Nachrichten vom Höllenhund


Sarah-Kane-Trilogie
25. März 2012, 18:28
Filed under: Theater

„Gesäubert“/ „Gier“/ „4.45 Psychose“
Johan Simons: Sarah-Kane-Trilogie

Über Sarah Kane weiß ich wenig, gelesen oder gesehen habe ich keins ihrer Stücke. Dennoch ist man geneigt, die Biographie in die Stücke einfließen zu lassen. Als Versuche, sich schreibend zu entlasten, sich mit expressivem Schrei dem Publikum zu öffnen. Dieses auffordert, zwingt, sich mitzuquälen.

Johan Simons lässt gleich drei Stücke aufführen, die sich, gerade weil sie sich – zumindest in der Inszenierung – stark unterscheiden, gegenseitig erhellen. Simons stützt das durch verfugende Gesten, durch Mehrfachbesetzungen, durch das einigende Bühnenbild.

Es geht um die Vermittlung von Geist und Körper, um die dazwischen eingeklemmte, schmachtende Seele. Es geht um das Tasten nach Liebe, deren Sanftheit sich aber durch die verhüllende Vulgarität nicht entfalten kann. Es geht um den Absturz von Körper und Geist, die Depression.

Simons platziert die „Säuberung“, was ihm vorgeworfen wird, was mir aber durchaus einleuchtet, “in eine abstrakte, vermeintlich unschuldige Kinderwelt, welche die Katastrophen – zuckende Körper, extreme Gefühle, abgehackte Sätze – verharmlost“ (Sven Siedenberg, NZZ, ähnlich andere Rezensenten). Die Figuren sitzen auf ihren Stühlen, versuchen sich zu paaren, wissen aber noch nicht, wer sie selbst sind. Mann oder Frau, Arzt oder Patient, tot oder noch am Leben. Kinder üben in solchen Spielen (Doktor, Vatermutterkind, Dusiehstmichnicht) ihre Rollen, wollen die komplizierte Welt begreifen. Und Kinder sind sehr wohl so derb in ihren Worten, Gesten und Übergriffen, wie es in Sarah Kanes „Gesäubert“ zugeht. So, wie Eltern ihre Kinder „domestizieren“, behandeln die „Ärzte“ auch die Patienten: Ruhigstellen. Ritalin. Sollte die Domestikation scheitern, Dosis erhöhen. Oft wird das Scheitern als Versagen der Eltern gesucht. Ursachen und Nebenwirkungen. Natürlich wirkt das Stück in seiner Sexualität & Gewalt harmloser, man neigt ja auch dazu, Kinder für putzig zu halten. Putzig erscheinen so auch die Übungen in den Geschlechtsrollen: schwule und lesbische Spielchen, Geschlechtsumwandlungen mit Schere und Kleber. –
Das Stück ist, auch wenn’s alleine stünde, zu lang. Gedanken, Worte, Übungen kreisen sich ein, wiederholen sich, die Figuren werden hin und hergeschoben und wieder zurück. Das kennzeichnet psychische Störungen und man kann darin natürlich ein Mittel sehen, den Zuschauer an den Qualen der Personen teilhaben zu lassen. Das funktioniert aber nicht: Man kann Tortur, man kann Langeweile oder andere Plagen nicht übertragen. Das geht auch im Roman nicht. Reizend zeigt Kane/Simons das, als Thomas Schmauser feststellt, dass er wieder zählen kann und das auch Eins um Eins bis 52 vorführt. Irritierter Zwischenapplaus. Am schönsten die Einspielung von „A Day in the Life“, dessen Crescendo schon zuvor mehrfach anklingt.

Die Darsteller bleiben für „Gier“ auf der Bühne, ziehen nur ihre Kinderanstaltskleidung aus und sich „normal“ an. Die Vorführung wird zum PoetrySlam. In perfektem Timing sprudeln die verbliebenen zwei Männer und zwei Frauen (Stefan Hunstein, Sandra Hüller, Sylvana Krappatsch und Marc Benjamin) ihre Sinnsprüche, Sottisen und Banalitäten im Stakkato heraus. Überwältigende Wortberge. Aber es hilft nichts, sie finden nicht zueinander. Auch weil das, was sie eingeübt haben, nicht für die ersehnte Beziehung reicht und für Liebe schon gar nicht.

Nach der Pause, die man herbeisehnt, weil auch die „Gier“ zu lange in sich selbst kreist, das eindringlichste Stück: „4.48 Psychose. Jetzt wird rückwärts gezählt, in Sprüngen, auf den Tod zu. „4.48“, die Stunde der Klarheit. Das Sterben hat schon viel früher begonnen. Der Erzähler weiß das, er fleht, um Hilfe, er ist sicher, dass es keine gibt. Thomas Schmauser, der Mann, trägt den Text vor, der von einer Frau handelt. Aber das Geschlecht ist trügerisch. Auch hier wieder die Frage, ob der Geist denn im richtigen Körper ist, auch wieder der radikale Anspruch des Kranken (kranken?), mehr als das Gebotene zu kriegen. Alles muss es sein. Liebe. Der Strudel schließt sich, wird verschlingend, weil ja gerade diese exaltierte Erwartung zum Extrem des Leids führt. Schmauser sitzt am Tisch vor seiner Text-Partitur, rezitiert, deklamiert, rhythmisiert, bettelt und schreit die Sätze und Wörter der Verzweiflung und Auslöschung. Stark. „Wie Schmauser bis auf die flatternden Hände vollkommen beherrscht argumentiert, seine Definition von Depression erläutert, seinen Selbstmord ankündigt, zwischen stolzem widerständigem Eigensinn und aufflackernden Affekten changiert, das ist fantastisch.“ (Petra Hallmayer, nachtkritik.de)  Umrahmt von einem Streichquintett, das den endgültigen Schmerz in kargen Akkorden unter“streicht“, sitzt Sandra Hüller als Ärztin, zynisch lächelnd, überheblich, unnahbar. Sie weiß noch nicht, dass auch sie mit dem Patienten die Rollen tauscht, selbst Opfer ist. Das Bühnenbild ist gleich geblieben, die Leuchtstrümpfe sind aber ramponiert, gefallen, sie hängen mühsam zwischen den Metallskeletten ihrer Monturen. Ein schöner Prospekt.
Auch „4.48 Psychose“ ufert aus in Endlosschleifen. Der Erzähler braucht das und Sarah Kane hat sich das geschrieben. Als Zuschauer schalte ich immer wieder ab.

Viel Applaus, von den vielen, die durchgehalten haben, für beeindruckende Leistungen der Schauspieler.

Münchner Kammerspiele – Aufführung am 23. März 2012


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