Beate Rothmaier: Fischvogel
Mika ging ans Ufer und hockte sich ans Wasser. Der See lag reglos, nicht der leiseste Hauch brachte seinen dunklen Spiegel in Unruhe, ihr war, als sei alles erstarrt, als hielte die Erde den Atem an. Sie saß auf einer erkalteten Anhäufung geschichteter Gesteinsplatten, und alles, was auf dieser geduldigen Kruste wuchs, wandelte sich und zerfiel, auch sie, während, langsam wie Schildkrötenpanzer, sich die Erdplatten übereinanderschoben, sich auffalteten und umherdrifteten, als lebten sie, und tief in ihnen die Gesteinsglut gloste und noch tiefer unter Kruste und Glut das flüssige Erdfeuer tobte. Tot schien ihr, was lebte, lebendig, was tot war. Unbelebtes Wachsen der Bäume, lebendige Bewegungen des Gesteins. Allein auf schwankendem Grund war ihr alles unsicher geworden, und eine Beklemmung griff ihr ins Herz.
Das kann man mögen oder zu pathetisch finden, zu aufgeladen, altmodisch. Mika ist 14 im Jahr 1974, die Zeit von Wehner und Brandt und Guillaume und Genscher, aber das ist für ein 14jähriges Mädchen nicht die Welt. Die Welt ist sie selbst, sie kennt sich nicht aus in ihrem Körper und ihrer Seele, aus dem Mädchen soll die Frau werden. Wie es hier aus der Sicht von Mika geschildert wird, ist das zunächst gar kein sexueller Vorgang, obwohl Beate Fischmaier Körperliches nicht ausspart, weder in Gefühlen, noch in Gewalt. Das Mädchen ist in diesem Sommer, als sie nicht mit den Geschwistern in Urlaub fahren darf und die Eltern keine Zeit für sie haben, weil der kleine Bruder unheilbar krank ist, dabei sich zu entpuppen. Deshalb sucht sie die Stille, die Nacht, die dunklen Wälder und – das vor allem – die heimlichen Gewässer, Flüsse und reglose Seen.
Liebe. Es ging nicht um Liebe. Es ging um einen neuen Körper. Es war die Verwandlung vom Fisch zum Vogel. Ein Hochschnellen, ein Sprung über die Grenze zwischen Wasser und Luft. Fliegen lernt man nicht, indem man fällt, dachte sie. Sondern indem man springt. Hoch hinauf, dorthin, wo einem Flügel wachsen. Das ist nichts, was man, wie sie in der Schule sagen, lernen kann, sondern eine Mutprobe. Ein Wagnis. Sich aussetzen und über eine Grenze springen, nicht wissend, wo man ankommen wird, und ob es einen dann noch gibt.
Es passiert nicht viel, das aber intensiv. Der Roman schwebt und taucht und fließt und gleitet, das mag so sein bei Pubertierenden. Wenn das so ist, hat Rothmaier diesen Ton gut getroffen, dann wird “Fischvogel” auch ein Roman für junge Mädchen sein. Auf mich wirkt das recht altbacken, empfindsam, „voller Sprachmagie“, steht im Klappentext. Das kann man mögen.
2010 215 Seiten
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