Nachrichten vom Höllenhund


Monteagudo
21. Februar 2012, 13:06
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

David Monteagudo: Ende

Endzeitromane gibt’s ohne Ende. Leider auch diesen, den „Überraschungsbestseller aus Spanien“. Der Klappentext spuckt große Töne: „Der außergewöhnlichste Roman, den Sie je gelesen haben“, ein Buch, das „in neue Welten“ entführt.

Monteagudo greift bekannte Motive des Genres auf, ohne etwas besser zu machen, vielleicht ohne die Vorbilder zu kennen. Es ereignet sich eine Katastrophe, meist plötzlich, die Ursachen und Hintergründe bleiben unbekannt oder werden erst nach und nach enträtselt und in ihrem Ausmaß sichtbar. Seltsamerweise überleben eine oder mehrere Personen die Apokalypse, sie suchen nach weiteren Überlebenden. Darin steckt die zweite Gefahr nach dem Zerstörungspotenzial der Katastrophe: Die Fremden sind genauso verschreckt, auch sie sind latent aggressiv, auch sie wollen weiterleben. Endzeit-Romane sind meist auch road-novels. Die Überlebenden machen sich auf den Weg. Wohin, ist dabei an sich nebensächlich, doch oft ist die Attraktion die Stadt, wo man ja auf weitere Überlebende treffen könnte, die Keimzelle einer postkatastrophalen Gesellschaft, die Einsamkeit, vielleicht Ort einer weiter möglichen Idylle, oder auch das Meer, die Grenze, die Schnittstelle zum Ewigen.

Wenn es mehrere Überlebende gibt, sind natürlich auch die gruppenpsychologischen Strategien der Figuren zentrales Motiv: Wie begegnet man der Gefahr, wie reagiert man auf von außen kommende Risiken, welches Vorgehen wird angestrebt. Diese Mechanismen sind weiterer Kern der Spannungen.

Viele Motive sind symbolisch aufgeladen. Die Katastrophe kann durch die Hybris des Menschen hervorgerufen sein, sie resultiert aus einer unkritischen Überschätzung der Technik, es ist das Ende nach der atomaren Auslöschung, auch die Vereinzelung kann mittels des Wegbrechens einer funktionierenden und verstehbaren Umgebung dargestellt sein.

David Monteagudos Katastrophe trifft seine Gruppe anlässlich eines Wiedersehens. 25 Jahre nach der Trennung werden 9 (ehemalige) Freunde in eine abseits gelegene Berghütte eingeladen, auch neue Bekannte sind dabei. Nur einer erscheint nicht, der frühere Außenseiter, den man gehänselt hat und weswegen das Gewissen pocht.

Es tut einen Blitzerer und die Elektrik funktioniert nicht mehr: Autos, Handys, Feuerzeuge springen nicht an. Die Gruppe macht sich auf den Weg, zunächst zu Fuß, dann mit Rädern. Dabei verschwindet eine Person nach der anderen, die Verbleibenden können sich auf ihr Ende einstellen. Das könnte spannend werden, doch Monteagudo versagt sich zu viele nötige Ingredienzen, vor allem den Ansatz einer Erklärung. Und er hat außer dem seriellen Verschwinden nichts, was die Spannung halten könnte. So bleibt der Leser nur dabei, weil er doch noch auf eine Erklärung hofft. Monteagudos Ersatz sind „wilde“ Tiere, die anlässlich der Katastrophe aus einem Zirkus ausgebrochen sind. Das ist zu billig. Ein weiterer Ersatz ist die ausführliche Beschreibung der Landschaften, die den Weg der Freunde begleiten und die eine trügerische Kontrastidylle darstellen.

Von dem am höchsten gelegenen Haus lässt sich der Weg zur Siedlung vollständig überblicken. Tiefe Spurrillen zerfurchen ihn, die Ränder sind aus­gefranst. Wäre da nicht die Stromleitung mit ihren Be­tonpfählen, die seinem Verlauf folgt, würde man nicht auf die Idee kommen, dass es sich bei diesem steinigen, steil abfallenden Pfad um eine Straße handelt, von der Zufahrten zu mehreren Häusern abzweigen.
Eine bunte, aber schweigende Gruppe aus fünf Frauen und drei Männern geht diesen Weg hinauf. Weiß leuch­ten die Mützen, ab und zu blitzt eine Sonnenbrille auf, die Spitzen grellfarbener Turnschuhe glänzen auf dem flachen Weg.
Einige Minuten zuvor wollte die Gruppe einige Häu­ser inspizieren, wurde aber jedes Mal von wütendem Hundegebell vertrieben. Jetzt bellt nur noch vereinzelt ein Hund, müde, kraftlos. Sonst ist nur das Knirschen der Schuhe auf dem steinigen Grund zu hören. Wenn die Gruppe innehält, herrscht absolute Stille: kein Schrei in der Ferne, kein Motorengeräusch, kein Schuss eines Jägers. Nur die sommerliche Natur gibt Laute von sich: Unzählige Insekten brummen in unterschiedlicher Ent­fernung. 

