Nachrichten vom Höllenhund


Habringer
7. März 2011, 12:51
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Rudolf Habringer: Engel zweiter Ordnung

Erst fängt es ganz langsam an. Genauer, mit einem tragischen Unfall, der tief ins Leben des Arnold Walter eingreift. Bei einem Bootsausflug in seiner oberösterreichischen Heimat ertrinkt sein Vater, ein Polizist bringt Arnold zu dessen Großeltern, wo er aufwächst und schließlich maturiert. Dann verliert man ihn aus den Augen. Er taucht wieder auf als Germanistikprofessor – mit Schwerpunkt österreichische Literatur – in Regensburg.

Es geht ganz beschaulich weiter. Arnold Walter hat sich ein neues Zuhause geschaffen, mit Frau und inzwischen großen Kindern, er geht jeden Donnerstag mit dem Kollegen Scheu in die Uni-Pizzeria, schaut sich hin und wieder im Andreasstadel einen Film an und beobachtet und kategorisiert jeden seiner Schritte genau. Mit den Begriffen – Gefühlserlaubnis, Fremdsorge, Gefährdungsgefahr – schließt er das Risiko aus seinem Leben aus, manchen Menschen attestiert er keine Erscheinungsenergie, keine Akutpräsenz, wenn er nicht weiterweiß, denkt er sich Titel für Lehrveranstaltungen aus: Berichte aus der existenziellen Kreisklasse etwa oder Fleckenkunde I.

Der Grad der Selbstbeobachtung ist hoch, dachte Arnold, als er zurück ins Unigelände ging. Plötzlich hatte ihn die Frage seiner Körperhaltung beschäftigt. Meist, wenn er gedanklich beschäftigt war, schlurfte er in gebeugter, seinen Rundrücken ausstellender Haltung, jetzt hatte er das Gefühl, eine Spur aufrechter zu gehen als üblich. Lag es an den Rückenschmerzen, die er seit Tagen verspürte und deretwegen ein Termin beim Physiotherapeuten dringend nötig war, dass er eine das Rückgrat schonende aufrech­te Haltung einnahm, oder lag es an der dem Telefonat folgenden Erleichterung, die durch seinen Körper flutete? Arnold wusste nicht, woran es lag. Er merkte nur, dass er unvermutet über seine Körperhaltung nachdachte. Die Selbstbeobachtung mündete in den Satz: Der Grad der Selbstbeobachtung ist hoch.
Am Ende dieser Erkenntnis stand er schon vor der Unipizzeria, die sich den Namen Pizzeria Universo verpasst hatte; die Selbst­zentrierung hat System, dachte Arnold, die Schlussfolgerung über sich selbst auf das System Universität übertragend.

Aber dann schlägt das tragische Ereignis seiner Kindheit, das verdrängt schien, doch zu. Und wie. Natürlich in Form von Katharina, der Tochter des Polizisten (siehe oben), und ihrem Brückenblick.

Der Blick, der ihn aus ihren dunklen Augen traf, baute eine Brücke zwischen ihnen, eine unsichtbare Verbindung. Vielleicht hatte Katharina damals als Einzige die Hülle um ihn herum gesehen, dachte er später.
Er stellte sich vor, Katharinas Blick hätte eine Sichtbrücke, ein kunstvolles Gerüst aus Licht zwischen ihnen erbaut, und als sie den Blick löste, hatte sich die Brücke aus Licht geteilt. Jeder von ihnen trug seither einen Teil der Brücke, unsichtbar für alle, mit sich herum.

Mein platonisches Modell als Kind, die Lego-Version, hatte er später gedacht. Die Vorstellung hatte sich ihm stark eingeprägt, sich später zwar abgeschwächt, war aber nie verschwunden.

Gottseidank. Arnold Walter sieht Katharina zufällig wieder und der Roman beschleunigt, entwickelt einen enormen Sog. Habringer macht das raffiniert. Man lässt sich mit der Hauptperson ein wenig einlullen und wird gerade deshalb völlig überrumpelt. Wenn man zurückliest, findet man die Hinweise zuhauf, aber Arnold hat sie ja auch nicht erkannt. Trotz seines eng gesponnenen Selbstkontrollnetzes. Oder – natürlich gerade deshalb.

Habringer macht dann etwas, was man eigentlich nicht tun sollte. Er lässt seinen Protagonisten im Stich. Man hat den Eindruck, er wird dem noch nicht durchschaubaren Plan des Romans geopfert. Im zweiten Kapitel taucht Arnold Walter – zunächst – nur noch als Blinken im GPS-Tracker des schmierigen Privatdetektivs Seisenbacher auf. Erzählt wird jetzt aus der Sicht und über diesen Seisenbacher. Habringer passt auch die Sprache an den neuen Horizont an, dessen Welt aus Geld, aus “Schnecken”, aus wenigen beschränkten Gedanken besteht. Originell, wie ihn Habringer – etwas ausführlich – vorführt und ihn dann selbst in die Bredouille geraten lässt.

Mit dem dritten Kapitel rundet Habringer sein apartes Roman-Konstrukt ab. Es gibt einen weiteren Perspektivenwechsel. „Im Übrigen lässt es sich der Autor angelegen sein, seine stilistische Wandlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen: Dem sehnsüchtigen Walter legt er ein sentimentalisch-ironisches, geradezu romantisches Sprachgewand an, den Provinzgauner hüllt er in flotte Phrasen und Katharina kleidet er in charakterfesten, tatkräftigen Seelenstoff. Kurzum, hier liegt ein Habringer erster Ordnung vor.“ (David Axmann, Wiener Zeitung)

Mehr soll nicht verraten werden, weil die Raffinesse in der Komposition liegt – auch im Wechsel von der Behäbigkeit des Alltagslebens zur nicht mehr kontrollierbaren Beschleunigung. Doch auch in der sprachlichen Gestaltung zeigt Habringer seine Milieukenntnisse und sein Können. Sehr originell, sehr schön zu lesen, die Personen werden als Spielfiguren eingesetzt, leben aber trotzdem.

 2011       395 Seiten

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