Nachrichten vom Höllenhund


Sachbuch 2011/1
25. April 2011, 19:42
Filed under: - Sachbuch

Wolfgang Sofsky: Das Buch der Laster

 Impertinente, Lümmel, Müßiggänger, Wehleidige, Klein- und Wankelmütige, Hasenfüße, Halsstarrige uva Lasterhafte mehr lässt Wolfgang Sofsky antreten, charakterisiert sie pointiert und treffsicher, grenzt sie ab von anderen Schwachen, die auf den ersten Blick so ähnlich aussehen. Und er tut das voller Skepsis, voller Hybris, anders geht das ja wohl auch nicht. Es gibt nichts zu entschuldigen.

Die moralische Verbesserung des Gattungswesens ist ausgeblie­ben. Die Hoffnung auf die Vervollkommnung des Menschen­geschlechts, die einst zu den Grundpfeilern der modernen Ideo­logie gehörte, hat sich nicht erfüllt. Dennoch tut jede Generation so, als müsse sie das alte Projekt neu erfinden und die Zeit­genossen Mores lehren. Mittlerweile sind die Ansprüche jedoch unverkennbar gesunken. Anstatt die Person als ganze zu kriti­sieren, begnügt man sich mit Vorschriften für einzelne Hand­lungen. Anstatt sich den Neigungen zu widmen, die Menschen zu Untaten verleiten, beurteilt man sie lediglich nach den Fol­gen ihres Verhaltens. Anstatt dem Individuum die Verantwor­tung für seinen Charakter zuzumuten, erklärt man es zum Spielball übermächtiger Kräfte, der Gesellschaft, der Gene, des Unbewußten.

Schon der Begriff des Lasters, der Sünde oder Unmoral wirkt antiquiert. Wer Untugenden zu verstehen sucht, gerät sogleich in den Geruch des reaktionären Misanthropen oder philiströsen Moralapostels. Den Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten, zog schon immer verlegenes Gelächter, Wut oder Verleumdung auf sich. Die alte Bewunderung für Vortrefflich­keit scheint ebenso verloren wie der Sinn für moralische Ver­derbnis. Nichts erscheint unzeitgemäßer als Zweifel am ir­ dischen Glück, als der Hinweis auf Pflicht und Maß. In Zeiten kurzsichtiger Vergnügungen zählt die rasche Erfüllung der Be­gierden, nicht deren kritische Beurteilung. Nachdem man die Gleichgültigkeit zu allseitiger Toleranz umgemünzt hat, ist fast alles erlaubt.

Sofsky analysiert die Laster nicht nur am Verhalten der Einzelnen, sondern auch ihr Auftreten im Kollektiv, ihre Rolle in Gesellschaft und Geschichte. Dabei sieht er im Kollektiv die Gesellschaft, nicht den Staat. Den mag er – Sloterdijk und anderen Liberalen ähnlich – gar nicht.

 Über den Invektiven gegen private Unsitten vergißt man leicht die Raffgier der größten Institution, welche die Ge­schichte hervorgebracht hat: den modernen Steuerstaat. Nichts ist gefräßiger als das Ungeheuer Leviathan. Das grenzenlose Wachstum seiner Aufgaben steigert Schulden und Geldappetit ins Unermeßliche. Habsucht von Amts wegen ist weit ruinöser als die Narretei des alten Königs. Der Staat erstickt nicht in Geld und Gold, sondern treibt die Gesellschaft dem Bankrott entgegen. Heerscharen argloser Diener sind damit beschäftigt, das Ungeheuer zu nähren und seinen Stoffwechsel in Gang zu halten. Kein gnädiger Gott wird sie je von dieser Torheit er­lösen.

Das ist natürlich zu kurz gedacht, weil die Ursachen weggeklammert bleiben und weil ja sonst keine Instanz in Sicht ist, die anstelle des “Steuerstaats” die Folgen der liberal-erwirkten Ungleichheiten auch nur im Ansatz beschränken könnten. Es geht ja um Materielles: “Armut und Ungleichheit sind die wichtigsten Gründe für Krankheit. Zwei Jahre nach jeder Wirtschaftskrise steigt die Zahl der Infarkte.“ (Bernard Lown, Friedensnobelpreisträger) Das ist als Laster nicht zu beschreiben.

