Nachrichten vom Höllenhund


Berg
4. September 2011, 17:56
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Sibylle Berg: Der Mann schläft

Sibylle Berg leidet am Leben. Nein – natürlich ihre Ich-Erzählerin. Sie denkt darüber nach, wie Lebensentwürfe, weil es muss, dennoch gelingen können, allein und in Gesellschaft. Sie weigert sich – im Prinzip -, die Illusionen und Lügen zu akzeptieren, in denen sich die Menschen einrichten, um dieses lange Leben auszuhalten und zu überstehen. Das macht natürlich scheu und misanthropisch.

Seit ich über dreißig war, hatte ich alte Menschen beneidet. Um ihre Rente und die Entspanntheit, nicht mehr unbedingt etwas mit dem Leben anfangen zu müssen, und vor allem um ihre Unsichtbarkeit.
Meinen Tagesablauf hatte ich mit der Perfektion eines meisterhaft gelungenen Ikebana-Gestecks gestaltet, sodass es nicht vorstellbar schien, irgendetwas daran zu ändern, ohne die Schönheit des Ganzen zu vernichten.
Wie fast alle Menschen liebte ich die beruhigende Wirkung von Routine.
Das Frühstück mit der Zeitung im wöchentlich manisch weiß bezogenen Bett eingenommen, die Arbeit bis zum Mit­tag, ein kleiner Spaziergang zu einem Suppenrestaurant. Dann Fortsetzen der Tätigkeit und am Abend ein Film, ein Buch, ein Bad; die Möglichkeiten, es sich angenehm zu machen, waren manchmal fast erschlagend vielgestaltig. Zunehmend empfand ich Telefonanrufe als eine Belästigung, die mich in einer der Tätigkeiten, die meinen Tag strukturierten, störten, und ich erwog die Abschaffung des Apparates; nur schien es mir zu schrullig, um der Idee wirklich zu folgen. Ich verstand, warum Rentner niemals Zeit hatten, warum ihnen oft die Mahlzeiten wichtiger waren als Verabredungen. Mir ging es ähnlich. Wohl fühlte ich mich nur mit den wenigen Personen, die nichts von mir erwarteten und die mich nicht unter Druck setzten, etwas wider meine Gewohnheiten zu unternehmen.
Ich ertrug Unterhaltungen immer weniger. Die meisten Leute waren mir zu uninformiert, der Verstand besetzt von manipulierten Nachrichten, die sie dann ihre Meinung nann­ten, vergessend, dass eine Meinung nicht mehr ist als ein flüchtiger chemischer Prozess. An Meinungen festzuhalten offenbart ein großes Maß an Trägheit.

 Zu sehr nach seniler Bettflucht schienen mir die hektischen Unternehmungen älterer Paare, die kurz vor der Pensionierung das hektische Mountainbiken entde­cken, zu Salsa-Kursen gehen und Abenteuerurlaube auf dem Amazonas verbringen. Verzweifelte Versuche, das Adrenalin der Jugend durch die alten Adern zu jagen. Keine Träne des Bedauerns, wenn Personen unseres Alters, die nicht begriffen haben, dass Geschwindigkeit das Leben nicht verlängert, auf unbekannten Flüssen kentern und von Piranhas verzehrt wer­den.

Das Buch spielt in zwei Orts- und Zeitebenen. Das „Heute“ ist eine Touristeninsel im Chinesischen Meer. Die Frau verbringt ihre Tage meist allein und im Wissen um ihre Überflüssigkeit. Ein seltsam altkluges chinesisches Mädchen läuft ihr über den Weg, Kim: »Ich weiß genau, was du tust. Denk bloß nicht, Kinder wären blöd. Wir sind einfach kleiner, aber unser Gehirn ist gleich groß wie das eines Ausgewachsenen, nur dass es dann mit weniger Sauerstoff versorgt wird, weil all die Energie in eure alten großen Gliedmaßen geht

Die zweite Zeit beginnt vor vier Jahren und wird auf das Heute zugeschrieben, strudelt ins Jetzt. Die Zeitebenen wechseln sich in kurzen Kapiteln ab. Das „Damals“ ist (fast) eine Liebesgeschichte. Die Erzählerin hat einen Mann kennengelernt, eine Insel im Meer der Überflüssigkeit, ein Haltepunkt. Sie zieht in sein Haus im Tessin. Fast rosarot schildert die Erzählerin die Wärme und Geborgenheit. Das Wichtigste sind die Berührungen, sie schützen vor der Kälte, vor der Welt, man fühlt sich wie in einem Zelt. Das ist Wunsch und Perspektive eines Mädchens, das nicht erwachsen werden will, nicht hinaus will in die Welt, in die es ohne Einverständnis gesetzt worden ist. Sympathisch, dass der Mann eher schweigsam ist, groß, in der Holzverarbeitung tätig. Eine unaufgeregte Liebe, in der man nichts beweisen muss, „wohltemperiert“.

 Es roch nach Fisch, Meer und Rauch, und es war genau so, wie man es sich als Kind vorgestellt hatte, im Bett liegend um die Welt zu reisen. Dann legte ich meinen Kopf auf den Bauch des Mannes, wie jede Nacht. Der Bauch hob und senkte sich wie ein Meer, und ich wollte nirgends anders sein als da, wo ich war. Am sichersten Ort der Welt.

Die Geschichte der Zweisamkeit rührt an Kitsch, wird aber gestört von den vielen Momenten der Lethargie, der Gedanken an die bevorstehende Auflösung, eine wiederkehrende Metapher, und an Phantasien über Amputationen, auch dieses Bild taucht häufig auf. Es gibt aber noch kein Ende, denn der Mann kommt auf der Urlaubsreise „abhanden“ (Klappentext). „Alles kann dir genommen werden, dauernd. Wenn du dich wohl fühlst, wenn du vergisst, dass Leben Demütigung heißt, gerade dann kommt es und schlägt zu, der Tod, das Schicksal, Gott, das Böse.“

Es passiert Wesentliches, aber nicht viel, die Handlung, der Schauplatz sind eher Symbol für die Lamentationen, wie man sie von Thomas Bernhard kennt. Sibylle Berg ist „die Expertin des Ennui, die Kassandra des Klamaukzeitalters, die einzige unbeirrbare Propagandistin des Vanitas-Gedankens in der neueren deutschsprachigen Literatur. Die aber nie verleugnet, dass ihre schwarzgalligen Diagnosen des Niedergangs und der Vergeblichkeit nur die Kehrseite der Sehnsucht nach dem Schönen und Guten, Freundlichen und Menschlichen sind.“ (Kristina Maidt-Zinke, ZEIT)

2009       310 Seiten

Leseprobe beim Hanser-Verlag

  Sibylle Bergs Homepage

  Rezensionsüberblick bei Single-Generation

 Fragen Sie Frau Sibylle – Kolumne bei SPIEGEL-Online

2-3

 

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