Nachrichten vom Höllenhund


Skomsvold
4. Februar 2012, 16:13
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Kjersti A. Skomsvold:
Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich

Kjersti A. Skomsvold ist ein nettes kleines Buch über die Endzeit des Lebens gelungen. Nett, weil die Hauptperson, die jetzt alte Mathea Martinsen sich selbst fast so wenig wichtig nimmt wie sie von der Umwelt beachtet wurde und wird. Immer wurde sie übersehen, nicht bedient, sie war keine bedeutende, keine wichtige Person. Nur einmal stand sie im Zentrum ,und von diesem Ereignis könnte sie zehren – wenn es wen gäbe, den das interessierte. Sie ist zweimal an der selben Stelle vom Blitz getroffen worden. „Aber der Blitz traf mich, nicht ich ihn.“ Und so hat sie sich an Epsilon gehängt, zu zweit geht es leichter, man hat eine Stütze, auch wenn sie und Epsilon sich vielleicht nie verstanden haben. Aber sie haben sich gemocht und gebraucht. Bis zuletzt, denn jetzt ist Epsilon tot und Mathea ist übriggeblieben. Und da die anderen Bewohner von Haus und Umgebung kaum mit ihr reden, redet sie weiter mit Epsilon, der im Statistischen Amt arbeitete und dessen Hobby die Wahrscheinlichkeitstheorien waren. „Ein Tag mit Epsilon ist beispielsweise nicht dasselbe wie ein Tag ohne ihn.”

Jetzt liege ich hier im Bett, bin das Gegenteil von ungeduldig und wünschte, ich könnte den kleinen Rest, der mir noch vom Leben bleibt, aufsparen, bis ich weiß, was ich damit anfangen soll. Aber das geht nicht, dafür müsste ich mich schon einfrieren, und wir haben nur eines dieser kleinen Gefrierfächer über dem Kühlschrank. Von draußen höre ich Menschen von der Arbeit kommen, sie überlegen, was sie zum Abendbrot essen sollen, und ich liege hier, das Ganze erinnert mich an ein Buch, das ich mal gelesen habe.
Vielleicht sollte ich das Licht ausschalten. Aber es macht wohl kaum einen Unterschied, der Sensenmann kann in der Dunkelheit sehen und wird mich so oder so finden. Ich prüfe es nach. In den Beinen. In den Armen. Ich überlege, was mich dahinraffen wird. Ich wackle mit den Zehen, spreize die Finger. Meine linke Körperhälfte ist ganz zweifelsohne taub. Die rechte auch. Aber wahrscheinlich wird es das Herz sein. Vor Epsilon war mein Herz eine Weintraube, jetzt ist es eine Rosine. Vielleicht raffen mich aber auch die Mandeln dahin, auf die ist sowieso kein Verlass.
Es kann lange dauern, bis jemand merkt, dass ich das Zeitliche gesegnet habe. Ich habe von einem Chinesen ge­lesen, der zwanzig Jahre lang tot in seiner Wohnung lag, das ließ sich anhand der Zeitung auf seinem Küchentisch fest­stellen, und als man ihn fand, war er ein Skelett im Schlaf­anzug. So wird es mir wohl auch ergehen. Vielleicht fange ich aber auch an zu riechen, und die Nachbarn denken erst, es wären die Pakistani aus dem ersten Stock, aber wenn auch die anfangen, sich zu beschweren, wird irgendwann jemand darauf kommen, dass es die alte Dame aus dem zweiten sein muss. »Wurde die nicht im Krieg erschossen?«, werden sie fragen. »Nein«, wird mein direkter Nachbar June antworten. »Letztes Weihnachten habe ich sie noch gesehen. Am bes­ten, wir rufen den Notarzt.«
Als ich klein war, träumte ich immer davon, dass mich ein Krankenwagen abholen würde, und sobald einer in der Nähe war, drückte ich mir die Daumen und flüsterte: »Lass es mich sein, lass es mich sein«, aber ich war es nie, die Krankenwagen fuhren immer von mir weg, ich konnte es am Klang ihrer Sirenen hören. Jetzt tönt in der Ferne wieder ein Martinshorn, und der Krankenwagen sollte eigentlich zu mir kommen, denn ich trage eine frische Unterhose und werde bald sterben. Doch stattdessen liegt irgendjemand anders darin, der nicht mehr für sich selbst verantwortlich zu sein braucht.
Draußen wird es dunkel, und ich versuche, mich auf et­was Sinnvolles zu konzentrieren. Und das Einzige, was mir in diesem Moment etwas bedeutet, ist die Frage nach mei­nen letzten Worten.
»Die Wahrscheinlichkeit, dass wir sterben werden, muss geringer sein als e, weil e eine mikroskopisch kleine Menge ist«, meinte ich zu Epsilon. Es sah mir nicht ähnlich, so et­was zu äußern, und ich wünschte, ich hätte etwas anderes gesagt.
Ich möchte etwas Bedeutungsvolles sagen und liege die ganze Nacht wach, um auf etwas zu kommen, was sich reimt. Eigentlich bin ich mir sicher, dass ich hier liegen blei­ben werde. Doch dann kommt der nächste Morgen, und ich merke, wie hungrig ich bin.
Epsilon sagt, dass es statistisch gesehen am wahrschein­lichsten ist, im Bett zu sterben.
Vielleicht sollte ich aufstehen.