Die Sätze stehen wie eingemeißelt, sie drücken aber auch aufs Denken und dämpfen die Kritik. Widerspruch wird nicht erwartet. Das strengt beim Lesen an, weil man befürchtet, einen Satz – jeder ist wichtig – nicht genau genug gelesen zu haben, meint dann aber, den Satz kurz vorher schon gefunden zu haben. Komprimiert im Girlandenstil. Man kann der Lasterhaftigkeit nicht entgehen, alles ist abgedeckt, entlastend nur, dass es immer die Bekannten sind, die von der Untugend stärker befallen sind. Will man nicht von Sofsky in den Sack gesteckt werden, hilft nur aktive Zustimmung zu seinen Thesen. Aber:

Harmo­niesucht gehört zu den unangenehmsten Ausgeburten mensch­licher Feigheit. Sie tarnt sich als moralische Tugend und pro­pagiert Friedhofsruhe als Beweis der Vernunft. Nichts ist ihr verhaßter als Streit und Zwist. Bei jedem heftigeren Wortwech­sel ertönt sofort die Mahnung nach Einheit, Einigkeit und Kompromiß. Streitlustige Zeitgenossen sind höchst verdächtig, Polemik gilt als Zänkerei, Unversöhnlichkeit als Charakterfeh­ler. Federkriege hält man bereits für den Untergang der Werte­ordnung. Parteienzwist bedroht angeblich den Staat, und wo­chenlange Arbeitskämpfe ruinieren gar den Wohlstand und inneren Burgfrieden. Selbsternannte Schutzherren der gemei­nen Sittlichkeit können sich Zwietracht nur vorstellen in einer «Streitkultur» wohlanständiger Hasenfüße. Feindseligkeiten sind verpönt, allenfalls gestattet man sich «sachliche Mei­nungsverschiedenheiten». Was immer antagonistische Gefühle aufheizen könnte, wird schleunigst ausgekühlt oder als Tabu­bruch markiert.

2009       270 Seiten

 

 Leseprobe beim Verlag C.H.Beck

 

   

Klaus Werner-Lobo: Uns gehört die Welt!

 2010

Ein Buch für Schüler und Einsteiger ins Thema „Globalisierung“. Werner-Lobo schreibt über internationale Machenschaften in den Bereichen Kleidung, Nahrung, Medizin, Energie, Rohstoffe u.a.m. Angehängt sind Firmenportraits von multinationalen Konzernen. Das ist alles nicht ganz neu, in der Zusammenstellung aber doch wichtig. Zu jedem Kapitel gibt es Tipps für eigene Handlungsmöglichkeiten und interessante Links.

Die Links findet man auch auf der Webseite zum Buch.

 

Hilal Sezgin (Hg.)
Manifest der Vielen – Deutschland erfindet sich neu

2011

Der Anti-Sarrazin, aber nicht die Widerlegung seiner Kruditäten, sondern ein selbstbewusster, kluger, informierter, also aufgeklärter und aufklärerischer Entwurf einer multiethnischen, multireligiösen, globalisierten Gesellschaft im Deutschland von heute. Die vielen Autorinnen und Autoren befassen sich mit Fragen von Integration, Bürgerrechten, sozialen und individuellen Differenzen, Religionszugehörigkeiten, Medienöffentlichkeit und manchem mehr. Neben subjektiven Beiträgen stehen wissenschaftliche Analysen, eine „Vielfalt der Stimmen“ (Sezgin). „Staatsbürgerkunde elementarer Art“ (FAZ) – „Dieses Buch tut not“ (ZEIT) – Monokulturen sind nicht gut – das weiß man woanders schon lange.

