Carson McCullers: Die Ballade vom traurigen Café
Eingeschrieben in den Jahreslauf erzählt Carson McCullers die Geschichte vom „traurigen Café“ und bevölkert es mit drei Personen, die sich seltsam anziehen und abstoßen. Das Café in einem „trostlosen“ Südstaatenstädtchen ist eigentlich nicht traurig, sondern der einzige Platz zum Treffen, zur Kommunikation und somit auch der Ring für Schaukämpfe und Spekulationen. Miss Amelia – „Sie war eine dunkle, hochgewachsene Frau und hatte Muskeln und Knochen wie ein Mann“ -, Marvin Macy, ihr 10-Tage-Ehemann, ein bösartiger Charakter und Zuchthäusler, und Lymon Willis, klein und verwachsen, angeblich ein Verwandter von Miss Amelia, umschwänzeln sich, die Geschlechterfrage ist nicht eindeutig geklärt, es gibt keine Sexualität, aber keiner kann vom anderen lassen.
Er fühlt es in seinem Herzen, dass seine Liebe ihn vereinsamt. Er erlebt eine neue, seltsame Einsamkeit, und er leidet unter dieser Erfahrung.
Carson McCullers spielt mit der Geschichte, sie teilt dem Leser mit, „nun müssen wir einige Zeit verstreichen lassen“, sie lässt es zum ersten Mal seit Menschengedenken schneien, weil sie das Wetter für die Stimmungen braucht, sie geht sehr subjektiv mit der Zeit um, sie streut altkluge und schmerzlich empfundene Sentenzen ein.
Etwas Wunderbares geschah. Am zweiten Januar wachten die Menscheu auf und fanden die ganze Welt um sich her verändert. Dumme kleine Kinder schauten aus dem Fenster und waren so erstaunt, daß sie zu weinen anfingen. Alte Leute nahmen sich die Vergangenheit vor, konnten sich aber nicht erinnern, hierzulande etwas Ähnliches erlebt zu haben. In der Nacht hatte es nämlich geschneit. In den dunklen Stunden nach Mitternacht hatten die weichen Flocken begonnen, sachte auf die Stadt niederzufallen. Bei Tagesanbruch war der Boden bedeckt, und der fremde Schnee hatte sich vor den rubinroten Fenstern der Kirche aufgehäuft und die Hausdächer weiß überzogen. Er verlieh der Stadt ein bleiches, leergeblutetes Aussehen. (…) der Schnee selbst war von einer Schönheit, wie sie kaum einer in der Gegend je gesehen hatte. Der Schnee war nicht weiß, wie ihn die Leute aus dem Norden beschrieben hatten: im Schnee waren Töne von weichem Blau und Silber, und der Himmel war ein sanftes, schimmerndes Grau. Und dann die träumerische Stille des fallenden Schnees – wann war die Stadt je so ruhevoll gewesen?
Das ist die Metapher des Cafés:
In den dunklen, stillen Winternächten bildete das Cafe den warmen Mittelpunkt der Stadt, und seine Lampen strahlten so hell, daß man sie eine halbe Meile weit sehen konnte. (…) Doch es waren nicht nur die Wärme, der Schmuck und die Helle, die das Cafe zu dem machten, was es war. Es war da noch ein tieferer Grund, weshalb das Cafe der Stadt so viel bedeutete. Und dieser tiefere Grund hat mit einem gewissen Stolz zu tun, der hierzulande bisher unbekannt war. Um diesen Stolz zu begreifen, muß man sich vor Augen halten, wie wenig das menschliche Leben gilt. (…) Verwirrend ist nun, daß alle brauchbaren Dinge ihren Preis haben und nur mit Geld erworben werden können, denn so ist der Lauf der Welt. Ohne zu überlegen weiß man, wieviel ein Ballen Baumwolle oder ein Liter Sirup kostet. Doch das menschliche Leben hat keinen Geldwert; es wird uns umsonst gegeben, und es wird uns genommen, ohne daß wir dafür bezahlen. Wieviel ist es wert? Wenn man um sich blickt, könnte man meinen, daß es wenig oder gar nichts wert ist. (…) Doch der neue Stolz, der mit dem Cafe in diese Stadt gekommen war, berührte fast jeden, sogar die Kinder. Denn um im Cafe sitzen zu dürfen, brauchte man nicht eine ganze Mahlzeit zu bestellen oder den teuren Branntwein zu zahlen. (…) So waren auch die Leute aus der Stadt stolz, wenn sie an einem Tisch im Cafe saßen. Sie wuschen sich, ehe sie zu Miss Amelia gingen, und putzten sich vor dem Betreten des Cafes anständig die Schuhe ab. Dort im Cafe konnten sie wenigstens für ein paar Stunden die tiefe, bittere Erkenntnis vergessen, daß der Mensch in dieser Welt nicht viel wert ist.
