Armin Kratzert: Beckenbauer taucht nicht auf
Anatol Hinueber kommt vom Planeten Koho auf die Erde, genauer gesagt nach München, mit dem Auftrag, einen „hervorragenden Menschen“ zu entführen, eine Lichtgestalt, und wer könnte das anderer sein als Franz Beckenbauer. Bevor er jedoch den „Kaiser“ auf Koho transferieren kann, muss er sich in München und ins Leben von Franz einspüren. Das alles ist nicht ohne Schwierigkeiten für den Außerirdischen, doch mit seinem „extraterrestrischen Betriebssystem“ kann er alles einregeln und wird immer mehr für einen Einheimischen gehalten. Er freundet sich mit dem kleinen „Tschorsch“ an, spielt mit ihm Fußball, kocht für dessen Mutter und findet über die Frauen auch ersten Kontakt zu Beckenbauer.
In diesem Moment sehe ich ihn.
Franz ist da.
Franz Beckenbauer sitzt nur ein paar Meter von mir entfernt auf der den großen Fenstern an der Straße gegenüber liegenden Seite des Salons.
Auch er hat so einen knisternden Nylonumhang übergeworfen bekommen, sein Haar steht frisch gewaschen und fedrig vom Schädel, er hält den Kopf etwas gesenkt und spricht gerade eifrig in sein Mobiltelefon, während die ihm zugeteilte Fachkraft versucht, ganz vorsichtig ihre Arbeit zu vollenden.
Sie hat noch nicht viel abgeschnitten, weil nämlich auf Beckenbauers Schädel auch nicht viel abzuschneiden ist.
Der Bewuchs ist so spärlich, dass ich leider auch auf keine allzu große Ausbeute an frischem, eindeutig zuzuordnendem genetischen Material hoffen kann, ein bisschen dünner weißer Flaum, das ist alles, was bisher auf den Boden gerieselt ist.
Und so stehe ich schnell auf, strecke mich, laufe langsam an einem Regal mit hübsch in Reihe präsentierten Duftund Pflegemitteln entlang, die alle den Namen jenes Meisters tragen, dem dies Geschäft gehört, und komme so in die Nähe Beckenbauers.
Ich sehe ihn aber gar nicht an, sondern lasse meinen Blick von den bunten Flaschen über eine pittoreske Kaffeemaschine zum Fenster wandern und sauge dabei ganz unauffällig alles ein, was von Franz Beckenbauers Haaren auf dem Fußboden gelandet ist.
Und da Beckenbauers karge Locken zwar so kurz wie dünn sind, aber wenigstens kaum mit Zusatzstoffen verunreinigt, lassen sich ziemlich bald einige interessante Feststellungen machen, etwa, dass Franz vor weniger als 24 Stunden einen Reproduktionsversuch unternommen, zu diesem Zweck aber keinerlei bewusstseinserweiternde Drogen geschluckt hat, dass der Anteil gekochter und gewürzter Speisen in seiner Ernährung den der kondensierten, pulverisierten, cremeartigen oder gasförmigen bei weitem überwiegt, dass er das Geschwindigkeitspotential seines Fahrzeugs nur annähernd nutzt und der durchschnittliche Mineralgehalt seiner hornigen Epidermis für eine kommerzielle Verwertung keineswegs ausreichend ist.
Es ist immer lustig, wenn die Gebräuche der Einheimischen von Fremden wahrgenommen und beschrieben werden. Fußball und Leberkäse und die Fortpflanzungsriten gewinnen dabei gleich exotischen Reiz. Kratzert fügt das zusammen mit der existierenden Person Franz Beckenbauer, so dass man sich bald auch nicht mehr sicher sein kann, wie wirklich der Franz denn eigentlich ist. Der Roman hat eine schöne Pointe und lohnt das Lesen, auch weil Kratzert nicht zu sehr ausschweift und die irrwitzige Komödie charmant gestaltet.
2012 170 Seiten
Norbert Hoppe: Ich war Guttenbergs Ghost
Auch in Norbert Hoppes „Ich war Guttenbergs Ghost“ dreht sich alles um die real existierende Figur. Obwohl der Autor explizit darauf hinweist, dass „das, was Sie im Folgenden lesen, (…) eine satirische Erfindung” ist, auch er selbst, Norbert Hoppe, kommt die Satire der Wahrheit wohl näher als diese selbst.
