Nachrichten vom Höllenhund


E la nave va
9. Oktober 2011, 20:31
Filed under: Theater

Johan Simons: E la nave va  (nach Fellinis Film)

Sogar der Großherzog schaut aus wie der Großherzog auf dem Filmplakat.

Den Inhalt von „E la nave va“ kann man bei wikipedia nachlesen.

Johan Simons erzählt die Geschichte des Fellinischen Toten- und Narrenschiffs recht getreu. Auch hier deshalb die Frage: wieso nicht den Film anschauen, sondern ins Theater gehen? Was kann das Theater besser, wo doch schon der Film in Theaterkulissen gedreht wurde?

Simons sucht Symbole. Er maskiert die Passagiere des Oberdecks und setzt sie auf eine schiefe Ebene. Da gerät die dekadente Fassade leicht ins Rutschen, alles taumelt, purzelt, verliert den Halt. Oh wie lustig. Unter der aufwendigen, aber etwas unpraktischen Bühnenkonstruktion wird der Maschinenraum sichtbar. Eng, nur geducktes Stehen ist möglich. Hier verlieren sich zwei Heizer, die Simons aus Eugene O’Neills Sozialdrama „Der nackte Affe“ adoptiert hat. Die Zeit würde passen, das Stück stammt von 1921, aber was die beiden berlinernden Heizer von sich geben, ist holzhammriges Klassenkampf- und Körpersaft-Gequassel.

Im Film tragen die Oberdeckgestalten vor den Werktätigen im Souterrain einen Wettstreit aus. Diesen Wettstreit der aufgeblasenen Sänger kann man nicht nachspielen, weil a) die Sänger fehlen und b) sich auch die Bühne nicht zu den Dimensionen des filmgebauten Schiffsbauchs aufblasen lässt. Also wird, da das Stück Musiktheater ist, ein Chor aufgestellt, der „Lacrymosa dies illa“ aus Verdis Requiem singt. Das sind die schönsten Momente des Theaterabends. Die Mitarbeiter der Kammerspiele, die den Chor gestalten dürfen, bleiben aber stets in der zweiten Reihe.

Die aufgelesenen Serben haben schwarze Gesichter – man sollte wohl an Afrikaner denken – und geben sich so, wie sich der Theaterbesucher Naturvölker vorstellt. Sie setzen sich frech an den Tisch der Oberdeckler und führen simple Stampftänze auf wie dumbe Bimbos. Dass sich die weiße Frau Brigitte Hobmeier doch zu ihnen hingezogen fühlt, ist ein weiteres Klischee.

Die Schauspieler in ihren einzelnen Rollen aufzuzählen, erscheint müßig, da sie hinter ihren Gesichtsmasken nur wenig Entfaltungsraum haben. Was sie sagen, ist zuweilen witzig (ein bisschen), was sie tun, zu oft Klamauk. André Jung soll auch mitgespielt haben.

Das Nashorn des Filmes gibt hier ein Gorilla, der im Unterdeck im Käfig darbt. Am Schluss wird er auf das Oberdeck gehievt, denn auch er darf symbolisieren: die Freiheit, in der die Gefahr liegt.

Es gibt schöne Bilder in der Aufführung: Die Schattenrisse der Figuren im Gegenlicht vor dem gemalten Meer, oder das gemalte Schiff, oder die bedrohliche Nähe des Kanonenboots.

Aber das hätte man auch ohne den Mordsaufwand der Inszenierung bewirken können. Wenn man eine Erzählung oder einen Roman auf die Bühne bringt, kann man seine Phantasie bebildern. Die Übernahme eines Films müsste deutlich mehr bieten. Wenn man Simons’ Gedanken zur Aktualität des Stoffes (im Gespräch mit der SZ) ernst nimmt, fällt die Bühnenfassung noch mehr ab. Zu lang für die Größe.

„Nur wenn man jetzt sagen müsste, was der höhere Sinn der ganzen Reise war – dann überlässt man das Wort doch besser dem Affen, der am Ende die Bühne ganz für sich allein hat. Er grunzt.“ (Tobias Kniebe, SZ)

P.S. Interessant die Reaktion von Brigitte Hobmeier auf den Schlussapplaus, aus dem doch einige Buhs zu hören waren. Das zunächst perplexe Erstaunen löst sich in erhabenes Lächeln auf. Aber gehört das noch zum Theater?

Kammerspiele München       Aufführung am 7. Oktober 2011

Ausschnitte aus Fellinis Film gibt’s bei youtube: hier oder hier


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