Jan Seghers: Die Akte Rosenherz
Robert Marthaler heißt Jan Seghers’ Frankfurter Kommissar, aber er „soll nicht rumsitzen, aber (…) darf nichts tun“, weil in den aktuellen Fall auch Marthalers Freundin Tereza verwickelt ist. Sie wurde bei einem Kunstdiebstahl angeschossen und liegt schwerst verletzt in der Klinik.
Marthaler wird auf einen nicht aufgeklärten Fall aus dem Jahr 1966 aufmerksam, in dem ebenfalls der Diebstahl von Kunstwerken eine Rolle spielte und der in seinem Gehalt an den Fall Nitribitt erinnert. „Die als Edelprostituierte bekannte Nitribitt erlangte durch ihren Tod in der Bundesrepublik der Fünfziger Jahre landesweite Berühmtheit“ (Wikipedia) – sie wurde zu einem deutschen Mythos. Helga Matura – Gerhard Richter hat sie mit ihrem Verlobten gemalt – wurde ebenfalls auf grausame Weise ermordet, auch diese Tat ist bis heute ungeklärt. Seghers „Akte Rosenherz“ basiert auf diesem Fall Matura, ist aber natürlich Fiktion.
Es dauert aber fast das halbe Buch, bis dieses Thema ins Zentrum rückt. Seghers bemüht den Zufall und lässt auch die Journalistenschülerin Anna Buchwald an der „Akte Rosenherz“ interessiert sein und führt sie mit Marthaler zusammen. „Bin ich die Anna“ Buchwald „war von einer geradezu katzenhaften Unabhängigkeit“, sie war „ein bisschen mollig. Üppig. Voluptuous“, aber sonst sympathisch taff, selbstbewusst und schlagfertig.
Beide ergeben ein phantastisches Team, ein bisschen außerhalb der behördlichen Legalität, doch dafür umso effektiver. Gemeinsam tragen sie die Puzzleteile zusammen und lösen damit den schon abgelegten Fall Rosenherz. Am Beginn ihrer Kooperation machen sie die Konditionen aus:
«Fertig?», fragte sie. «Dann bin ich jetzt dran. Erstens: Ich werde kommen und gehen, wann ich will. Ich werde tun und lassen, was ich will. Sie sind nicht mein Vorgesetzter, wir sind ein gleichberechtigtes Team.»
«Im Rahmen der genannten Bedingungen», sagte Marthaler.
«Zweitens: Ich werde mich so selten wie möglich in geschlossenen Räumen aufhalten.»
Marthaler hob die Brauen, aber er sagte nichts. «Drittens: Wir werden uns duzen.»
«Das tun Cousins und Cousinen normalerweise.» «Viertens: Ich werde niemals, niemals mit Ihnen schlafen.»
Marthaler lächelte. «Tja», sagte er. «Niemals-Sex-Gelübde werden aber erst wieder ab neun Uhr morgens angenommen.»
Sie sah ihn verblüfft an. Dann begann sie laut zu lachen.
«Scheiße», sagte sie, «Sie kennen den Film.»
«As Good as It Gets von James L. Brooks. Zwei Oscars, drei Golden Globes. Ich habe ihn mit Tereza im Fernsehen gesehen.»
Solche Konversationsspielchen finden sich öfter, doch ist der Roman meist sehr sachlich erzählt, manchmal bewusst sparsam, auch im Satzbau. Aber das passt zum Krimi, man liest sich schnell ein.
Am liebsten wäre Marthaler sofort in den Ostpark gefahren, um sich den Mann vorzuknöpfen. Aber er war zu erschöpft. Er wusste, dass er in dieser Verfassung äußerst reizbar war, dass er zu Dummheiten neigte, die er später bereuen würde. Um weiter arbeiten zu können, musste er sich dringend erholen. Er brauchte Schlaf. Er beschloss, nicht nach Hause und auch nicht zu den Sabatos zu fahren. Er ging an den Wandschrank und zog aus dem untersten Fach eine Wolldecke und ein Kopfkissen hervor. Es gab öfter Situationen, in denen er bis nachts an seinem Schreibtisch sitzen und sehr früh am nächsten Morgen weiterarbeiten musste. Er klappte die rote Besuchercouch aus, deren Anschaffung man ihm im vorigen Jahr nur nach mehreren Nachfragen gestattet hatte. Zwei Formulare hatte er dafür ausfüllen und auf einem Extrazettel eine Begründung schreiben müssen.
Die Aufklärung ist gut organisiert, alles greift bestens ineinander, jeder Faden findet sein Ende. Die Story benutzt die üblichen Krimi-Ingredienzen, es gibt brenzlige Situationen, man weiß aber – leider -, dass Marthaler und die Anna alles im Griff haben.
Was mir an diesem gediegenen Roman fehlt, ist der zeit-geschichtliche Hintergrund. Die Zeitebene 1966 wird zu wenig erleuchtet, bleibt im Oberflächenklischee stecken.
2008 475 Seiten
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