Lediglich Personen und Ereignisse, über die im Zusammenhang mit der Guttenberg-Affäre in den Medien, unter anderem auch in Buchform, berichtet wurde, sind als tatsächliche Anknüpfungspunkte in den folgenden Roman eingegangen. Alles, was darüber hinausgeht, hat keinerlei Entsprechungen in der Realität, sondern ist der Fantasie des Autors entsprungen, der Guttenberg nicht persönlich kennt und schon deshalb keine Behauptungen über ihn aufstellen kann und will.
Aber wollen sie jetzt überhaupt die Wahrheit wissen? Im Augenblick hacken sie alle auf ihm herum und tun so, als hätten sie es schon immer gewusst. Damals haben sie ihn verehrt, und das werden sie garantiert auch wieder tun, wenn er wieder ins Geschäft einsteigt. Sie werden ihn wieder genauso abgöttisch lieben, schon wegen dieser entwaffnenden Manieren. Kein Journalist, das dürfen Sie mir glauben, der nicht umgekippt wäre, wenn Guttenberg ihm gleich am Eingang die Tasche abnahm. Die meisten dachten, das tut der nur für sie, und ihre Texte gerieten ja dann auch dementsprechend verzückt und hymnisch. Aber das war seine Masche. Ich war doch immer dabei. Ich habe ihn in der Schule erlebt, wo er den Lehrerinnen die Taschen trug, und im Studium und in der CSU, wo er ebenfalls immer den anderen die Taschen trug. Wehe, es hatte mal einer keine Tasche dabei, die KT ihm abnehmen konnte!
Genauso, wird man meinen, wird er gewesen sein und ist er noch, der KT.
Einmal hat er dann ja sogar eine ganze lateinische Liturgie gesungen in der Schule, Latein ging ihm über alles, er sprach es, sooft er konnte, er bat um »Dispens«, wenn er mal aufs Klo musste, und er sagte »in refectorium sum«, wenn er was essen ging; das war dann schon auf dem Gymnasium, und dort geriet er dann auch an diesen Friedel, Dieter Friedel, Lehrer für Altgriechisch, der hatte immer so Jungs um sich geschart und zog sich mit denen zurück, um Plato zu lesen und darüber zu diskutieren, auf Altgriechisch natürlich, das war so ein richtiger Kreis von Jüngern, wie bei Stefan George, falls Sie von dem schon mal gehört haben. Das hat dem armen KT dann den Rest gegeben, hinterher hatte er sie wirklich nicht mehr alle, dauernd ließ er dann altgriechische Ausdrücke fallen, egal ob die passten oder nicht, er war da wie so ein bekokster Koch, der mit beiden Händen das Salz ins Essen schmeißt, Hauptsache viel und flächendeckend. Sein Lieblingswort war Kairos. […] Das Vorwort zu der Doktorarbeit habe ich zum Beispiel voll davon geschrieben, der KT war dermaßen begeistert, dass er inzwischen glaubte, er habe das geschrieben. Ah, Kairos, murmelte er immer wieder beim Lesen, sehr gut, sehr gut, Kairos!, hervorragend …
Der fiktive Autor beschreibt seine Zeit mit Guttenberg von der Grundschule, übers Gymnasium bis hin zu Guttenbergs Aufstieg und Fall, wobei der fiktive Hoppe nicht nur die ominöse Doktorarbeit verfasst, sondern vom “Knappen”, der KT abschreiben lässt, zum Politberater aufsteigt; er, Hoppe, habe ja schließlich Politologie studiert. Er dichtet KT eine heftige Affäre mit Katharina Wagner (Bayreuth!) an und sich eine Verliebtheit in Stephanies Haar. Aber alles ist natürlich nicht wahr. Nach Guttenbergs Sturz findet Hoppe einen neuen Job. Auch hier hat die Frau unwiderstehlich blonde Haare.
(Fiktives) Zitat der Katharina Wagner: »Und nach Regensburg komme ich übrigens auch nie mehr mit, wenn du wieder nur in der Walhalla schaust, wo sie deine Porträtbüste hinstellen könnten …«
Amüsant.
2012 155 Seiten
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