Nachrichten vom Höllenhund


Glattauer
3. Mai 2012, 19:31
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Daniel Glattauer: Ewig Dein

Als er in ihr Leben trat, verspürte Judith einen stechenden Schmerz, der gleich wieder nachließ.

Judith hat einen kleinen Lampenladen im fünfzehnten Bezirk, sie ist Mitte dreißig und Single. Was sie nicht braucht, was ihr aber doch fehlt, ist ein Mann. Den trifft sie gleich zu Beginn des Romans, besser: er trifft sie, und zwar mit dem Einkaufswagen, in dem ihr eine Staude Bananen auffällt, am Knöchel. Sie hätte die schmerzhafte Episode bald wieder vergessen, hätten sich nicht die Zufälle gehäuft, dass er, Hannes, sie traf. Er schleicht sich in ihr Leben ein und erweist sich dabei als der “Traum aller Schwiegermütter”.

Der Dienstag nach Ostern verging für sie bei außergewöhn­lich ruhigem Geschäftsgang hauptsächlich im Hinterzimmer unter dem matten Licht der Bürolampe und war reine Pflicht­übung, die ihr die Buchhaltung vorschrieb. Von Bianca hörte man zwischen acht und sechzehn Uhr nichts, wahrscheinlich schminkte sie sich gerade. Um zu beweisen, dass sie an diesem Tag jedenfalls anwesend war, schrie sie knapp vor der Sperr­stunde plötzlich: »Frau Cheeeefin!« Judith: »Bitte! Nicht so laut! Kommen Sie her, wenn Sie mir was sagen wollen.« Bianca, jetzt neben ihr: »Da ist ein Mann für Sie.« Judith: »Für mich? Was will er?« Bianca: »Guten Tag sagen.« Judith: »Ah.«
Es war der Bananenmann. Judith erkannte ihn erst am In­halt seiner Worte. Er: »Ich wollte Ihnen nur guten Tag sagen. Ich bin der, der Ihnen vor Ostern im >Merkur< auf die Ferse gestiegen ist. Ich hab Sie in der Früh hier hineingehen gese­hen.« Judith: »Und da haben Sie bis jetzt darauf gewartet, dass ich wieder herauskomme?« Sie kicherte unabsichtlich. Sie hatte das Gefühl, gerade ziemlich witzig gewesen zu sein. Auch der Bananenmann lachte, sehr schön sogar, mit zwei funkelnden, von hundert kleinen Fältchen umsäumten Augen und ungefähr sechzig strahlend weißen Zähnen. Er: »Ich hab hier nur ein paar Ecken weiter mein Büro. Da dachte ich …« Sie: »Sie sagen gu­ten Tag. Das ist nett. Mich wundert, dass Sie mich erkannt ha­ben.« Das hatte sie überhaupt nicht kokett, sondern völlig ernst gemeint. Er: »Das braucht Sie wirklich nicht zu wundern.« Jetzt sah er sie seltsam an, seltsam verklärt für einen Familienvater mit acht Bananen. Nein, das waren nicht die Momente, mit de­nen Judith etwas anzufangen wusste. Unter den Wangen wurde ihr heiß. Sie musste noch dringend einen Anruf erledigen, er­kannte sie an den Zeigern ihrer Armbanduhr. Er: »Na dann.« Sie: »Ja.« Er: »Hat mich sehr gefreut.« Sie: »Ja.« Er: »Vielleicht sieht man sich wieder.« Sie: »Wenn Sie einmal eine Lampe brau­chen.« Sie lachte, um die Situationstragik ihrer Bemerkung zu überlagern. Bianca kam dazu, diesmal zum günstigsten aller Zeitpunkte. »Darf ich, Frau Chefin?« Sie meinte, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen. Auch für den Bananenmann war das das Signal zum Aufbruch. Bei der Tür drehte er sich noch ein­mal um und winkte wie am Bahnhof, aber nicht wie zum Ab­schied, sondern wie einer, der jemanden abholte.

Er war ein anderer Typ als alle bisher, nicht ihrer und auch keiner, den sie von irgendeiner Frau her kannte. Er war schüch­tern und wagemutig zugleich, verschämt und unverschämt, be­herrscht und getrieben, auf tolpatschige Weise zielstrebig. Und er wusste, was er wollte: ihr nahe sein. Das war ein durchaus ehrenwertes Verlangen, dachte Judith. Sie nahm sich vor, be­hutsam damit umzugehen und nichts zu überstürzen.

Hannes beginnt sie zu umsorgen und er lässt sich nicht beiseitestellen, als ihr seine selbstlose Fürsorge etwas zu viel wird. Als sie mit ihm Schluss macht, entwickelt er sich zum Stalker. „Die Ewigkeit schweißt uns zusammen. Du bist mein Licht und ich dein Schatten.“ Das „Ewig Dein“ wird zur Bedrohung, der Roman kippt in die Psychose. Judith verliert sich und braucht lange und vor allem ihren Lehrling, bis sie sich wiederfindet.

Daniel Glattauer teilt den Roman in 15 “Phasen” ein, der Hinweis, dass er etwas Exemplarisches erzählen will, und das Zeichen, dass die Liebe auch eine Krankheit ist bzw. dass sie zur Krankheit werden kann. Gegen Ende wird’s denn auch kriminalistisch und spannend und auch die Bananen spielen noch eine Rolle.

Zum Personal gehören einige Bekannte, “ihr Lehrmädchen Bianca, die nur einen Spiegel brauchte, um vollbeschäftigt zu sein”, die sich aber später als „volle“ vif und hilfreich erweist, und “die Mama”. Glattauer plant den Plot geschickt, er erzählt leicht ironisch distanziert, auch wenn das Thema zwischenzeitlich sehr ernst wird. Die Geschichte spielt in Wien.

2012       206 Seiten

2-3

 

Leseprobe beim Zsolnay-Verlag


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