Nachrichten vom Höllenhund


Donovan
1. September 2011, 10:34
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Gerard Donovan: Winter in Maine

 Ein traurig Märchen paßt für den Winter, und ich weiß
Von Geistern und Hexen eins.

 Julius Winsome lebt in einer Hütte in der Waldeinsamkeit von Maine, im kalten Nordosten der USA. Es ist erst Anfang November, doch Winsome befeuert ständig seinen Ofen und setzt kannenweise Tee auf, um sich zu wärmen. Die Kälte kommt auch vom Alleinsein. „Wenn ich mein bisheriges Leben in einem einzigen Satz zusammenfassen müsste, würde ich sagen, dass ich seit einundfünfzig Jahren in einer Hütte lebe.“

 Der Wind schlitzte mir die Haut auf. Diesmal wusste ich, dass er Schnee bringen würde, ich merkte es, weil die Bäume wie feines Silber klirrten, das Geräusch des zitternden arktischen Meeres in den Baumwipfeln. Derselbe Wind musste gegen die Bäume geprallt sein und auch den Mond gestreift haben, denn als ich aufblickte, sah ich, dass er sich auf der linken Seite leicht eindellte, wie das Wasser auf dem Kamm einer Welle, die am Strand ausläuft, dann versickert und nur einen hellen Salzfleck auf dem Sand zurücklässt.

Nur kurz hat er eine Beziehung zu einer Frau, sein Partner ist sein Pitbull Hobbes. Der Hund ist ein Mensch für den Menschen, das Gesetz eines jeden Bürgers ist sein Gewissen. Nach außen ist die Hütte isoliert mit Tausenden von Büchern. Winsome holt sich vor allem Shakespeare aus den Regalen, um sich damit sein Leben zu (v)erklären, seine Taten zu motivieren und seine Lynch zu rechtfertigen.

 Laßt uns Arznei aus mächtger Rache mischen,
Um dieses Todesweh zu heilen!

Oft denkt er an seinen Vater und seinen Großvater, denen der Krieg auch psychische Blessuren zufügte. Von seinem Großater hat er ein Gewehr. Er holt es aus dem Schrank, als sein Hund aus nächster Nähe und nahe der Hütte erschossen wird. Die Woche der Vergeltung beginnt. Blutrache, Shakespeare, Hobbes, (USA?).

 Mir schien, dass den Leuten draußen in der Welt niemand erklärte, wo sie nicht hingehen durften. Im Sommer hatte ich einen Ring aus Blumen, der den Wald abhielt, im Winter einen Ring aus Büchern, der die Kälte abhielt, damit ich mich für die Monate der Stille ins Haus zurückziehen konnte. Und um mich herum gab es noch einen anderen Ring, die Tiere, die sich wegen des Futters versammelten, das ich ausstreute, die Vögel, die im Winter auf Samen hofften und sich dafür im Frühling die Seele aus dem Leib sangen. Sie lebten in einem Umkreis von vielleicht hundert Metern, und am Ende überlie­ßen sie sich friedlich dem Tod. Manchmal fand ich einen Vo­gel, der tot im Wald lag, eine Maus, die sich neben einem Stein zusammengerollt hatte. Hoffentlich konnte auch ich einmal so gut sterben. Vielleicht ist das ein Naturtrieb, das behaupten die Menschen zumindest. Aber man versuche mal, einen Men­schen von etwas abzuhalten, was er unbedingt will: Die Leute lassen sich nicht zügeln, sie lassen sich nicht abbringen, auch sie sind an ihre Absichten gekettet, auch das könnte man als Naturtrieb bezeichnen. Die Triebe beherrschen uns alle.

Seine Hütte wird zum Zentrum seiner Rache, aber auch zum Zentrum der Zielscheibe, zu der er für die Einwohner des Ortes geworden ist. Winsome ist Täter und Opfer, er kann sich das eine ohne das andere nicht vorstellen.

 Niemand schoss auf mich, als ich die Scheite in die Hütte schleppte, niemand schoss, als ich die Ofentür öffnete, die Scheite aufschichtete und das Papier darunter anzündete, nie­mand schoss, als ich Teewasser heiß machte und mich mit der Shakespeare-Liste auf den Gartenstuhl setzte, niemand schoss, als ich die erste Seite vors Feuer hielt und im Licht der Flam­men unter der glühenden Pfeife die Wörter las. Der Abend war gekommen, und die Dunkelheit schlich mit ihren eigenen Waffen, hauptsächlich Einsamkeit und Stille, an den Wänden entlang und zielte damit aus allen Ecken gleichzeitig auf mich. Leichtsinnig versuchte ich, das Feuer weiter anzufachen, bis ringsum alles von Rauch erfüllt war und ich die Hüttentür öff­nen musste, damit er abzog und zusammen mit der warmen Luft in die Nacht hinauswirbelte. Schlecht für die Bücher und meine Lunge, für Augen und Atem. Ich stellte mich an die Tür und beobachtete, wie er in der Dunkelheit verschwand. Wenn sie auf mich warteten, war jetzt der Moment gekommen.

Eine Moral gibt es in Winsomes Einsamkeit kaum noch. Schon Vater und Großvater waren zum Kriegführen gezwungen. Gerard Donovan erzählt in präzisen Gedanken seines Helden in einer Sprache, meist kalt wie die Welt außerhalb der Hütte. Wer der Böse ist? Man kann drüber spekulieren.

2006        210 Seiten

Leseprobe beim Luchterhand-Verlag

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