Und dann die Action:

«Schschscht! Seid mal still!», fordert Hugo. «Ich werde jetzt klingeln. Mal sehen, ob das Ding funktio­niert.»
Hugo drückt den vom Wetter verblichenen Schal­ter, aber es tut sich nichts. Zu hören ist nur das stetige Brummen der Insekten in der gleißenden Sonne, die ih­nen auf den Kopf brennt.
«Ist kaputt», sagt Hugo, als müsse er sich rechtfer­tigen.
«Vielleicht hat es ja doch geklingelt, und wir haben es nur nicht gehört.»
«Kann ich mir nicht vorstellen. Der Eingang ist ja nur ein paar Meter entfernt. Außerdem ist es mucks­mäuschenstill.»
«Oder der Strom ist auch hier ausgefallen.»
«Sag so was nicht!»
«Lasst es uns mit der Haustürklingel probieren.»
«Oder rufen», schlägt Amparo vor und klatscht in die Hände: «Hallo! Guten Tag! Ist hier jemand?» Keine Antwort, nur Hundegebell. 

Ich habe das Buch nur zu Ende gelesen, weil ich dachte, irgendwas muss doch da noch kommen. Es kommt nichts! Das „Ende“ ist eine Geisterbahn mit billigen Effekten.

2009      350 Seiten

4-

Die Werbung weist explizit auf die Tradition von Cormack McCarthys „Die Straße“ hin. McCarthys postapokalyptischer Prospekt ist düster wie die Überlebensmoral der nomadisierenden Banden. Der mit seinem Sohn überlebende Vater versucht diesen für eine positive Zukunft zu retten. Das Zusammentreffen mit anderen Überlebenden macht die Spannung aus: Man kann ihnen nicht trauen, braucht sie aber. Der Hunger ist existenziell, die Waffen sichern das Leben. Bei Monteagudo findet María eine Pistole, aber das ist nicht mehr als ein Gimmick.

Jenseits von Marlen Haushofers „Die Wand“ ist durch eine auch hier nicht erklärte Katastrophe alles Leben erstorben, die unsichtbare Wand ist zugleich Schutz und Gefängnis. Das Allein-Sein wird der überlebenden Eingeschlossenen zur Prüfung, die sie übersteht, indem sie sich um ihren Hund und eine Kuh kümmert und indem sie ein Tagebuch anlegt. „Die Wand“ erschien 1963, konnte in den 1980er-Jahren auch als atomare Apokalypse gelesen werden und hat eine weibliche Heldin.

Vielleicht wäre es interessant, Doris Lessings „Memoiren einer Überlebenden“ wiederzulesen. Lessing phantasiert eine utopische Großfamilie, die Menschen, hinter einer Tapete in ihrem Haus und nach einer Katastrophe, die alle Zusammenhänge über den Haufen gestürzt hat. Die „Memoiren einer Überlebenden“ erschienen 1974 und bilden die Traumata eines gefährdeten und sich auflösenden familiären Zusammenhalts in der Postmoderne ab.

Arno Schmidts Erzählung „Der schwarze Spiegel“ beginnt fünf Jahre nach der Zerstörung der menschlichen Zivilisation im Dritten Weltkrieg, der einen Großteil vor allem des menschlichen Lebens auf der Erde ausgelöscht hat. Der Erzähler fährt mit dem Fahrrad und einer primitiven Überlebensausrüstung durch eine von Massenvernichtungswaffen  menschenleer gewordene Welt. Der historische Bezug ist 1951 noch klar, ein Grund für das Überleben einer einzigen Person wird auch hier nicht genannt. Arno Schmidt schildert den Triumph der Natur über eine für nicht überlebenswert erklärte Zivilisation. Schauplatz ist natürlich die Lüneburger Heide.

Ähnlich misslungen wie Monteagudos „Ende“ ist „Die Nacht der Arbeit“ von Thomas Glavinic (2006). Es ist schon ein Schrecken, allein in Wien überlebt zu haben, doch Glavinic hat keine Kompetenz für diesen Entwurf. Die Hälfte des Romans verbringt der Überlebende damit, sich selbst mit Videokameras aufzuzeichnen, um mögliche Spuren von weiteren Personen zu registrieren. Und da Glavinic gehört hat, dass Endzeitromane auf der Straße spielen, jagt er seinen Helden unmotiviert und sinnlos durch halb Europa, um Action vorzutäuschen.

Mit Cormack McCarthy’s „Die Straße“ vergleichen lässt sich Davide Longos „Der aufrechte Mann“. Italien ist in die Barbarei gefallen, soziale und technische Infrastruktur existieren nur noch in Rudimenten. Der Schriftsteller Leonardo sucht mit den Kindern Lucia und Alberto einen Ausweg – nin die Schweiz oder nach Frankreicht vielleicht. Der Weg ist unsicher, jeder Mensch, auf den sie stoßen, verheißt Gefahr. Schließlich werden sie von einer Rotte sozial verkommener Jugendlicher gefangengenommen und brutal misshandelt. Sie kommen ans Meer, aber man darüber spekulieren, ob das die Realität ist.


1 Kommentar so far
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Zugegeben – es gibt auf jeden Fall bessere Bücher des Genres (und zwei meiner Lieblingsbücher, „Die Straße“ und „Die Wand“) nennst du auch. Aber ich fand „Ende“ vor allem noch einige Zeit nach dem Lesen auch zunehmend besser, weil ich dann doch immer wieder darüber nachgedacht habe. Eine Erklärung gibt es nicht, und da geht es einem wie den Figuren (meine Rezension hier: http://www.leselink.de/buecher/post-apokalypse/ende.html).
Nicht so toll fand ich die Übersetzung (an manchen Stellen ist die Sprache so gewollt cool, dass es einem Gänsehaut bereitet) und das Lektorat, das einige grobe Rechtschreibfehler übersehen hat.
Ansonsten kann man es meiner Meinung nach ruhig lesen – muss man aber natürlich auch nicht :).

Kommentar von Yvonne (@Ivyesque)




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