Am Ende steht das Café “traurig“ an der Hauptstraße, ringsum mit Brettern vernagelt und so weit nach rechts geneigt, daß es jede Minute einzustürzen droht., “aber man erinnert sich noch heute daran. An das Versprechen, dass das Leben mehr bieten könnte als die “Einsamkeit” des jagenden Herzens.
Southern Gothic, “to explore social issues and reveal the cultural character of the American South” (Wikipedia).
Die Seele verkümmert vor Langeweile. Man kann ebensogut zur Forks Falls Road laufen und den Kettensträflingen zuhören.
DIE ZWÖLF STERBLICHEN | Die Forks Falls Road liegt drei Meilen von der Stadt entfernt, und dort ist die Rotte Kettensträflinge an der Arbeit. Die Straße ist asphaltiert, und der Distrikt hat bestimmt, daß sie an den schadhaften Stellen ausgebessert und an einem gefährlichen Engpaß verbreitert wird. Die Rotte besteht aus zwölf Mann, die alle den schwarzweiß gestreiften Sträflingskittel tragen und an den Fußknöcheln aneinandergekettet sind. Ein Aufseher mit einem Gewehr steht dabei, dessen Augen sich wegen der grellen Sonne zu kleinen roten Schlitzen zusammengezogen haben. Die Rotte arbeitet den ganzen Tag. Sie kommen bald nach Tagesanbruch her, in den engen Gefängniswagen gepfercht, und im grauen Augustzwielicht werden sie wieder weggefahren. Den ganzen Tag nichts weiter als das Geräusch der Pickel, die in den Lehm hacken, und der grelle Sonnenschein und der Schweißgeruch. Und jeden Tag klingen Lieder auf. Eine einzelne tiefe Stimme hebt wie fragend mit ein paar Takten an, und nach einem Weilchen fällt eine andere Stimme ein, und bald singt die ganze Rotte. Die Stimmen klingen dunkel durch den goldenen Glanz; ihre Melodien sind kunstvoll verwoben und halb schwermütig und halb fröhlich. Der Gesang schwillt an, bis es zuletzt so scheint, als ertöne er nicht aus den Kehlen von zwölf Männern einer Sträflingskolonne, sondern aus der Erde oder dem weiten Himmel. Es ist eine Musik, die einem das Herz aufschließt, so daß sogar der Zuhörer vor Entzücken und Furcht erschauert. Dann verebbt sie langsam, bis zuletzt nur noch eine einzelne, einsame Stimme übrigbleibt, und dann nichts mehr als ein großer, heiserer Atem und die Sonne und das Geräusch der Spitzhacken in der Stille.
Und was für eine Rotte ist das, die solche Musik hervorzaubern kann? Bloß zwölf sterbliche Menschen, sieben schwarze und fünf weiße Burschen aus unsrer Gegend. Bloß zwölf sterbliche Menschen, die zusammengehören.
O Brother, Where Art Thou?
1943 100 Seiten
Jenny Dam hat schöne Bilder dazu gemalt.
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