Nachrichten vom Höllenhund


Steinfest
9. Oktober 2011, 15:34
Filed under: - Belletristik

Heinrich Steinfest: Gewitter über Pluto

Heinrich Steinfest ist ein begnadeter Stilist – aber auch ein gnadenloser. Alles, was in seiner Erzählung auftaucht, ob Person, Ding, Accessoire, Ort oder Vorstellung, bedenkt er mit stilverliebten Ausblühungen. Der Erzähler, ob Ich- oder Er-, weiß zu allem was, muss es uns sagen, wir stimmen nickend zu, weil wir uns damit überlegen(d) dünken können. Das ist oft gewitzt, teils charmant, meist konservativ abgehoben, kann aber auch nerven. Steinfest ist überdies ein mutiger Metapherer. Das Ornament ist die Message.

Person: Sie brauchte bloß ihren Finger zu heben, augenblicklich unter­brach das Publikum die Ovation. Da stand sie: die perfekte Frau. Wenn es die nämlich gibt, dann gab es sie hier. Hier und jetzt und absolut, und vielleicht sogar von Gottes Gnaden. Weil Perfektion nun aber schwer zu definieren ist, gleichwohl jedoch besteht, könnte man sagen, Mai Hinsand war eine 8, eine Schleife ihrer selbst, welche umgelegt das Zeichen für Ewigkeit ergab. […]
»Bleiben Sie ruhig sitzen, meine Herren«, sagte Mai. Wenn sie sprach – und das war wirklich ein Wunder -, dann eben nicht auf diese outrierte, blödelartige Weise der meisten Sängerinnen klassi­scher Musik, deren Redestil dem Gehstil von Gewichthebern ver­gleichbar ist, dem Gehen mit überbreiten Oberschenkeln. Bei Hill­sand war das anders. Keine Oberschenkel. Sie sprach klar und ungekünstelt. In dieser Hinsicht eher an die Käsebrote erinnernd.

Ort:  Ein Gewitter lag über Wien, jedoch eins von der Güteklasse jener Hunde, die bellen, aber nicht beißen. Aus der Ferne ein wenig Donner, viel schwüle Luft, schwarzer Himmel, ein paar Tropfen, die wie bewußtlose Wasserträger auf den heißen Beton aufschlugen. Lorenz führte Stirling zu einem Cafe, das auf der Vorderseite der Kirche gelegen war. Man setzte sich in den klei­nen überdachten Gastgarten, unter dem es so finster war, als sitze man hinter Rauchglas.

 So mirakulös und bedrohlich und herrschaftlich Kubricks Over­look-Hotel ist, so vollkommen banal erscheint das Timberline Lodge, wenn man einmal davorsteht. Wie ja eigentlich alles expli­zit Touristische sich dadurch auszeichnet, ohne jeden Zauber zu sein. Ich weiß gar nicht, wie diese Leute aus der Tourismusbranche das hinkriegen, nämlich all die ursprünglich so wunderschönen und spannenden Orte und Landschaften in ausdruckslose Gesich­ter zu verwandeln. Man kann das gut an den Pyramiden oder den Alpen sehen, die unendlich müde und bei aller Höhe vollkommen flach dastehen. Durchaus vergleichbar Tieren, die, in einen Zoo gesperrt, ihre Würde und Kraft verloren haben. Was für Rilkes Panther gilt, gilt auch für die Akropolis und das Matterhorn.

