Wojciech Kuczok : Dreckskerl
Ein Portrait des Schriftstellers als junger Dreckskerl.
Die Familie lebt im oberschlesischen Kohlengebiet, die Bedingungen sind nach dem Krieg und im polnischen Sozialismus prekär, das Häuschen deplorabel und nicht mehr zu bezahlen. Trotzdem gilt es, den Schein zu wahren. Probat verklemmte Mittel hierzu sind die Übertreibung, die Selbstverkennung und die Verleugnung der Realitäten.
Irgendwann verlor der Vater den Überblick über das Alter seiner Lieben, zu viel Sammlung kostete ihn das Addieren der abgearbeiteten Stunden und ihr Umrechnen in Geld, das gewöhnlich doch nicht reichte; und so stellte er, nach nur flüchtigem Abschätzen ihrer weiblichen Attribute, der Töchter Heiratsalter fest. Die Mutter des alten K. umschnürte sich deshalb die nach Leben und Liebkosung drängenden Brüste und ging immer im selben, ungeschickten Kleid, um bloß den Tag des jüngsten Gerichts hinauszuschieben, als aber sie an die Reihe kam, raffte sich der Vater, vom langen Reifungsprozeß seiner Tochter beunruhigt und nachdem er Gott vorsorglich um Vergebung gebeten hatte, zu einer kleinen Untersuchung auf, durchs Badezimmerschlüsselloch gewahrte er die vergeudeten, eifrig verborgenen Formen und erklärte:
»Sonntog kommta Sohn vom Helmut zum Essen, moinem Kollega von da Orbait.«
Und noch:
»Tochta, moch a guta Rindssupp.«
Man ist aufeinander angewiesen, traut sich aber Liebes nicht zu sagen und zu zeigen und so leimt sich die Familie durch derbe Worte und durch Prügel zusammen.
»Na siehst du, sie wird provozieren mich ärgern wenn ich klebe, die Hand wird mir zittern, dann wird es gar nicht ordentlich, geh mir weg, geh am besten in die Küche, wo dein Platz ist!«
»Du, paß auf, gleich geh ich dir in die Küche, hin- und herkommandieren kanns du deine eigenen Leute unten, deine Sippe, und nicht mich, du wirs mich hier herumschieben, verdammt nochmal, wenn ich für das Kind nähe! Rüpel.«
»Was has du gesagt? Rüpel, zum Vater, vor dem Kind?! Du alte Sau, mich wirs du beleidigen? Und du, mein Sohn, wirs die Mutter nicht zurechtweisen? Dann klebt euch doch allein, bitte schön, ich werde mich bei der Gosse nicht anbiedern, basta!«
»Du verdammtes Rindvieh, scher dich mir fort, mein Leben lang helfe ich dem Kind allein, dann werd ich es jetz auch schaffen! Und du heul nicht! Was heulst du? Das Kind weint wegen dir, du Dreckskerl, du alter elender Rüpel!!«
»Brüll mir nicht auf dem Korridor, du Kuh, scher dich auf die Weide! Die Nachbarn müssen nicht wissen, daß ich eine Kuh in der Wohnung halte!!«
Der „alte K.“ – Namen gibt es nicht – will, dass sein Sohn, der Erzähler, ein ordentliches Mitglied der Gesellschaft wird und bleut ihm dies bei allen Gelegenheiten ein. Und Gelegenheiten finden sich viele.
Der alte K. war darauf bedacht, immer einen Hieb zu viel zu verteilen, einen Streich auf Vorrat, damit ich es mir besser merkte (er konnte nicht wissen, daß man sich das gar nicht besser hätte merken können), damit ich es nicht vergaß – ich konnte ihm nicht begreiflich machen, daß man das nicht vergißt. Selbst wenn ich imstande gewesen wäre, ihm das zu sagen, hätte er es nicht geglaubt, denn ihn hatte niemand je mit dieser Peitsche geschlagen;
selbst wenn ich imstande gewesen wäre … Aber ich konnte gar nichts, außer zu schreien »Papa, nicht hauen!«; obwohl später, nach dem zweiten oder dritten Streich, nach der zweiten oder dritten pädagogischen Seance nur noch »nicht hauen!«; und später, nach dem zwanzigsten oder dreißigsten Streich, nur noch »nein!«. »Nein!« war wohl die verständlichste Antwort auf alle nur möglichen Unklarheiten, auf alle mutmaßlichen Fragen, und auch auf die, die der alte K. mir stellte, während er mich mit dieser Peitsche schlug. Die der alte K. mir reihenweise stellte, wie er mir reihenweise Hiebe mit d i e s e r Peitsche verpaßte. Er fragte:
»Wirst du noch?« – (Hieb) – »Wirst du noch?« – (Hieb) – »Wirst du?« – (Hieb) – »Wirst du?« – (Hieb) – »Wirst du noch?« – (Hieb).
