Zugang zur – im wörtlichen Sinn – geschlossenen Gesellschaft. Kanon beschreibt die Atmosphäre auf dem „Hügel“, die geprägt ist vom tiefen Misstrauen zwischen den Forschern, den des Kommunismus Verdächtigen „Langhaarigen“ und den amerikanischen Militärs. Connolly verliebt sich in die Frau eines der aus Europa stammenden Wissenschaftler, macht mit ihr Ausflüge in das Indianerland vor Los Alamos und lässt nicht ab von der Aufklärung des Mordes. Kanon zeichnet dies alles vor allem in eingehenden Dialogen akribisch nach, gibt dabei durchaus Einblicke in die Problematik der Forschungen zum Bau der Atombombe, sein „Krimi“ aber kommt dabei nur sehr schleppend voran. Er steckt zu viel in den Roman.
Ian McEwan: Unschuldige – 1955
Leonard Marnham, ein junger Engländer, wird nach Berlin geschickt, um bei einem Geheimdienstprojekt von CIA und SIS gegen die Russen mitzuarbeiten, dem „Gold-Projekt“, einem Spionagetunnel. Er verliebt sich, wie es sich bei einem Spionroman gehört, in die deutsche Maria. Es gibt zwar einen Mord, doch ist nicht die Aufklärung wichtig, sondern dessen Vertuschung. McEwan schildert das in einem skurrilen Slapstick. In einem sentimentalen Schluss kommt Leonard 1987 nach Berlin zurück und liest einen Brief von Maria. Kein Krimi im üblichen Sinn, aber schön. McEwan nennt den Roman im Untertitel „Eine Berliner Liebesgeschichte“.
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