 Gedanken: Was ist die Zukunft? Vielleicht die Summe aller Möglichkeiten.
Oder aber es ist umgekehrt, und Zukunft besteht darin, sämt­lichen Möglichkeiten auszuweichen. Wenn man nämlich genau hinschaut, kann man feststellen, daß die Prognosen, die da besagen, es werde einmal so oder so ausschauen, sich niemals erfüllen. Man sollte das allerdings nicht mit einer Wettervorhersage verwechseln. Denn das solcherart angekündigte Wetter ist ja immer bereits vorhanden, nur nicht an dem Ort, für den es gerade prophezeit wird.
Im Prinzip lugen die Meteorologen durch ein Fernrohr, um dann eine Wolke zu sichten, von der sie weissagen, sie würde demnächst auch auf unsere Häupter einen Schatten werfen oder gar herunter­regnen. Zukunftsforschung ist das nicht. Sowenig wie die Wirt­schaftsprognosen, welche im Stil eines Paares Würsteln funktionie­ren, von denen behauptet wird, daß, wenn wir sie nicht demnächst verspeisen, sie kalt werden. Und daß sie kalt unbeliebt sind. Zumin­dest in einer Kultur heißer Würste.

Der Plot ist schnell erzählt, er ist wie immer höchst originell und verschroben. Wahrscheinlich aber wurscht, weil ja der Stil die Botschaft ist. Der bleibt gleich, kann er ja auch, weil es auf der Welt und im All Stichworte ohne Grenzen gibt, zu denen sich Steinfest auslassen kann. Die Methode beschreibt Steinfest auch selbst:

 Sogar hier also: Das, was so verdreht und skurril und zufällig anmutete, war in Wirklichkeit eine saubere Gerade, die zwei Punkte verband.
Und auch das, was nun aus dieser Intervention eines seine Schuld begleichenden Neglectikers folgte, war trotz allen scheinbaren Durcheinanders eine disziplinierte Ansammlung von perspektivischen und verbindenden Linien. Nicht unähnlich den Kompositionsrastern, welche uns die Erhabenheit großer Gemälde nahebringen. – Unordnung ist bloß ein Eindruck derer, welche eine Komposition nicht verstanden haben.
Indes gibt es freilich einfache und komplizierte Kompositionen. Im konkreten Fall war eine als einfach geplante unversehens in eine komplizierte umgeschlagen. Zwar nicht in der Art jener Breie, die viele Köche verderben, aber doch im Stil eines von mehreren Malern gemalten Bildes. Man denke an das von den Surrealisten entwickelte Prinzip des Cadavre exquis, bei der vier Künstler einen »köstlichen Leichnam« produzieren. Vier Künstler also: der namen­lose Killer, der halbblinde Besitzer eines Strickwarengeschäfts, die in die Schulter getroffene Grande Dame der Wiener Unterwelt und nicht zuletzt ein afrikanischer Diplomat, welcher sich auch ohne Bodyguards als wehrhaft erwies und eine Pistole aus seinem Jackett zog. Der Umstand, daß der Killer ein wenig aus dem Konzept ge­raten war – da sich ihm die Notwendigkeit aufdrängte, erstens Lorenz Mohn außer Gefecht zu setzen und zweitens erneut auf Claire Montbard zu schießen -, nützte der Diplomat dazu, seiner­seits einen Schuß abzugeben.

Aber nun doch: Lorenz Mohn beschließt seinen Job als Pornodarsteller aufzugeben und stattdessen einen Strickwarenladen zu eröffnen. Es gibt manch ein Problem, doch als es etwas zu fad zu werden droht, taucht im zweiten Kapitel ein Außerirdischer auf, ein jahrhundertealter Agent vom erdähnlichen Planeten X im Bereich jenseits von Pluto. Mohns Wollladen soll – steinfester Zufall – “Plutos Liebe” heißen. Damit sind die Verknäuelungen programmiert. Wirr gehts weiter. Es spielen mit der Archaeopterix, “Wetter und Sex”, Mord und Morbides, aber “Alles wird gut”. Steinfest behält die Fäden in der Hand.

Steinfest ist etwas für die Liebhaber von Stil und Skurrilität. Die früheren Romane, auch und vor allem die um den einarmigen chineso-wienerischen Ermittler Cheng fand ich interessanter, vielleicht nutzt sich die Methode bei Schreiber und Leser auch ab. Da Steinfest in Stuttgart lebt, bekommt neben Wien auch Schwaben seine Sottisen ab.

2009      423 Seiten

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