Nachrichten vom Höllenhund


Soboczynski
18. Dezember 2010, 20:29
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Adam Soboczynski: Glänzende Zeiten

Wenn Thomas Bernhards Schwadronaden Romane sind, dann ist Adam Soboczynskis „Gänzende Zeiten“ auch einer, auch wenn er  nur den Anspruch erhebt, „fast ein Roman“ zu sein. Zudem: Soboczynski teilt den Text für den Leser in Abschnitte und Kapitel, 29, von „Stolz“ bis „Liebe“. „Glänzend“ sind unsere Zeiten, weil sie alles glätten (Kapitel 5 – Glätte), alles verbieten oder schlechtreden, was kernig, urig, genuin, eigentlich menschlich ist. Das Flanieren, das Rauchen, das Feiern, der Zorn, alles wird mit einer Glasur von Unverbindlichkeit, Körperfeindlichkeit, Freundlichkeit überzogen  – oder wegrasiert.

Der ziellos herumstreu­nende Flaneur ist aus der Stadt verschwunden. Ersetzt worden ist er nicht nur durch Gruppen, die sich mit Hilfe einer organisierten Führung durch ein Viertel schieben, sondern längst auch durch den Jogger. 

Und jetzt zum Stil: Darf jemand, der das T-Shirt als Unterhemdersatz ausrotten möchte – es sollte nämlich unbedingt Tabu sein, ein T-Shirt unter dem Männerhemd zu tragen -, Sätze schreiben wie solche, muss einer, der solche Bücher liest, Sätze wie diesen akzeptieren?

Und beinahe, es lag mir, wie man sagt, auf der Zunge, hätte ich auch gesagt, er schwitze unanständig, seine Hose sei an prominenter Stelle ausgebeult, er stinke, er sei eine Zumutung, als er, was mich, da es so schnell geschah, nicht einmal erschrecken konnte, sich an das Herz fasste, heftig röchelte, auf den Boden glitt, nur knapp »Ogott!« rief, starr vor sich hin blickte, worauf sogleich allerlei aufgeregte Post­besucher und die Mitarbeiterinnen sich um ihn scharten, drei mit ihren Handys den Notarzt riefen, einer beherzt an ihm Kenntnisse eines Erste-Hilfe-Kurses erprobte, indem er dem Jogger den Oberkörper freimachte, sein Herz mas­sierte usw.

Vieles ist penetrant nervig. Soboczynski deklariert sich zum Tabusetzer oder Tabubrechendürfer, zum Papst für Stolz bis Liebe, Widerspruch wird unmöglich, möchte man nicht als „Anderer“ dastehen. Wir erheben, überheben uns gemeinsam. Soboczynski macht sich „über den Terror der Tugend lustig, der sich in unserer Welt breitgemacht hat“ (Kathrin Fischer, hr) und geriert sich dabei selbst als „Terrorist“.

Der Andere lebt in einer Welt, deren Dinge ein für alle Male sind, was sie zu sein scheinen. Ein neues Medium, ein Gedanke, ein technisches Gerät sind dem Anderen schon deshalb gut und erstrebenswert, weil sie sich auf dem Markt durchgesetzt haben – weil sie Zeitgenossenschaft atmen. Der Andere durchlebt nur den faulen Zauber seiner im­merzu toten Gegenwart, sein Leben wird immer daraus bestehen, die Dinge so gut wie irgend möglich zu seinem Vorteil zu nutzen, zu handhaben. Dem Anderen ist der In­tellektuelle ein Schmarotzer. Er ahnt, dass die Beschäftigung des Intellektuellen – das muntere Hinterfragen und Auseinanderlegen seiner Umwelt – kaum als Arbeit aufgefasst wer­den kann, kaum sich rückstandslos einspeisen lässt in den verzweckten Tauschhandel der Dinge. Er ahnt die empö­rende Nutzlosigkeit des Intellektuellen.
Der Intellektuelle muss nicht gebildet sein, um intellek­tuell zu sein, nicht die Bildung macht sein Wesen aus, nicht das enzyklopädische Wissen. Der Intellektuelle muss nicht ein offizielles Amt bekleiden, um intellektuell zu sein. Er muss nicht als Wissenschaftler oder als Künstler in Erschei­nung treten. Er vermag es, sich auch in der Rolle des Wein­verkäufers oder des Hausmeister oder der Sekretärin einzu­richten. Der Intellektuelle zehrt in seinem Leben vom Sich-Wundern über die Dinge und vom stolzen Zürnen über Missstände, er zehrt nicht vom Amt.

Die wenigen originellen Beobachtungen retten das Buch nicht. Dem Zeitgeist, den er geißelt, unterliegt Soboczynski selbst.

2010                200 Seiten

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