Klaus Böldl: Der nächtliche Lehrer
Bunte Steine. Graublaue Waldlandschaften, gelbgrüne Wiesen, Hügel und Friedhöfe, dort hält sich Lennart auf, geht, betrachtet, schreibt ab und an, manchmal sieht man ihn auch im Schulgarten, später geistert er nachts durchs Schulhaus, wo er nicht mehr hingehört, den Schlüssel hat er aber nicht abgegeben. Er trägt den flaschengrünen Cordanzug, nach seiner Hochzeit nur noch das dunkle Hochzeitsgewand. Kontakte hat er wenige in Sandvik, wohin es den Kunst- und Religionslehrer zu seiner ersten und einzigen Stelle verschlagen hat, nur Lukas, den Pfarrer, besucht er sonntagabends. Für kurze Zeit wird er berühmt, weil er ein Buch mit seinen „Waldgedanken“ veröffentlicht hat, sinkt dann aber wieder in seine schratige Lethargie.
Einen eigenartigen kurzen Roman hat Klaus Böldl geschrieben, kaum bewegt, die Hauptperson verschmilzt mehr und mehr mit der nordischen Landschaft, die Böldl ausführlich vorstellt, mit vielen Farbadjektiven pastös koloriert. Altmodisch in der Reizarmut, altmodisch in den Accessoires, altmodisch in der betulichen Sprache. Man erwartet, dass der Lehrer als Lehrer aktiv wird, gar nachts, aber als er nachts in sein ehemaliges Schulhaus zurückkehrt, ist bloß sein Schatten zu erahnen. Die „feine Spannung“, die im Klappentext angekündigt ist, ist so fein, dass sie Hauptperson und Leser übersehen, die „Magie“ erschließt sich vielleicht dem Leser, der sich auch an Adalbert Stifter erbaut.
Die Buchstaben, die er anfangs, an das längere Schreiben mit dem Stift nicht gewöhnt, noch ungelenk mit schwarzer Tinte auf das weiße unlinierte Papier gemalt hatte, korrespondierten auf träumerische Weise mit den Fichtenwipfeln, die draußen düster und spitzig gegen den milchigtrüben Winterhimmel standen. Es waren Momente, in denen die Welt sich ganz ohne Widerstand abschreiben ließ und ganz in den Wörtern aufgehoben war. Vielleicht, hatte Lennart damals überlegt, waren die Wörter doch nicht lediglich von den Menschen zum Zwecke des Austauschs erdacht worden. Womöglich hatte die Sprache ja in der Natur selbst ihren Ursprung.
Freilich war es schon am nächsten Tag mit der Geborgenheit in den eigenen Sätzen vorbei gewesen. Jedes neu hingeschriebene Wort hatte ihn auf einmal nur mehr bedrängt, und jedes Wort, das er sich vorsagte, war ein heiserer Misston, der nichts abbildete, schon gar nicht die schneebedeckten Weiten um ihn her, die es doch auszumessen und durchscheinend zu machen galt. Enttäuscht hatte er das Heft in die Schublade gelegt und es erst Monate später, als der Frühling schon weit fortgeschritten war, wieder hervorgeholt. Er schrieb nun oft im Freien, auf der Bank am Fuße des Grabhügels etwa, oder am liebsten vor Elisabeths Grab.
In seinem Rücken wusste er das aus bunten Steinen zusammengefügte Kirchlein mit den mittelalterlichen Malereien in seinem Innern, über die die Nachmittagssonne wie der Blick eines neugierigen Lesers hinstrich. Unterhalb der kaum hüfthohen Steinmauer schimmerte der See zwischen den Weiden und Birken. Manchmal setzte sich eine Fliege wie ein fremder Buchstabe auf das helle Papier, oder ein Schmetterling ließ sich auf der Oberkante von Elisabeths Grabstein nieder.
Ein fernes Grollen kündigte einen Güterzug mit Fichtenstämmen an, der gleich die Friedhofsstille durchschneiden und für Momente eine Weite erzeugen würde, in der man sein ganzes Leben unterbringen konnte.
Ein „großes Manifest der Vereinzelung” (Christoph Schröder, taz) ist das für mich nicht und ebensowenig verstehe ich die Begründung der Jury der SWR-Bestenliste: “Klaus Böldl schreibt mit absoluter Souveränität über Sehnsucht, Erinnerung und den Lauf der Zeit voller Lakonie, Humor und höchster Spannung. Es ist eine Prosa, die den Schleier der Wirklichkeit zerreißt, um das verborgene Geheimnis des Lebens aufzudecken.“ Meike Fessmann (Deutschlandradio) hat „den Eindruck, dass der Autor nicht wirklich weiß, was er mit seinen Figuren anfangen soll“. Der Roman wirkt in seiner Komposition und in seiner Sprache wie ein Gemälde aus der Biedermeier-Zeit oder vom symbolistischen dänischen Maler Vilhelm Hammershoi, der seine Figuren in den fast leeren Räumen vereinsamen lässt und genausowenig in die Person hineingeht wie Böldl.
2010 125 Seiten
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