Joachim Meyerhoff: Alle Toten fliegen hoch. Amerika
Die lustigste Geschichte ist die, wo der Hund der Gastfamilie Bekanntschaft mit einem Stinktier macht, was die ganze Familie, einschließlich des Hundes, dazu bringt, sich heftig zu „übergeben“, worauf der Hund, damit er seinen Gestank loswerde, mit Margarine eingerieben und in eine Plastiktüte gesteckt wird. Was ihm aber auch nicht gefällt.
Joachim Meyerhoff, er ist mir bisher nicht aufgefallen, hat diese Erinnerungen auf dem Wiener Burgtheater, wo er als Schauspieler engagiert ist, vorgelesen und ist mit dieser „Performance“ 2009 zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen worden. Jetzt gibt’s die Auftritte als Buch, der erste Band widmet sich hauptsächlich dem Aufenthalt des jungen Erzählers (Meyerhoff) als Gastschüler in Wyoming, einem fast menschenleeren Präriestaat in der westlichen Mitte der USA. Meyerhoff ist offen für die vielen neuen Eindrücke und zugleich verwundert darüber, wie die Menschen dort ihr Leben organisieren. Angenehm unschnoddrig schildert er Episoden aus der Gastfamilie, der Schule und spart auch seine Gefühle nicht aus, setzt sich unaufdringlich und sympathisch in den Mittelpunkt, wobei er dabei aber „jeder Koketterie entbehrt“ (Christoph Schröder, SZ), schaut viel zu, passt sich ein und lernt viel.
Es gibt viel zu erzählen: vom Stundenplan, in dem Diving, Climbing oder Woodworking und „Searching for Identity“ einen höheren Stellenwert haben als Mathematik oder Grammatik, von seinen „Erfolgen“ als Basketballer im „Plainsmen“-Team der Schule, von den exzentrischen „Coaches“, vom eigenartigen Verhalten der Mädchen und Jungs, dem Dating und Mooning, von den fürsorglichen, arg religiös-konservativen Gasteltern, seiner Bekanntschaft mit einem Mörder, von seinem anfänglichen Heimweh, von seiner eigenen Familie in Deutschland. Es gibt allerdings einigen Vorlauf, bis er schließlich in Laramie ankommt. Seine Englischkenntnisse sind anfangs nicht so gut, mit der Zeit ist er aber auch in der Sprache daheim und lässt das, unübersetzt, in die Erzählung einfließen.
»Hurry up« rief sie, »hurry up, dinner is starting!« Direkt neben dem Tisch stand ein Fernseher. Eine Sendung begann, in der eine Familie um einen Tisch herum saß, der genauso aussah wie der Tisch, an dem ich jetzt saß. Die gleiche Tischdecke, die gleichen gemusterten Teller und Gläser. Ja, es sah sogar so aus, als würde die Tischdecke in den Fernseher übergehen. Die Fernsehmutter brachte das Essen. In dem Moment kam auch Coach Kaltenbachs Mutter mit dem Essen. Wir beteten und auch die Fernsehfamilie betete. Und dann gab es für uns alle das gleiche Essen. Weiche, mit Truthahn und Pilzen gefüllte Tortillas. Der Familie im Fernsehen schmeckte es ausgezeichnet und sie überhäufte die Mutter mit Lob. Selbst das kleine blond gelockte Mädchen rief strahlend: »I want some more! Mommy, you are the best mother in the whole wide world.« Sie waren trotz der Riesenportionen, die sie in sich hineinschaufelten, alle schlank. Wir aßen eher schweigsam die leicht versalzenen Tortillas und starrten in den Fernseher. Als die Fernsehfamilie aufgegessen hatte, drehte sich plötzlich die Mutter auf ihrem Stuhl herum und sprach uns direkt aus dem Gerät heraus an. »Well, did you like it?« Coach Kaltenbachs Vater murmelte »Not really!«, wurde aber augenblicklich durch ein »Pssst!« seiner Frau niedergezischelt. Im Fernsehen wurde das Rezept für den nächsten Tag angekündigt. Zum Abschied winkte die tortillabeglückte Familie uns zu. Die Sendung hieß »Eat with us!«.
Nicht nur ein Jugendbuch, aber auch das, man findet viele Vorurteile bestätigt, aber keine Denunzierungen. Künftige Austauschschüler sollten das lesen, sie könnten lernen, wie man „ohne ein Klischee im Kopf in einem fremden Land ankommt und deswegen immer wieder die Haltung des Staunenden einnimmt“ (Christoph Schröder).
2011 320 Seiten
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Iris Radisch über ihren „Nachgeschmack“ des Buches (Video)
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