Und obwohl ich nicht ganz genau wußte, worum es ihm ging, ob darum, ob ich noch einmal, wie das Eltern zu ihren Kindern sagen, »ungezogen« sein werde (was in seinem Fall bedeuten würde, nicht vollkommen absolut und zu wenig bedingungslos unterwürfig), oder ob vielleicht auch darum, ob ich überhaupt noch dasein werde – und dann, wenn dieser Schmerz sich in mir einrichtete, wenn er sich vermehrte und häuslich niederließ, war ich unverändert überzeugt, daß ich nicht dasein würde; daß ich schon überhaupt nicht mehr: essen, trinken, atmen, existieren würde, damit er nur aufhörte zu schlagen.
Es gibt die üblichen Instanzen, die den “Dreckskerl” umzingeln, ihn gefügig machen wollen, seine (Homo-)Sexualität unterjochen: die Nachbarn und Verwandten, die Kirche natürlich, die Schule natürlich. Der “Dreckskerl” möchte, kann sich aber nicht entziehen – durch Krankheit etwa, indem er abhaut. Er nimmt sein Schicksal an, indem er es minutiös beschreibt, seine Gedanken einflicht, sein Unverständnis offenbart, aber auch seine Rachegedanken, seine Tyrannenmordfantasie. Das ist stilistisch eigen und gekonnt, oft auch lustig, der Humor ist schwarz, das Ende gar apokalyptisch. Die Zeit ist nach dem Kriegsende, sie reicht durch dieses Haus in die dreißiger Jahre zurück, auch in die Zeit der deutschen Besatzung, es ist aber für mich kein Roman der “polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert” (Klappentext)
Nach dieser Intervention spürte Gucio, daß er hier schon die höchste Stufe des Komforts im Leben erreicht hatte, da er in seiner Frau einen treuen und energischen Verbündeten gefunden hatte; er begriff, daß er mit ihr nicht untergehen würde, daß er jetzt schon nichts mehr schwernehmen müsse, jetzt konnte er nur aus dem Sessel zuschauen, wie das Töchterchen laufen lernte, wie seine Frau im Haus wirtschaftete, wie sie flink mit dem Blick durch die Zimmer wischte und selbst die winzigsten Falten im Teppich, die kleinsten Flekken auf den Tischtüchern, Unregelmäßigkeiten der Gardinenfalten bemerkte, er schaute aus dem Sessel und fühlte, daß das Glück gerade darin bestand, sich im Leben ein für allemal geborgen zu fühlen, sich an einem Punkt zu befinden, an dem er schon kein Risiko mehr einzugehen brauchte, um Schutz vor der Welt zu finden und namentlich vor sich selbst – und man muß zugeben, daß seine Frau Gustave außerordentlich erfolgreich vor Gucio schützte.
Na, und gerade dann dieser Krieg:
»Das geht uns nichts an, geht an uns vorüber«
diese Wehrmacht:
»Ich weiß ja, daß sie Schlesier ziehen, aber doch die Rotzbengel«
diese Anwerbung:
»Das ist Mißverständnis, ich habe Kind, ich habe gute Ausbildung! Versteht er mich denn nicht?«
diese Kaserne:
»Ich schreibe Dir, Liebling, in der Hoffnung, daf.f es Dir bald gelingt, dieses Mißverständnis aufzuklären, zur Zeit liegen wir …«
diese Alpträume:
»Olsa, Jungs, wenn ich brüllä nochts, schubst mia bloß, oba arstickt mich nit, verdammta Kerla, mütm Kissan!«
dieser Abmarsch:
»Diese Hurensöhne nehmen uns ja als Kanonenfutter, die eigenen Leute würden sie nicht hinschicken …«
dieser Schützengraben:
»Nimm uns unter deine Obhut, Heilige Mutter Gottes …« dieser Sturm:
(Ich wollte malen Laufschritt Laufschritt wollte Ruhe haben Sprung Sprung hatte ein geordnetes Leben Ducken Ducken Gott vergib mir diesmal noch vergib mir oj jetzt schießen sie richtig schießen auf uns bloß bis zum Trichter bloß in den Trichter es trifft nie zweimal dieselbe Stelle …)
und endlich dieser Trichter:
(… abwarten abwarten abwarten das ist nur wie ein Gewitter wenn man sich gut versteckt trifft der Blitz einen nicht oj sie schießen Mama bete für mich Mama Papa betet jetzt für mich o Jesus Maria ich höre nichts ich war ja krank ich war ja in Behandlung solche wie ich gewinnen ihnen den Krieg ja nicht ich kann nichts hören o Jesus das Blut läuft mir aus dem Ohr normal läuft ja nichts aus dem Ohr mir ist was passiert ich spüre nichts höre nichts ich will nicht in dieser Uniform will nicht sterben in einer deutschen Uniform raus raus raus … ich spüre nichts … mein Blut … so dunkel … Mama … bete … jetzt )
Wenn Andreas Breitenstein in der NZZ schreibt, dass „dieses „Desillusionierungsdrama“ mitten ins Herz des polnischen Nationalismus und Katholizismus trifft“, sagt das weniger über die Entdeckungen des Romans als über den polnischen Nationalismus und Katholizismus.
2003 175 Seiten
Rezensionsüberblick beim Perlentaucher
SPIEGEL-Infos von Wolfgang Hübel zu Buch und Autor
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