Nachrichten vom Höllenhund


McCullers
18. Mai 2011, 11:14
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Carson McCullers: Das Herz ist ein einsamer Jäger

“Carson McCullers ist in meinen Augen die bedeutendste Autor/in Amerikas, wenn nicht der Welt. Ich habe in ihrem Werk eine Dichte und einen Adel des Geistes gefunden, wie es sie seit Melville in unserer Prosa nicht mehr gegeben hat”, urteilt Tennessee Williams, einer ihrer treusten Freunde. (Zitat bei FemBio) Ich habe bisher nichts von ihr gelesen und war erstaunt, dass „Carson“ eine Frau ist und dass sie 23 alt war, als sie ihren Debutroman schrieb.

Schauplatz ist eine Stadt in Georgia im Süden der USA. Eine Hand voll Personen sind lose miteinander verbunden, treffen sich, gehen auseinander, bleiben aber doch allein, unverstanden. In ihrem Außenseiterleben sind sie typisch für Ort und Zeit, die meisten Schwarze – McCullers nennt sie Neger, doch sind die sozialen Verhältnisse, auch wenn meist an die Hautfarbe gekoppelt, entscheidender. Da ist der schwarze Arzt Benedict Copeland, der sich bis zum Zusammenbruch für seine Patienten einsetzt, der Arbeiter Jake Blount, auch er Weltverbesserer, der Wirt Biff Brannon, der Tag und Nacht sein kleines Restaurant betreibt oder die allmählich erwachsen werdende Mick Kelly. Alle ahnen ein Ziel, haben eine vage Vorstellung von einem Leben, das besser ist als ihres, müssen aber einsehen, dass es 1940 in den Südstaaten keinen Weg dahin gibt.

Zentrale Person im Roman ist der taubstumme John Singer. John Singer verliert seinen Partner und Freund Spiros Antonapoulos an eine Irrenanstalt. Seit er allein lebt, wird seine Wohnung zum Treffpunkt, er, der Taubstumme, hat ein Ohr für die Probleme der anderen, sie fühlen sich bei ihm daheim, verstanden.

Nun geschah es oft, daß Singer angesprochen wurde und seinen Spaziergang unterbrach. Er lernte alle möglichen Leute kennen. Wenn ein Fremder ihn ansprach, überreichte er ihm seine Karte, um sein Schweigen zu erklären. Nach und nach kannte man ihn in der ganzen Stadt. Er ging sehr aufrecht, die Hände stets in den Taschen. Seinen grauen Augen schien nichts zu entgehen, und sein Gesicht trug immer noch den friedlichen Ausdruck, den man meistens bei sehr weisen oder sehr bekümmerten Menschen findet. Er ließ sich gern von jemand aufhalten, dem an seiner Gesellschaft gelegen war. Denn letzten Endes hatte all sein Gehen und Wandern keinerlei Ziel.
In dieser Zeit kamen in der Stadt manche Gerüchte über den Taubstummen auf. In früheren Jahren war er mit Antonapoulos nur zur Arbeit und wieder nach Hause gegangen, sonst aber immer mit seinem Freund zu Hause geblieben. Damals hatte sich niemand um sie gekümmert – es sei denn, daß man wegen des dicken Griechen auf sie aufmerksam wurde. Der Singer jener Jahre war in Vergessenheit geraten.
Nun gingen allerlei phantastische Gerüchte über den Taubstummen um. Die Juden hielten ihn für einen Juden. Die Geschäftsleute von der Hauptstraße behaupteten, er hät­te eine Erbschaft gemacht und wäre sehr reich. In einer Tex­til-Gewerkschaft raunte man sich ehrfürchtig zu, er wäre ein Beauftragter des Gewerkschaftsbundes. Ein einsamer Türke, der vor Jahren irgendwie in die Stadt geraten war und mit sei­ner Familie im Hinterzimmer seines kleinen Wäschegeschäf­tes ein trauriges Leben fristete, wollte seiner Frau einreden, der Taubstumme wäre ein Türke. Wenn er türkisch spräche, verstünde ihn der Taubstumme, so meinte er. Bei solchen Be­teuerungen erwärmte sich seine Stimme, er vergaß, mit den Kindern zu zanken, und war voller Pläne und Tatendrang. Ein alter Mann vom Lande wußte zu erzählen, der Taub­stumme stamme aus seiner Heimat, und sein Vater hätte die beste Tabakernte in der Gegend. All dieses erzählte man sich von Singer.

 Wichtiger aber: Der Roman bleibt nicht privat. Er befasst sich dezidiert mit den Rassenproblemen im amerikanischen Süden, er zeigt die unterschiedlichen Vorstellungen, wie man diese Verhältnisse verändern könnte. Jake Blount, der versoffene Revolutionär, prügelt sich in seinem drängenden Aktionismus, der Arzt Copeland hält am Neujahrstag eine marxistische “Predigt”, er hat seinen Sohn Karl Marx genannt. Sogar die Nachrichten aus Nazi-Deutschland dringen nach Georgia und begleiten die Gespräche.

Es gibt aber in den 1940er Jahren nicht den Ansatz eines Happy-Ends. Singer erschießt sich und Carson McCullers beschreibt das nüchtern, als würde sie alles im Leben kennen.

Eine Weile irrte er mit gesenktem Kopf durch die Straßen, aber die Sonnenglut und die feuchte Schwüle mach­ten ihn beklommen. Mit verschwollenen Augen und schmer­zendem Kopf kam er schließlich in seinem Zimmer an. Nach­dem er sich ausgeruht hatte, trank er ein Glas eisgekühlten Kaffee, dazu rauchte er eine Zigarette. Dann säuberte er Aschenbecher und Glas, zog die Pistole aus der Tasche und Schoß sich eine Kugel ins Herz.

 Copeland wird krank und danach zu seinen Enkeln aufs Land gebracht, Blount macht sich davon, Mick Kelly, die immer von der Musik geträumt hat, wird Verkäuferin bei Woolworth.

 Mick rieb sich mit der Faust die gerunzelte Stirn. So war das also. Die ganze Zeit hatte sie eine Art Wut in sich. Nicht so eine Wut, wie man sie als Kind hat, die schnell wieder ver­raucht – nein, eine andere Wut. Nur gab es eigentlich nichts, worüber man wütend sein konnte. Höchstens das Geschäft. Aber dort hatte sie ja keiner darum gebeten, die Stellung an­zunehmen. Also gab es wirklich nichts, worüber man wütend sein konnte. Ihr war, als hätte man sie betrogen. Nur daß niemand sie betrogen hatte. Also konnte man auch seine Wut an niemandem auslassen. Und dennoch – trotz alledem hatte sie dieses Gefühl: betrogen.
Aber vielleicht würde es mit dem Klavier klappen, und dann wäre alles in Ordnung. Vielleicht war es ihr schon bald möglich. Denn sonst – wozu, zum Teufel, sollte das alles ge­wesen sein? Daß sie so an der Musik hing? Und all die Plä­ne, die sie in der inneren Welt gemacht hatte? Das alles muß­te doch für irgend etwas dagewesen sein, wenn es einen Sinn haben sollte. Und den mußte und mußte und mußte es haben. Ja, es hatte einen Sinn.
Na also!
O.K.
Einen Sinn.

 1940        350 Seiten

 Ausführliche Inhaltsangabe bei Dieter Wunderlich

Biographie von Luise F. Pusch und links bei FemBio

1-2

 

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