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Lars Brandt: Alles Zirkus
Ein weiterer Roman aus der Welt der Wirtschaft. Denkt man, denn man wird vom Klappentext dazu gedrängt: „Walter bemerkt auch als Einziger, wie die Wirtschaftskrise die Welt in einen Zirkus verwandelt hat.“
Werbewalter und Filmtrixi, beides prekär-prosperierende Branchen am Rande von Kunst. Ihre Ideale – hatten sie denn welche ? – krachen gegen die Realität, beide versuchen sie in der Schwebe zu halten, den Abgang zu vermeiden. Diese Zwischenexistenz, von der man meint, sie sei die eigentliche, schrammt auch das häusliche Glück. Die Partnerschaft wird erdrückt im beruflichen Kampf ums Überleben, dem struggle for lifestyle, forcierte Selbstdemolierung ohne Kreativpause.
Der Morgen hat ihm vorgaukeln wollen, es könne vielleicht nicht alles ganz so missraten sein, wie es natürlich doch der Fall ist. Trixi findet ihn zum Lachen. Nachdem sich der Dunst aufgelöst hat, der alle Konturen abmildert und Wesentliches von dem Debakel namens Realität verschluckt, sieht er wieder ganz ungeschönt des Lebens Dreckbrühe um sich herumschwappen. Den Leuten scheint es darin zu gefallen, sie lassen sich gerne mitziehen, und bleibt einer zwischendurch einmal stehen, weil ihm in der Kloake ein Bekannter entgegengeschwommen kommt, dann drehen beide sich wie Hölzchen am Bachrand kurz umeinander im Kreis, bevor die Strömung sie trennt undweiterreißt. Weiter wohin? Ins Büro gehen und zusehen, wie die Welt einstürzt? Warum nicht einfach stehenbleiben und vor sich hin blicken. Dorthin am besten, wo nichts ist. Wie ein Vagant, der keinen will und den keiner braucht, wie ein lächerlicher dummer August. Er gehört doch überhaupt nicht dazu, nicht ins Publikum, das eine Karte kauft und dann brav durchs Spiegelkabinett trottet, weil es einfach nicht begreifen will, dass alles eine einzige Täuschung ist. Er steht doch auf der ganz anderen Seite. Er baut die Spiegel ja eigenhändig auf, aus denen die gesammelte Lachhaftigkeit einen angrinst: der ganze Quatsch wie Vernunft, Kraft, Tempo, Leben.
Jetzt wartet man auf die Krise. „Ein blindwütiger Krieg um Aufmerksamkeit ist entbrannt, Kampf bis aufs Blut, jeder gegen jeden. Aufmerksamkeit schenken, hat es einmal geheißen. Niemand bekommt mehr irgendetwas geschenkt.”
Das ist Walter und er redet und denkt, als hätte er vom Leben und von den Dingen außenrum nichts mitgekriegt. Seine Rede ist Klischee wie seine Gedanken: »Dieses Leben ist eine einzige Zumutung, ohne Freunde, immer nur arbeiten, Tanz ums Goldene Kalb, das längst zum Gerippe aus Bimsstein abgemagert ist, du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr mir das alles hier zum Hals heraushängt«, flüstert er nach einiger Zeit unvermittelt, und da sie nur schweigt, setzt er nach: »Druck und Hetzjagd nach Erfolg, bis weit über die Grenze des Erträglichen.” Trixi durchschaut das durchaus: “Tatsächlich nimmt Trixi nur einen Teil von dem auf, was er in halbdeutliche Sätze gepackt von sich gibt. Das alles kennt sie nämlich schon. Bitteres Gerede, nichts als verbale Galle – eigene Kraftvergeudung und Behinderung für sie.“ Der Roman könnte genausogut vor 20, 30 Jahren spielen, auch wenn Walters Agentur an einer Kampagne für eine Bürgerrechtsbewegung arbeitet. Lauter Versatzstücke, die keinen Anschluss finden und im Beliebigen enden.
Da der Plot soweit nichts hergibt, bestückt ihn Brandt mit allerlei Gimmicks. Er schenkt Walter Träume als Clown Dr. Mohnerlieser (originell!), lässt ihn von einem ominösen Institut für diskrete Mathematik anheuern, als Clown das Vier-Farben-Problem von Landkarten unter die Leute zu bringen, schickt ihm einen René Schach (!), einen ehemaligen Fremdenlegionär, ins Haus, der ihn einmal in Kourou kennengelernt haben will. Ich verstehe die Zusammenhänge nicht. Was natürlich auch an mir liegen kann. Brandt schreibt aber auch einen etwas sperrigen Stil. Trixi, und das verspricht schon Interessantes, will sich in ihrem Film mit dem Maler Richard Lindner beschäftigen. Aber auch das bleibt dem Roman aufgesetzt. „’Die schwarze Silhouette einer Frau in Stöckelschuhen vor einem roten Hintergrund, die sich gerade auszieht – im Visier eines Voyeurs im fliederfarbenen Mantel, der in ein Tigerfell übergeht. Abstrakte Muster, die sich als Geschlechtsteile erweisen und umgekehrt. Wer sonst hat das je gemalt?’ Trixi spürt, dass sie ins Leere kämpft.” Der Leser spürt, dass er (oder sie) ins Leere liest. “Das durchgängige Präsens steigert die ironische Nüchternheit eines Blicks, der demjenigen Lindners in vielem verwandt ist.“ (Gregor Dotzauer, Tagesspiegel)
Thema verschenkt – oder ihm nicht gewachsen. Weder im Aufbau noch in der Darstellung. Von Verständnis oder Erhellung nicht zu reden. Klaus Harpprecht (ZEIT) schätzt den Sohn Willy Brandts für “seine einzigartige Wunderlichkeit” und lässt sich daher gern von diesem “ebenso rätselhaften wie ‘ambitionierten’ Roman” einnehmen. “Aber soll tatsächlich alles Zirkus sein? Diagnostisch ist das so beliebig wie im totalisierenden Anspruch verwegen. An der Last dieser erschöpften Metapher trägt auch der groteske Charme dieses Romans allzu schwer.“ „Der Börsenaufruhr taugt nur zur atmosphärischen Hintergrundmusik, und der Zeitindex kann kaum verbergen, dass Brandt eigentlich das ewige Bilanzdrama eines fortgeschrittenen Lebensalters erzählt.“ (Gregor Dotzauer)
2012 220 Seiten
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