Christian Kracht: Imperium
Christian Kracht lässt in seiner Südseeballade “Imperium” allerlei Treibgut im kolonialen deutschen Pazifikparadies anlanden. Mit der Ausuferung des deutschen Weltreichs kamen nicht nur seltsame pazifische Eilande zum Reich, sondern auch manch sonderbarer Heiliger tauchte dort auf.
Von Krachts Helden, dem nackenden Sonnenapostel August Engelhardt, liest man nicht nur bei wikipedia, auch der Schriftstellerkollege Marc Buhl veröffentlichte 2011 einen Roman über Engelhardt – und erhebt jetzt Plagiatsvorwurf gegen Kracht (“Wer hat die Kokosnuss geklaut? – SZ). Marc Buhl liest auf zehnseiten.de aus seinem Roman. (Bei mir leider ohne Bild.) Wer etwas über den echten August Engelhardt erfahren will, kann dies bei Golf Dornseif und seinen Artikeln zur deutschen Kolonialgeschichte tun, hier findet man auch viele Bilder: Ein Kokosnuss-Apostel als Heilsbringer Neu-Guineas. Bedient hat sich Kracht auch bei der Comic-Südseeballade „Cortomaltese“ von Hugo Pratt.
Krachts Vermögen ist nicht die Erfindung, sondern der Stil. Und eigentich nur der Stil. Altväterlich, wie ein Reiseabenteuerschriftsteller der Jahrhundertwende, führt er durch die Kokosmarotten “seines” deutschtropischen Spinners. Ironisches Zitat ist auch das Cover. (Das sich in frappanter Ähnlichkeit auch bei Michael Ondatjes neuem Roman “Katzentisch” findet. Ein neuer Kolonialtrend?) Man erinnert sich daran, dass auch das deutsche Kolonialabenteuer, auch mit dem Hintergrund der Katastrophe des Weltkriegs, nur als Seifenoper zu betrachten ist: “Neupommern” als Palmeninsel.
Da wir uns nun bemüht haben, von der Vergangenheit unseres armen Freundes zu erzählen, werden wir im Folgenden also, einem ausdauernden und stolzen Seevogel gleich, dem das Überfliegen der Zeitzonen unseres Erdenballs vollends konsequenzlos erscheint, ja diese weder wahrnimmt noch darüber reflektiert, einige Jährchen überspringen und August Engelhardt dort wieder aufsuchen, wo wir ihn vor einigen Seiten verlassen haben; splitternackt am Strande spazierend, an seinem eigenen Strand wohlgemerkt, sich hier und da bückend, ein besonders reizvolles Muschelexemplar auflesend und es in einen Sammelkorb aus Bast gleiten lassend, den er zu diesem Zweck über die Schulter geworfen hat.
Und hatte er schon vor langem entschieden, sich nicht mehr durch Alkohol beseelen zu lassen, so war doch der Erregungszustand, in den er durch die Kokosmilch versetzt wurde, derartig, daß er selbst im Schlaf wahrzunehmen schien, sein Blut werde sukzessiv durch Kokosmilch ersetzt, ja es war ihm, als ströme durch seine Adern kein roter, tierischer Lebenssaft mehr, sondern der wesentlich hochentwickeltere pflanzliche Most seiner Idealfrucht, der ihn dereinst befähigen werde, seine Evolutionsstufe zu transzendieren. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob seine Diät oder aber seine zunehmende Einsamkeit als Ursache für die sich langsam anbahnende Seelenstörung anzusehen war, zumindest aber potenzierte der ausschließliche Verzehr von Kokosnüssen eine bei ihm schon immer vorhandene Irritabilität, eine Unruhe angesichts bestimmter, vermeintlich unveränderbarer, ihn vexierender äußerer Umstände.
Kracht hält sich Engelhardt nur wegen seiner abgründigen Spinnerei, er ist nur Mittel zur Darbietung seiner, Krachts, Eloquenz und Stilparodie. Wenn sich’s anbietet, genügt Kracht auch ein Myriapode: „Springer und Turm waren, hölzernen Granaten gleich, im Sand neben einem Tausendfüßler eingeschlagen, der sich beim Verzehr eines ihm als Abendbrot dienenden Blattes empfindlich gestört sah und mürrisch durch den Regen davongekrochen war.” An keiner Stelle sympathisiert Kracht mit dem kruden Wahn des Kokovoren, als auktorialer Erzähler darf er sich durchaus erlauben, ihn vorzuführen. “Alles dies aber berührte Engelhardt nicht, da er ja gerade auf dem Weg war, sich nicht nur der allerorten beginnenden Moderne zu entziehen, sondern insgesamt dem, was wir Nichtgnostiker als Fortschritt bezeichnen, als, nun ja, die Zivilisation. Engelhardt tat einen entscheidenden Schritt nach vorne auf den Strand – in Wirklichkeit war es ein Schritt zurück in die exquisiteste Barbarei.” Das lässt an Heinrich Mann denken und seinen “Untertan” und Kracht verdoppelt seine Kritik: an der – “nun ja” – “Zivilisation“ und an der abgedrehten „Zivilisationskritik“ des Sonnenapostels. Engelhardt in Berlin: “Ein paar Haltestellen weiter, am Alexanderplatz, lehnt ein durchnäßter Berliner an einer Hauswand und ißt, mesmerisiert kauend, eine jener labberigen Bratwürste. Das gesamte Elend seines Volkes steht ihm ins Gesicht geschrieben. Die überfettete, gleichgültige Trostlosigkeit, das graue Lamentat seiner borstig geschnittenen Haare, die öligen Wurstsprenkel zwischen seinen groben Fingern – eines Tages wird man ihn so malen, den Deutschen. Engelhardt, ebenso hypnotisiert, fixiert ihn, während der Omnibus durch die Wasserwand vorbeirattert. Für eine Sekunde ist es, als ob ein glühend heller Strahl die beiden verbindet, Erleuchteter und Untertan.”
Ich bin mit meiner Meinung wohl nicht allein, denn „viele Kritiker halten Christian Krachts Roman ‚Imperium‘ für schöne Spielerei.“ (Thomas Assheuer, Die ZEIT) Aber das sei “ein Irrtum. (…) Es gibt viele Möglichkeiten, der modernen Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten, aber Kracht hat die schärfste Variante gewählt, nämlich den gnostischen Dualismus.“ Christopher Schmidt (SZ): “Krachts Roman ist eine mit den Mitteln der Literatur vom Pathos zur Parodie verschobene Rekonstruktion der Apokalypse aus dem Geist der Romantik.“ (?)
Nachtrag: Hilmar Klute, der zuverlässig aufheult, wenn er jemand der verweigerten Indifferenz bezichtigen kann, hat Recht, wenn er in der SZ feststellt: „Das einzige Unbehagen, das dieses Buch auslösen könnte, ist der kokosnussdumme Klappentext von Elfriede Jelinek.“
2012 242 Seiten
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Auf youtube gibt es einen „Science Slam“ über „Das kokovorische Weltreich des August Engelhardt„. Der Slammer sollte aber mehr üben.
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