Filed under: Theater
Elfriede Jelinek: Winterreise
Inszenierung: Johan Simons
Theaterstück? Die Bühne der Kammerspiele ist hinten verschlossen und zum Publikum verlängert, ungeschliffene Bretter, viel Wind, kalt soll es sein. Deshalb hat der einsame Klavierspieler auch seinen Anorak an. Aha: Winterreise!
Auf der Bühne: Ringelpiez mit falscher Braut – vor und zurück im Trippelschritt – reizvolle Gesänge der Orgelpfeifen – Klompenspitzentanz. Manchmal schön anzusehen, schön anzuhören. Ein nettes Stück – hätte das sein können, wäre der Text nicht. Der ist belanglos, über weite Strecken redundant, aufgewärmt, ohne zu erwärmen. Viel Wind um Nichts.
Elfriede Jelinek hat ja was zu sagen. Aber da jedes Theater ein Stück von ihr spielen will, sagt sie immer dasselbe, in Variationen, aber stets ein „Stück von ihr“, nicht um die Welt geht’s, nicht um Mama oder Papa, sondern um Selbstbe- und -entlastungen. Das ist durchaus legitim, aber weshalb daraus einen Theaterabend machen.
Und dazu: Kampusch, Facebook, Alpenverstörung, Finanzpolitik, will das als Muster für Wortgirlanden denn noch jemand hören oder sehen. Auch Aufklärung geht anders.
Das „Textgespinst“ (Christopher Schmidt, SZ) verkommt zum Häkeldeckchen. Nach Regelmustern faschiert Jelinek Wortfamilien, der Satzgenerator spuckt beliebige Variationen und Assoziationen. Es bleiben schon einige der vielen Maschen hängen, dazwischen aber viel Luft. Noch ein Dreh an der Schwurbel und der Kalauer ist totgetrampelt. Alte Leute kennen ähnliche Methoden aus den Satzgeflechten Peter Handkes, aber in seinen mehrstimmigen Sprechstücken ist jeder Satz ein Treffer. Das ist eine andere Methode.
Die „Hochzeit“ zwischen Bayerischer LB und HypoAlpeAdria mit der flirtenden „Dickmamsell“ Benny Claessens, erheiternd, im Bauerntheater spielen die das nicht so virtuos, aber auch nicht so endlos. Natascha Kampusch als Mann, verstörend verstolpert von Kristof van Boven. Hier kann man den Text schon mal vergessen. Wiebke Puls, groß wie immer, mit Jelinekfrisur, ach, das soll die Jelinek sein!
Und als neues Sujet der abgeschobene Vater. Hier kommt die Winterreise zu ihrem eigentlichen Thema, der verlorenen Heimat, der Einsamkeit, der sozialen Kälte. André Jung stellt das eindringlich dar, schon in seinem Seufzen beim Auftritt und besonders im ersten Teil des Stücks, als er wortlos im Abseits einer Bühnenecke hockt und nichts mit sich anzufangen weiß und niemand hat, der ihn sieht und braucht. Beeindruckend. Das sagt viel mehr als sein Monolog nach der Pause, weil sich hier wieder das Jelinekgelaber in den Vordergrund drängt. Ich glaube nicht, dass ein Dementer so spricht, der Vater muss den Text der Tochter aufsagen. Eine Verdoppelung des Leidens, ich glaube es Jung anzusehen, dass er das weiß und darunter leidet. Immerhin machen die Bezüge zur Winterreise hier Sinn.
Münchner Kammerspiele – Aufführung am 18. Februar 2011
Rezension und Kritikenrundschau bei nachkritik.de
Münchner Kammerspiele
(Bei den Pressestimmen fehlt der Verriss in der SZ!)
Kommentar verfassen so far
Hinterlasse einen Kommentar