Nachrichten vom Höllenhund


Shteyngart
28. Juli 2011, 19:25
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter: , ,

Gary Shteyngart:
Super Sad True Love Story

Oje, ein Liebesroman. Achso, er heißt ja schon so. Aber ein Liebesroman, wo die „Liebenden“ nicht kompatibel sind. Ist das nicht bei allen Liebesromanen so? Sie können zusammen nicht kommen. Also ein klischeehafter, konventioneller Liebesroman. Ja. 

Er, Lenny Abramov, ist Sohn jüdischrussischer Immigranten, mit seinen 39 Jahren ein „älterer Herr“, eher nett als schön, dafür zu haarig, er schwitzt, schwitzt, schwitzt, liest (!) Bücher, die auch stinken, ist Angestellter einer Firma für Dechronifizierungsbehandlungen, ein übler Grübler, seiner Familie in Hassliebe verbunden. Sie, Eunice Park, Tochter  katholischkoreanischer Immigranten, schön und klein und flachbrüstig, shoppt und streamt, Texte scannt sie allenfalls, um ihnen Informationen zu entnehmen, sie hat keinen erkennbaren Job, ist ihrer Familie in Hassliebe verbunden. Sie ist um einiges jünger als Lenny, also eine eigene Generation, selbstbewusst.

Der Roman beginnt und endet in Italien, alte Welt, aber „ein viel leichteres, bekömmliches, apartes Land, ein Land der Images“. Dort kann sogar Eunice sich aufhalten.
Haupt-Schauplatz ist New York, ist Amerika, sind die USA, ein sozial tief gespaltenes Land, die Währung ohne Wert bzw. an den chinesischen Yuan gebunden. „Vor allem brauchte ich echtes Geld, keine Dollars.“ Sie stecken in einer Invasion in Venezuela, die Verwaltung hat die Kontrolle über das eigene Land verloren bzw. an die Nationalgarde aufgegeben. Bis es zum „Bruch“ kommt. Die nationale und Weltenlage bettet die Lovestory ein, die Liebe wird in den Zeiten des Zerfalls schwieriger, scheitert aber nicht daran.

Von zentraler Bedeutung sind die Medien, die Vernetzungen, die Verschmelzung von privatem und öffentlichem Leben. Die Äppäräte (so auch im Original) und die Global-Teen-Streams sind allgegenwärtig, Liquidität und Bonität werden an öffentlich einsehbaren „Kreditmasten“ angezeigt, ebenso der „Fickfaktor“, ständig wird man quantifiziert, „gerankt“, der „große Otter“ sammelt alle Daten. Lenny wundert sich, dass manchen Mündern immer noch Wörter und nicht Daten entströmen. Wichtig sind die Äußerlichkeiten, die Oberflächlichkeiten, die Mode etwa: JuicyPussyJeans, TotalSurrenderSlip. Alles ist übersexualisiert, Eunice „braucht […] eine gebrauchsfertige Welle der Erregung, eine vorübergehend geliehene Befriedigung“. Sex heißt Jugend, Sterben ist tabu, man tut alles, um sich dagegen abzustrampeln. Erst im vorletzten Kapitel „FOREVER YOUNG“ schreibt Lenny in sein Tagebuch: „Heute habe ich eine wichtige Entscheidung getroffen: Ich werde sterben.“ Jetzt kann er seinen Frieden finden.

Es gibt zwei Textebenen: die Tagebuch(!)-Eintragungen Lenny Abramovs, worin die eigentliche Ich-Erzählung steckt. Das Tagebuch-Motiv dient lediglich der Abgrenzung zu „Eunice Parks GlobalTeens-Account“, in denen sie weniger Geschehen reflektiert als mit ihrer Familie und mit ihrer Freundin GRILLBITCH über Befindlichkeiten und Lifestyle zu „teenen“. Shteyngart gibt seinem Helden Abramov (Abraham!) den Blick von außen, als Immigrantensohn denkt er in Altweltkategorien, „verbindet die dunkle Innerlichkeit der russischen Literatur“ (Klappentext) mit dem Glitzer der Postmodene.

 „Das Genre, das Shteyngart bedient, ist die Dystopie, also die negative Utopie.“ (Ijoma Mangold, ZEIT) Mangold beklagt, hier sei „nicht die verrückte Hellsicht einer Kassandra am Werk, die die verdrängten Schattenseiten unserer Gegenwart erahnt. Die Zukunft, die Shteyngart zeichnet, ist die mechanische Extrapolation der alleroberflächlichsten Zeitdiagnosen“. Ich lese das nicht als Dystopie, sondern als Satire, nicht Zukunft, sondern Gegenwart, angespitzt. Shteyngart hat Freude an den perversen Entwicklungen, die die amerikanische Gesellschaft genommen hat, und nicht nur die amerikanische, aber die besonders. Allerdings erschöpfen sich die satirischen Einfälle und das Buch wird zunächst gefühlig und darin seicht und kurvt dann in recht banalen Politmoralismus.

Das Buch ist zu dick, gekürzt auf 300 Seiten wäre es ein gutes, aktuelles, trotz seiner Schmonzetten erträglich.

2010        460 Seiten

3

Aktuelles zur Verfasstheit der USA im Tages Anzeiger (Schweiz)


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