Mohsin Hamid: Der Fundamentalist, der keiner sein wollte
Nein, Fundamentalist ist Changez keiner. Auch wenn er sich das mit dem Titel anmaßt, indem er seine Absicht abstreitet. Insofern hat mich der Roman doch enttäuscht. Sicher, Changez wendet sich von seinem amerikanischen Lebenstraum und von seiner Konzernkarriere ab und wieder seinem Herkunftsland Pakistan zu. Ein Wechsel, aber keine Radikalisierung. Der 11. September ist auch hier die Bruchstelle, Changez wird seines Phänotyps wegen verdächtigt
Nach unserer Ankunft wurde ich bei der Passkontrolle von meinen Kollegen getrennt. Sie stellten sich in die Schlange für US-Bürger, ich mich in die für Ausländer. Die stämmige Beamtin, die meinen Pass überprüfte, trug eine Pistole an der Hüfte und beherrschte das Englische schlechter als ich; ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu entwaffnen. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?«, fragte sie mich. »Ich lebe hier«, antwortete ich. »Danach habe ich Sie nicht gefragt, Sir«, sagte sie. »Was ist der Zweck Ihrer Reise in die Vereinigten Staaten?« Unser Wortwechsel ging so mehrere Minuten lang. Schließlich wurde ich zu einer Untersuchung in einen Raum gebracht, wo ich dann neben einem tätowierten Mann in Handschellen auf einer Metallbank saß. Mein Team wartete nicht auf mich; als ich endlich wieder in der Abfertigungshalle war, hatten sie schon ihr Gepäck geholt und waren gegangen. Folglich fuhr ich an dem Abend sehr allein nach Manhattan.
Er ist Unternehmensberater geworden und hat auch mit dem Zweck seines Tuns immer mehr Probleme, wird unfähig zur Arbeit. Auch sein Privatleben verarmt, weil er immer wniger Ansprechpartner findet und seine Beziehung zu Erica (!America) mit deren amerikanischen Depressionen ein Ende nimmt. So kehrt er nach Pakistan zurück, erst 22 Jahre alt.
Changez sitzt in Lahore in Pakistan in einem Café und erzählt seine Geschichte. Als Zuhörer fungiert ein nicht weiter benannter Amerikaner, der aber nicht zu Wort kommen darf. Changez ist wieder daheim, fühlt sich hier überlegen und nötigt dem passiven Gast seine Meinung und das pakistanische Weltbild und die pakistanischen Speisen und seine doppelten Traumata auf. “Der Tag, an dem ich Amerika sitzen ließ“ hat Hubert Spiegel seine FAZ-Rezension sehr schön betitelt. Jetzt hat Changez (!) die Definitionsmacht, der Amerikaner kriegt Angst. „Der Kellner, die Fledermäuse, ein Stromausfall, alles beunruhigt ihn – und dass es lange Zeit nicht ganz klar ist, ob der Amerikaner paranoid ist oder nur erfahren, ob er eine Bedrohung darstellt oder selbst gefährdet ist, zeigt, wie leichtfüßig sich Hamid allen Zuordnungen entzieht.“ (Sonja Zekri, SZ)
Wir Einheimischen schätzen diese letzten Tage dessen, was man hier in Lahore unter Frühling versteht; die Sonne ist zwar heiß, hat aber einen beruhigenden Effekt. Oder hat, wie ich wohl sagen sollte, einen beruhigenden Effekt auf uns, denn Sie, Sir, scheinen sich noch immer unwohl zu fühlen. Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich das sage, aber die Häufigkeit und Beharrlichkeit, mit der Sie sich umschauen – wenn Sie den Blick von einem Punkt zum nächsten lenken, scheint es in Ihrem Kopf unablässig tick-tick-tick zu machen -, erinnert an das Verhalten eines Tiers, das sich zu weit von seinem Bau entfernt hat und nun in der unvertrauten Umgebung nicht recht weiß, ob es Jäger oder Beute ist!
Ob man uns auch Besteck bringt, fragen Sie? Bestimmt lässt sich eine Gabel für Sie finden, Sir, aber erlauben Sie mir den Hinweis, dass jetzt die Zeit gekommen ist, uns die Hände schmutzig zu machen. Schließlich haben wir ja schon einige Stunden zusammen verbracht, da dürfte es eigentlich keinen Grund mehr geben, sich zurückzuhalten. Es liegt eine große Befriedigung darin, die Beute anzufassen, ja, Jahrtausende der Evolution haben dafür gesorgt, dass die Berührung des Essens mit der Haut den Geschmackssinn steigert – und nebenbei auch unseren Appetit! Aber ich sehe schon, dass Sie nicht weiter überredet werden müssen; Ihre Finger zerreißen das Fleisch dieses Kebab mit beachtlicher Entschlossenheit.
Eine geschickte Romankonstruktion, doch sind die Kapiteleinleitungen und –enden das Interessantere, die Geschichten aus der amerikanischen Geschäfts- und Liebeswelt kennt man schon. Auch hätte ich mir von einem “Fundamentalisten” etwas mehr als Vorspeisenterror erwartet.
2007 190 Seiten
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