Und sie steht wirklich noch einmal auf, liest, was am Schwarzen Brett ihres Miethauses steht, lässt sich auf das Abenteuer “Nachbarschaftsinitiative” ein. Endlich passiert noch etwas, sogar eine Tombola gibt es. Sie kocht Marmelade, sie strickt Ohrenwärmer, sie ist aufgeregt.

»Jetzt ist nur noch ein Gewinn übrig«, sagt die Dame, und meine Wangen fangen an zu glühen, weil ich denke, sie meint mich. Doch dann schnappt sie sich meine Jacke und hält sie hoch. »Diese Jacke ist etwas speziell«, sagt sie, nachdem sie sie ein­gehender betrachtet hat. »Es sieht aus, als ob sie aus Ohren­wärmern zusammengesetzt wurde.«
Ich sinke tiefer und tiefer, alles um mich herum ist unklar und beengt, und als ich endlich wieder an die Oberfläche komme und Luft holen will, um etwas zu sagen, ist es zu spät. Der Gewinner wurde bereits gezogen. Gleichzeitig sagt ein Mann, dass die Toilettentür nun schon seit einer halben Stunde verschlossen sei und niemand antworte, wenn er anklopfe. »Vielleicht ein Schlaganfall?«, meint die Dame mit dem Gewinnerlos, während sie meine Jacke in eine Plastiktüte stopft, und alle sind Feuer und Flamme.

Es ist schön, wie sich Kjersti Skomsvold dieser alten, reichlich naiven Mathea annimmt. Sie nicht bloßstellt, obwohl es so viele Situationen gibt, die Mathea nicht meistert und worüber man lachen könnte. Das heißt, lachen darf man, denn gerade in ihrer lebensfremden Hilflosigkeit ist Mathea überaus sympathisch. Ihr Tick, gereimte Sätze für schön und deshalb wichtig zu halten, ist in Deutschland allerdings von Pumuckl besetzt.

Ich habe einmal von reichen Amerikanern gehört, die Te­lefon und Kabel mit ins Grab nahmen, nachdem sie Edgar Allan Poes Novelle über die lebendig Begrabene gelesen hatten, doch ich hätte ihnen erzählen können, wie überflüs­sig das ist, da einen sowieso niemand anruft.

Kjersti A. Skomsvold hat ein weises und gewitztes, schräges und rührendes Buch aus dem Hut gezaubert, das in seinem schmalen Format mehr Substanz birgt als so mancher epische Wälzer. (Kristina Maidt-Zinke, SZ)

2009        142 Seiten

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