Nachrichten vom Höllenhund


Schrott
10. April 2012, 18:30
Filed under: - Belletristik

Raoul Schrott: Das schweigende Kind

Raoul Schrott nennt sein 200-Seiten-Buch eine Erzählung. Der Erzähler schreibt sie für und an seine Tochter, die ihm von der Mutter entzogen wird, die sich weigert zu sprechen. Er will ihr erklären, wie es soweit kommen konnte, weshalb die Familie nicht funktionierte, weshalb die Personen mit sich selbst nicht zurechtkamen, weshalb er in ihr die Zukunft sieht, die Hoffnung, die für die Erwachsenen nicht mehr sichtbar ist. Der Erzähler spricht sich von der “Obsession, einem Kind das eigene Leben aufzubürden” (Hans-Herbert Räkel, SZ) nicht frei, er will seine Last abladen, er sitzt in der Klinik, die Tochter wird die Aufzeichnungen nicht erhalten.

So wie das eigene Leben in ein anderes Leben übergeht, löst es sich auch auf, sobald einem dieses andere Leben wieder entzogen wird: das Ich wird ausgelöscht und die Welt schließt sich über einem. Es ist mehr als bloße Kastration: wie weiterleben, wenn ein Kind das einzige mögliche Aufbegehren gegen den Tod ist?
Worauf sonst könnte sich aller Glaube an ein Jenseits richten, all die Hoffnungen, mit denen man die eigene Angst vor dem Sterben überwinden will? […] Einzig in unseren Kindern leben wir fort.

So nachvollziehbar es einerseits und lächerlich es andererseits sein mag: es wurde zum Auslöser all un­seren Unglücks. Unsere Beweggründe sind meist ba­nal – werden wir darauf reduziert, reagieren wir im Übermaß. Du einmal auf der Welt, in ihrer Welt, hielt mich deine Mutter fern von dir, entzog dich mir, zog sich zurück mit dir in eine Symbiose, in der ich den Kern ihres Wesen erkannte: nun warst es eben du, die deiner Mutter jene ungeteilte Hingabe zukommen lassen musste, die für sie lebensnotwendig war, und dies ohne den Harm und Gram, den jede Liebe zwi­schen Mann und Frau naturgemäß nach sich zieht. Jetzt, mit dir, brauchte sie mich nicht mehr; ich wurde zur Gefahr, da sie aus ihrer Schwäche heraus fürch­tete, dich an mich zu verlieren. Und so band sie dich an sich, keinem vernünftigen Wort mehr zugänglich, eine Madonna mit ihrem Kind, die nunmehr ihrer in­neren Stimme folgte, unantastbar in ihrer Gloriole, die Magd des Herrn, seit du ihr verkündet worden warst.

Geschichten, in denen Väter ihre Kinder verlieren und sie deshalb überhöhen, werden leicht peinlich. Soviel Erwartung und Rechtfertigung und Selbstbeschuldigung hat das Kind nicht verdient und kann es nicht verarbeiten. Die Tochter wird zur Mutistin: das schweigende Kind, das die Über-Spannung der Erwachsenen nicht aushält. Die Klage über die ‘rechtlosen Väter’ spart Schrott nicht aus, doch seine Erzählung geht viel tiefer.

Schrotts Erzähler kennt die Zusammenhänge zu genau und versucht sie durch ständige Reflexion in den Griff zu kriegen. Die Gefahr ist jedoch nicht zu bannen, dass die ausgeschriebenen Zweifel das Pathos doppeln. Daniela Strigl (FAZ) hört darin den “falschen Ton, der sich bis in die archaisch raunenden Sätze verfolgen lässt”. Das trifft, aber nur oberflächlich, Räkel bewundert das enorme “stilistische Potenzial” des Autors Schrott.

Ah, dieses Pathos; und wie viele Entsprechungen… doch was die verschiedenen Perspektiven auf die Liebe, die unterschiedlichen Ansichten eines Ichs mit­einander verbindet, bleibt mir ein Enigma, das ich nicht zu lösen vermag. Ich sehe darin bloß eine Geometrie der Leere; Tod. Etwas, das mir so rätselhaft ist wie das Wort >unverbrüchlich<.

Sein Erzähler, wie die Mutter und die Tochter ohne Namen, ist Maler. Zum Schreiben gerät er, weil er etwas sagen muss, was er durch das Malen nicht ausdrücken kann. Aber beim Erzählen wie beim Malen interssiert ihn das, was hinter der Oberfläche, der Fassade des trügerischen Scheins liegt: die Narben, die Verletzungen, die sichtbare und verborgene Gewalt. Wenn er von und zu seiner Tochter spricht, tut er das, um “einen Angelpunkt zu erhalten und Klarheit über sich zu erlangen”.

Das Schöne ist stets eine Täuschung: es bereinigt, glättet und zieht dort Linien, wo alles sich verschlingt und ineinander übergeht. Deshalb hätte ich auf mei­ner Seite bleiben sollen, im sicheren Rahmen der Sit­zungen, in ein paar Metern Abstand: die gesetzten Grenzen respektieren, statt deiner Mutter zu nahe zu kommen, und sie mit anderen Augen betrachten als mit diesem gewaltsamen Blick für das Blinde, Taube, Stumme.

Es wird viel reflektiert in Schrotts Erzählung, denn es geht ums Leben. Es geht um die Darstellbarkeit des Lebens und des Leids, um darstellende Kunst und Idealstädte. “Geschichten täuschen darüber hinweg, dass sich ihre Zwangsläufigkeit erst im Nachhinein ergibt; in Bildern hingegen stehen die Figuren nebeneinander, getrennt und dennoch gleichzeitig.” Es geht darum, was die Eltern ihren Kindern mitgeben, an Chancen und an Bedrückungen, es geht um die unendlichen Schwierigkeiten der Liebe, es geht um die schmerzensreiche Mutter und es geht um die Schmerzen der Väter, die zerreißenden Leidenschaften, die Suche nach einem Trost in der Sexualität. Es gibt den Exkurs nach Kroatien und zum Sternenhimmel. Das ist viel, “ein Geflecht von Überangeboten an Kohärenz“ (Räkel). Das ist sehr lesenswert, wenn man es aushält. Schrott hat für das alles die genauen Wörter und kennt die Mythen.

2012         200 Seiten

2-3

 

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