Michael Köhlmeier: Madalyn
Das ist die Geschichte von Madalyn. Madalyn ist 14 und geht in Wien in die Schule. Sie ist eher Außenseiterin und lernt deshalb Moritz kennen, der eine Klasse über ihr ist und auch ein Außenseiter. Moritz ist ein Lügner, was Madalyn aber nicht erkennen will bzw. was sie nicht stört, damit sie ihren Traum von der Liebe weiterträumen kann, denn sie hat kein besonders gutes Verhältnis zu ihren Eltern bzw. sie könnte sie „anspeiben“. Es gibt die üblichen Komplikationen und weil die Geschichte 2009 spielt, gibt es auch Handys und damit die modernen Missverständnisse.
Warum er sie gestern nicht angerufen habe, fragte sie, am Nachmittag nicht und am Abend nicht und in der Nacht nicht, und warum er nicht in der Schule sei. Sie habe ihn schließlich auch nicht angerufen, konterte er, und seine Stimme war härter als ihre. Auch er habe gewartet, dass sie ihn anrufe. Er habe sich gedacht, sie halte ihn für den letzten Dreck und wolle nichts mehr von ihm wissen. Er habe sich gedacht, das sei der Grund, warum sie ihn nicht anrufe, weil sie ihn für den letzten Dreck halte. Er habe sich gedacht, das ist typisch.
»Warum typisch?« fragte sie.
»Weil du mir kein Wort geglaubt hast«, sagte er. »Du hast mir überhaupt nichts geglaubt von dem, was ich gesagt habe, ist doch wahr! «
»Ist aber nicht wahr! Ist wirklich nicht wahr«, flüsterte sie in ihre hohle Hand. Sie hatte Angst, jemand komme plötzlich zur Tür herein. »Meine Wertkarte war leer. Ich konnte nicht anrufen. Ich habe es vergessen, dir zu sagen. Sie ist schnell leer, wenn ich mit dir telefoniere, und wir haben lang telefoniert. Das ist so blöd. Da ist sofort alles weg.«
Aber jetzt rufe sie an, sagte er. Ob sie auf einmal zaubern könne oder was, Wertkartenzauber oder was. Und warum sie vorhin nicht abgenommen habe, er habe extra in der großen Pause angerufen. Er habe heute keine Lust gehabt, in die Schule zu gehen. – Sein Ton war sehr grob. Aber das störte sie nicht. Er muss so reden, dachte sie, er ist gekränkt. Er kann nicht wissen, was war. Und wenn man gekränkt ist, redet man so. Jetzt sagte sie es ihm. Zweimal sogar sagte sie es ihm. Da war lange kein Wort mehr zwischen ihnen.
»Ich habe gedacht, du magst mich nicht«, sagte er.
Das mag der Ton von 14-jährigen sein, aber erzählen tut die Geschichte von Madalyn der berühmte Schriftsteller Sebastian Lukasser, dem sie Madalyn anvertraut hat, weil er verständnisvoller ist als ihre Eltern und sich auch mehr Zeit nimmt. Der versteht auch noch ein bisschen mehr von der Psyche und vom Schreiben und so kommt ein Jugendbuch heraus, das einen schriftstellerischen Rahmen hat. „’Ich bin der, dem jeder glaubt, auch wenn er lügt’, denkt Sebastian Lukasser in Köhlmeiers neuem Roman Madalyn. Er betrachte diese Gabe als ‚charakterlichen Kollateralschaden’ seines Berufs.“ (Klaus Zeyringer, Der Standard). Jugendliche werden sich im Roman und in den Problemen wiedererkennen, Köhlmeier beschreibt genau, man hat das aber auch schon woanders gelesen, neu ist wenig. Hier ergeben sich auch die Bezüge zum Jungen Moritz, dem Lügner, der selbst nicht mehr weiß, was wahr ist in seiner Geschichte. Aber auch Madalyn ist sich ihrer Gefühle und der Gesten, mitt denen sie diese ausdrücken will, nicht sicher. Sie übt sich vor dem Spiegel.
Lukasser nimmt sich in der Erzählung selbst oberflächlich zurück, lässt Madalyn allein und ist dennoch stets Kontrolleur und Katalysator des Geschehens. Manche stilistische Eigenart mag dem Wiener Idiom zuzurechnen sein.
Leseprobe des Hanser-Verlags (pdf)
Michael Köhlmeier im Gespräch (BR-Lesezeichen)
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