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Lucy Fricke:
Ich habe Freunde mitgebracht
Nackt stand Jon in der Küche und bestaunte sich im Metall der Espressomaschine. Wer, wenn nicht ich, sprach er und trank seinen Kaffee gestählt auf dem Balkon, mit nichts am Leib außer seinem perfekten Körper, wann, wenn nicht jetzt. Er, Jon Petersen, war bereit, seit Jahren schon, war immer auf dem Sprung nach oben gewesen, hatte so lange in der Hocke verharrt, dass ihm der Hintern eingeschlafen war.
Zum Sturz, möchte man meinen, gehört eine gewisse Fallhöhe. Die bringt jeder Mensch selbst mit, doch möchte man auch durch seine öffentliche Wahrnehmung bestimmt werden. Martha, Henning, Betty, Jon sind Nachrichtensprecherin, Comiczeichner, Continuity, B-Schauspieler, Karrieren aus Schaum in der Medienindustrie. Und doch implodiert die Welt, als sie scheitern. Auch die Beziehungen sind auf die Selbsttäuschungen aufgebaut, „Ich, ich, ich“, man ist so was von selbstständig. “Noch nie hatte Martha sie gebraucht oder auf irgendeine Art zugegeben, dass sie überhaupt Hilfe brauchen könnte, vielleicht lag es daran, dass Martha von Problemen nichts hielt, sie akzeptierte sie einfach nicht, sie akzeptierte sie in einem Maße nicht, dass sie ihre eigenen nicht einmal wahrnahm.” Das Leben liegt im Konjunktiv, sogar in kürzester Zukunft und nächster Nähe:
“Später würde Martha ihm die Schürze ausziehen, sie gingen ins Bett, ohne sich die Zähne zu putzen, sie würde seinen Hals küssen, er ihren Bauch, und sie würden sich die ganze Zeit hindurch festhalten.
Als sie dann nackt nebeneinanderlagen, nahm Martha seine Hand und sagte nichts, außer: «Mir ist ganz komisch, irgendwie.»” […]
«Und dann wollten sie wissen, ob ich irgendwelche Losigkeiten hätte.»
«Was?»
«Losigkeiten. Appetitlosigkeit, Schlaflosigkeit, Lustlosigkeit, was weiß ich, Ziellosigkeit …»
«Kinderlosigkeit, Erfolglosigkeit … »
«Zum Beispiel.»
Lucy Fricke lässt ihre vier Helden wie in einer täglichen Soap agieren, reihum kriegen sie ihr Häppchen Handlung, es gibt lose Kontakte, sogar in der festen Beziehung. Auch die Denk- und Sprachcodes stammen aus der Welt der Serien, Lucy Fricke ist aber origineller und witziger, näher am falschen Leben. Als gewesene Continuity kennt sie sich da aus.
Erst als die vier Protagonisten ihre Bodenlosigkeit erkennen, strudeln sie aufeinander zu – und flüchten. Wohin? – Zur Mutter und zum Meer. „Flucht ist immer eine Option.“ Beinahe wären sie da geblieben, fast wären sie nach Berlin zurückgekehrt, um sich der Realität zu stellen. „Da hörte es dann auf komisch zu sein, da war es nicht mehr krass, hart oder sonst wie spannend, da wiederholte sich alles bloß und wurde langsam zäh. Ein zu gut durchgebratenes Stück Leben – es ließ sich nicht kauen und auch nur schwer schlucken. Also am besten diskret in die Serviette fallen lassen. Dieser ganze Ort, das Haus, das Meer, alles kam ihr vor wie eine einzige große Serviette.”
Aber da kam ein tukanblauer Mercedes O 302 daher und es war fast wie früher. „Sie hörte leise Stimmen, ein Kichern, das ihr bekannt vorkam, und blickte sich um, in den leeren Raum, wo die Espressomaschine im Licht der Sonne glänzte.” Und bevor sie doch noch erwachsen wurden, dürfen sie noch’n bisschen flüchten. – Nicht wichtig, aber schon schön.
2010 190 Seiten
Musik: Townes van Zandt. – „In ihren traurigen Zeiten hörte Betty selten etwas anderes, sie hatte immer schon eine Neigung zu Musikern gehabt, die ihr Leben in eine Flasche Bourbon aushauchten.“
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