Nachrichten vom Höllenhund


Eggers – Büscher
6. Mai 2012, 12:37
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Dave Eggers: Zeitoun

eggerszeitounDave Eggers stellt seinem Bericht ein Zitat aus Cormack McCarthys „Die Straße“ voran und ordnet  damit seinen Bericht in die Romane ein, in denen eine Katastrophe das (Weiter-)Leben der Menschen elementar beinträchtigt.

Ein Unterschied: Die Katastrophe wird zeitlich, örtlich und in ihrer Ursache genau fixiert: Der Hurrikan „Katrina“ vom Spätsommer 2005, der in New Orleans 80% des Stadtgebiets unter Wasser setzte und zu weitreichenden sozialen Verwerfungen führte. Außerdem schildert Eggers die Katastrophe aus der Sicht einer wirklichen Familie: den Zeitouns. Es ist also kein fiktiver Roman, sondern ein – natürlich subjektiv gefärbter – Tatsachenbericht, verknüpft mit der Familiengeschichte der beiden Protagonisten: Abdulrahman und Kathy Zeitoun, er aus Syrien stammend, sie eine zum Islam konvertierte Südstaatlerin.

Damit zeigt Eggers nicht nur die Katastrophe, sondern auch die sozialen Probleme der Moslems in den USA nach 2001.

Zeitoun ist ein Guter. Fleißig, verständnisvoller Mann und Vater, aufgewachsen in einem intakt  gebliebenen Familienverband. In der Katastrophe denkt er nur an die Rettung seiner Mitmenschen. Ja, sogar alleingelassenen Hunden bringt er aufopferungsvoll Futter. „Ein vorbildlicher Bürger und ein grundanständiger Mensch“ (Dennis Scheck, Druckfrisch) Er wird von Eggers aufgestellt, um getreten zu werden. Es nennt sich Tatsachenbericht, grenzt aber an Kitsch.

Eggers baut ihn fast rührselig auf, nur um dann den Absturz erfolgen zu lassen, die Katastrophe nach der Katastrophe. Zeitoun wird im New Orleans des Hurrikans eingesperrt und erleidet die Schikanen von „zusammengebrochener“, deshalb unkontrolliert rassistischer Justiz, Polizei, Nationalgarde,  einer „unmenschlichen Bürokratie, die alles darein setzt, ihn zu demütigen und zu brechen und seine Menschenrechte mit Füßen zu treten“ (Scheck), und der FEMA, der nationale Koordinationsstelle für Katastrophenhilfe , die nach 2001 dem „Heimatschutzministerium“ eingegliedert wurde. Zeitoun und seine Familie, die wochenlang ohne Kontakt miteinander sind, zerbrechen fast daran. Ein Guantánamo auf Zeit. Die Eloge auf die Menschenfreundlichkeit des Islam verdankt sich natürlich der gewählten Perspektive, ist aber auch als deutliche Abgrenzung von der bigotten Pseudo-Christentümelei der Südstaaten zu verstehen.

Eggers hat für seine Reportage umfassend recherchiert. Die Schilderungen zeigen, wie in den USA  die Achtung der grundlegendsten Menschenrechte außer Kontrolle geraten und stellen das auch als Versagen des Systems dar. „‚Zeitoun‘ ist ein Meilenstein journalistischer Literatur, in seiner Mischung aus minutiöser Großrecherche und erzählerischer Wucht vergleichbar nur mit Werken wie Truman Capotes ‚In cold blood‘ oder Norman Mailers ‚Gnadenlos'“ (Alex Rühle, SZ).

2009          350 Seiten

Wolfgang Büscher: Hartland.
Zu Fuß durch Amerika

buescherhartlandBüscher ergeht sich die Stereotype über die USA selbst, er fädelt sie auf seinen Weg, der Route 77 von Nord nach Süd, von Kanada nach Mexiko, von Hartland nach Matamoros. Gehen ist für einen Amerikaner unvorstellbar, es gibt weder zwischen noch in den Städten Wege für Fußgänger. Die Bürger sind verunsichert, ein Alleingeher stellt eine Gefahr dar, fast so bedrohlich wie der Berglöwe, das Sinntier für eingebildete Angriffe auf Leben und Lebensart. Aber viele sind tolerant und aufgeschlossen, Bücher erhält laufend Angebote: „Need a ride?“, er wird oft aufgepickt, auf- und eingeladen. Und so lernt er die Leute kennen, jeder anders, jeder Amerikaner, jeder Patriot, „jedes zweite Wort fuck“.

