Nachrichten vom Höllenhund


Gruber
1. Februar 2012, 14:59
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Sabine Gruber:
Stillbach oder die Sehnsucht

Stillbach, damit fasst Sabine Gruber den Ort der Sehnsucht zusammen. Ruhe heißt nicht nur Ferne von Lärm, sondern auch eine Zeit der Geschichte, die noch nicht beschleunigt war, der Bach ist die Natur, frisch, nicht zerstört vom Menschen, nicht rot von Blut, unberührt, Kindheit und Jugend, karge Idylle, Heimat. Stillbach liegt in Südtirol. Südtirol bietet seinen Bewohnern zu wenig, wenn sie überleben wollen, ein paar Gästebetten halfen da noch nicht weiter.

Weggehen ist Menschennot. Als Ziel bieten sich die großen Städte an, die auch jungen Mädchen Geld und Glück zuraunen. Südtirol hat keine Großstädte, es bleiben Wien, Berlin, Rom. Die Ebene. Wien und Berlin sind deutsch, deutschsprachig, Rom ist die Hauptstadt des Landes. Rom ist gefährlich: die fremde Sprache, das laute Treiben, die nicht einschätzbaren Bewohner, die Männer, cazzolini. Stillbach ist fern, die Gedanken nicht zu vertreiben.

Und auch die Politik, die hinter die privaten Verzweiflungen die Kämpfe und Intrigen um die richtige Herrschaft setzt, lässt sich nicht wegdenken. Die Frauen sind – wie immer – die doppelten Opfer. Sie warten auf die Männer und fürchten sich vor ihnen, sie machen die Arbeit, sie sind die Handlanger der Genossen.

Südtirol ist der Zankapfel, im Gamsgebirg fast nicht auffindbar, aber dennoch hart umkämpft. Der „Dolomitenkrieg“ ist abstruses Beispiel. Die Menschen werden zerrieben zwischen den Ideologien. Die Nazis wüten bis nach Rom, Thema des Romans ist auch das Massaker in den ardeatinischen Höhlen, der Name Priebke spukt bis in die Gegenwart.

Auf der anderen Seite die Widerständler von den partigiani bis zu den Brigate Rosse, Pertini ist Staatspräsident geworden, die Söhne und Brüder liebäugeln mit dem Terror. Ein Strang des Romans spielt 1978, Aldo Moro wird ermordet, Paul VI. stirbt.

All das und noch mehr versammelt Sabine Gruber in „Stillbach“. Dazu braucht es lebendige Personen und ihre Verflechtung in die Geschichte. Kontoversen, Missverständnisse, Emotionen auch, auch Handlungsträger. Sabine Gruber wendet allerlei formale Techniken an, um das Thema zu fassen. Um die sehr disparaten Zeitebenen auf 370 Seiten zu zwingen, setzt sie einen Roman in eine Rahmenhandlung. Gegenwart und Vergangenheit, verbunden durch einige Personen, denen die Zeitgeschichte mitspielt. Aber die Geschichte ereignet sich nicht durch und in den Personen, sondern wird in Erzählungen, Erinnerungen, Gedanken verlagert. Geschichte aus zweiter Hand, oft sind die Informationen und Erinnerungen vage, Gruber lässt ihre Figuren Einträge aus Geschichtsbüchern aufsagen.

Ines ist gestorben und ihre Freundin Clara – aus Stillbach – fährt nach Rom, um ihre Wohnung aufzulösen und sich um den Nachlass zu kümmern. Dabei findet sie ein Romanmanuskript, in dem Ines von ihrer Zeit als Zimmermädchen in einem römischen Hotel erzählt. In wechselnder Perspektive kreuzt sich ihre Geschichte mit der ihrer Chefin Emma, auch aus Stillbach. Emma konnte den ihr versprochenen Johann nicht heiraten, weil er als Nazi-Besatzer dem Partisanenattentat in der Via Rasella zum Opfer fällt. An diesen Johann zurück gehen die Sehnsüchte, Emma weiß, dass die Zeit der Liebe hinter ihr liegt, weil auch ihr „italienischer“ Mann gestorben ist. Für die angehende Studentin, aber insgesamt eher unbedarfte Ines ist die Liebe ein Stochern ins Ungewisse. Ihr wurde eingeschärft, sich vor den cazzolini in Acht zu nehmen. Im „Historiker“ Paul findet sie für kurze Zeit einen einfühlsamen Partner. Dann verschwindet Ines aus ihrer Geschichte, erst nach ihrem Tod wird sie von Sabine Gruber wieder eingesetzt. (Ach ja, sie teilt sich ihr Zimmer im Hotel mit dem italienischen Zimmermädchen Antonella, leichtlebig, der Linken anverbandelt. Kontraste.) Als Clara – wer war das gleich wieder ? – in Rom eintrifft, bietet ihr Paul seine Unterstützung an – der Paul aus Ines’ Roman. Auch hier geht’s nicht ohne wechselnde Sichtwinkel, auch hier wird Geschichte durch das Gespräch darüber ersetzt. Das wird z.T. ärgerlich, auch Gustav Seibt (SZ) spricht von sich „gegen Ende vermehrenden stilistischen und gedanklichen Plattheiten“. Sabine Gruber schreckt nicht einmal davor zurück – und der Lektor hat’s nicht verhindert -, eine österreichische Schriftstellerin namens Sabine Gruber aufzubieten, ohne weitere Funktion im Geschehen.

Der Klappentext ist hilfreich, aber auch da verschwimmen einige Zusammenhänge. Sabine Gruber kann erzählen, hat sich aber mit diesem Konglomerat zu viel vorgenommen. Lebendig ist die Erzählung nur in den privaten Kümmernissen der Protagonisten. Die Zeitläufte bleiben äußerlich. Der Blick in ein Lexikon ist aufschlussreicher. Hermann Peter Piwitt nennt die Komposition des Romans „fast aleatorisch“. Der Kampf um Südtirol, der ja gerade auch in den 70er Jahren tobte, bleibt ausgeblendet, die Südtiroler Frauen hat’s ja in die Hauptstädte verschlagen.

2011        370 Seiten

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Leseprobe beim Verlag C. H. Beck

Sabine Gruber liest bei zehnseiten.de´

In ihrem Roman „Über Nacht“ spiegelt Sabine Gruber die Lebensgeschichte zweier Frauen: Irma in Wien, Mira in Rom. Nicht nur die Buchstaben lassen sich vertauschen, auch die Lebensgeschichten sind über eine Niere miteinander verwoben. Auch dieser Roman ist verschachtelt, hier allerdings ist die Konstruktion sinnstiftend und lässt auch den Leser am Zusammenfinden der beiden Frauen teilhaben. Wenn Sabine Gruber, dann „Über Nacht“.

 


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