Link: Video des Hessischen Fernsehens hier

Fragen:
Als Muslim(a) wird man geboren, es gibt keine Taufe, keine verfasste Kirche, keinen Austritt, keine Apostasie im christlichen Sinn. Zeigt sich die Nichtgläubigkeit irgendwie, wie ist der Weg vom Moslem zum Atheisten?

Heißt Aufklärung nur Toleranz (anderer Religionen) oder sollte da auch Religionskritik im Sinne von Aufhebung dazukommen?

 

Carsten Frerk
Violettbuch Kirchenfinanzen

2010

Frerk untersucht detailliert, „wie der Staat die Kirchen finanziert“. Er zeigt, dass 1803 mit dem Reichsdeputationshauptschluss nicht die Kirche enteignet wurde, sondern meist Lehen nicht wieder verteilt wurden einschließlich finanzieller Absicherung der früheren Lehensnehmer. Aufgeklärt wird darüber, wie in der Weimarer Reichsverfassung (Art. 137) die Trennung von Kirche und Staat festgeschrieben wurde und dass diese Bestimmungen 1949 ins Grundgesetz übernommen wurden, ohne dass sie bis heute als geltendes Recht durchgesetzt würden.

An einer Vielzahl von Beispielen werden Verflechtungen von Kirche und Staat in Deutschland gezeigt, die dazu führen, dass der Staat den Kirchen pro Jahr etwa 20 Mrd. Euro an Zuwendungen zukommen lässt. Nicht zu reden davon, dass der Staat der Kirche fast ohne Kosten die Kirchensteuer eintreibt (etwa 2 Mrd. Euro).

Einige Stichwörter: Absetzbarkeit der Kirchensteuer, Zahlungen für Kindertageseinrichtungen, Religionsunterricht, Konfessionsschulen, Dotationen der Bundesländer, Bauzuschüsse u.v.m. Die oft gehörte Meinung, „die Kirchen tun aber doch so viel Gutes“ weicht dem Wissen, dass dieses „Gute“, die Kindergärten, die Krankenhäuser usf. staatlich finanziert sind. Und auch die Bischöfe!

Link: www.kirchensteuer.de

Frage:
Nach Art. 7 GG ist Religionsunterricht in den Schulen „ordentliches Lehrfach“. Warum aber weigert sich die Kirche nicht, sich diesen konfessionellen Unterricht auch von Nichtgläubigen bezahlen zu lassen?

 

Herder Verlag: Wissen was stimmt

Eine Buchreihe mit gut aufbereiteten Basis-Informationen mit breitem Themenspektrum. Beispiele: Amoklauf, Türkei, Islam, Evolution, Depression, Ernährung, Islam, …

Sachlich und objektiv, trotz katholischer Ausrichtung des Verlags, bei politischen und weltanschaulichen Themen kann es natürlich verschiedene Auffassungen geben.

Link: Übersichtsseite des Verlags 

 

Albrecht Müller/Wolfgang Lieb
Nachdenken über Deutschland

Das kritische Jahrbuch 2010/2011-04-26

Das Buch ist ein Jahrbuch, d.h. eine Zusammenfassung von Artikeln der NachDenkSeiten. Deshalb nicht immer ganz aktuell, dafür werden Kontinuitäten sichtbar. Kritisch heißt,

„dieses Buch wird aufregen und will anregen. Aufregen, weil es Dinge klipp und klar benennt, die so in der Öffentlichkeit sonst nicht zu hören oder zu sehen sind. Und anregen zum Nachdenken mit dem Ziel, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger immer weniger bereit sind, sich von skrupelloser Manipulation und willfähriger Meinungsmache bevormunden zu lassen. Mit dem kritischen Jahrbuch wird das Nachdenken und Hinterfragen wieder heimisch“. (Klappentext)

Themenbereiche: Wirtschaftspolitik, Finanzmarkt, Medienmanipulation, Sozialstaat, Bildungspolitik, …

Aktuell gibt es auf den NachDenkSeiten jeden Tag die „Hinweise des Tages“ mit vielen Links zu Artikeln in anderen Zeitungen/Medien.


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