Die Straße war ein schwarzes Band, ausgerollt auf die Grenze zu. Von Norden kam ich, von Kanada, von Saskatchewan her, nach Süden wollte ich, nach Dakota und weiter, immer weiter bis Texas und über den Rio Grande. Starr stand die Sonne, als hielte jemand die Erdachse an, starr lag das Land unterm Eis. Nur Skelette des letzten Sommers stachen daraus hervor. Autowracks und Erntegerät, wie in Krämpfen verrenkt, die Stacheldrahtgirlanden der Farmzäune, halb versunken im Schnee. Ein Adler kreiste. Güterzüge sah ich im Winterschlaf liegen, ab und zu eine Ölpumpe – ihr heiseres Nicken und Picken dann. Die schwarzen Drähte einer Oberleitung liefen über mir wie Notenlinien, aber es fehlten die Noten, kein Vogel saß auf dem Draht – ein am Winterhimmel hängendes ungeschriebenes Lied. Ich wollte es hören.

Und doch gibt es Unterschiede und sie sind es, die Büschers Buch interessant machen. Der Norden der Yankees ist „Hartland“, schon der Grenzübertritt von Kanada erweist sich als demütigende Prozedur. Die endlosen Gebiete der Great Plains, windig, ohne Menschen. Die sind nur in kaum markierten Cafés und Diners zu finden, eingefangen von ihrer Tradition, den Mythen des Go West, den Liedern als vertrauter  Hintergrund.

Nicht nur heißer wird es, je weiter es nach Süden geht, auch die Gewohnheiten der Leute, jetzt vor allem Latinos, ändern sich. Das Land und die Städte werden belebt. IM Norden haben sie Büscher vor den Südstaatlern gewarnt, jetzt warnen sie vor Mexiko, aber Büscher trifft überall auf Offenheit. Auf Neugier nur wenig, die erschöpft sich meist in der Frage „Where ya from?“. Als Antwort reicht Germany oder Berlin, die Leute wollen selber erzählen und sie nehmen dabei lange Umwege, auf denen sie Büscher von ihrer Geschichte und ihrem Leben berichten. Die amerikanische Politik der Gegenwart ist seltener Thema, und wenn, wird die Antwort in den Kontext der Freiheitsmythen gebettet.

In den Plains hörte ich drei Sätze immer wieder: Ich will keine Regierung, die mir sagt, wie ich leben, wirtschaften, vorsorgen soll. Ich will ein Leben auf eigene Faust, wie es meine Vorväter suchten, als sie in dieses Land kamen. Und ich will nicht für die sorgen, die nicht für sich selbst sorgen.
Den freimütigsten Blick in die amerikanische Seele gewährte mir aber Carol beim Frühstück am anderen Morgen. […] Ich stellte, als ich satt war, meine Frage. «Carol, wie halten Sie es mit der Regierung?» Und Carol, die meinen guten Appetit mit Genugtuung betrachtet hatte, redete nicht lange um den heißen Brei herum: «Es gibt einen Witz jetzt. Erschieß deinen Kongreßabgeordneten, dann hast du’s gut. Du gehst ins Gefängnis, hast alles frei, Wohnen, Arzt, Kleidung, und kannst noch mal zur Uni gehen, diesmal umsonst. Im Ernst – wir arbeiten, verstehen Sie? Wir arbeiten, bis wir alt sind. So ist es immer gewesen, und so soll es bleiben.»
«Schön. Aber was ist mit denen, die nicht mehr können?»
Wir saßen uns gegenüber. Sie sah mir in die Augen. «Wissen Sie was? Wir spielen. Wir spielen und hoffen, es geht gut.» Sie sagte es, als gebe sie ein Geheimnis preis, und so war es. Hörte ich ihr mit offenem Mund zu? Möglich. Die Spielernatur als süßes Geheimnis der puritanischen Ethik, das hatte mir noch niemand verra­ten, schon gar nicht so freimütig wie Carol in ihrer Kü­che. Natürlich hatte sie es amerikanisch gesagt: «You know what? We gamble. We gamble and we just hope.»

Büscher wird oft an seine Lektüren erinnert, an die Mythen der Eroberung des Kontinents, an die Prärie und das Gold, das sie suchten und nicht gefunden haben, an Black Elk. Der Stil passt sich der Langsamkeit der Bewegung an, er scheut auch nicht poetische Anwandlungen. Büscher ist immer präsent, stellt sich aber nie als der Wichtigste dar.

2011       300 Seiten


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