Nachrichten vom Höllenhund


Angst
21. Mai 2012, 17:56
Filed under: Theater

Stefan Zweig: Angst

1910 etwa hat Stefan Zweig seine Novelle “Angst” geschrieben und das Datum ist wichtig, weil der Text heute nicht mehr funktioniert.

Irene Wagner hat sich zu einem “Ehebruch” treiben lassen, sie ist “in Untreue geraten” und wurde dabei erkannt und wird seitdem von einer Frau erpresst. Ihr Mann darf auf keinen Fall von diesem Tabubruch erfahren und so lässt sich Irene äußerlich auf immer höhere Zahlungen ein, sieht aber in ihrer ansteigenden Angst keinen Ausweg und besorgt sich Gift für einen Suizid. Ein Geständnis kommt für sie nicht in Frage, weil sie sich vor ihrem Mann schämt. Die Scham ist das dominierende Gefühl. Sie deutet es ihrem Mann in neutraler Form an, doch der reagiert nicht darauf. Was Irene noch mehr verunsichert, ist der kalte Blick, den sie seither an ihrem Mann wahrnimmt.

Da traf sie sein Blick, in dem eine Gier war, nach dem Geständnis, nach irgend etwas von ihrem Wesen, eine glühende Ungeduld, und plötzlich brach alles in ihr zusammen. Müde fiel ihre Hand, und sie wandte sich ab. Es war vergeb­lich, fühlte sie, nie würde sie es aussprechen können, das eine befreiende Wort, das innen brannte und ihre Ruhe verzehrte. Wie naher Donner rollte die Warnung, aber sie wußte, daß sie nicht entfliehen konnte. Und im geheimsten Wunsch ersehnte sie schon, was sie bislang ge­fürchtet, den erlösenden Blitz: die Entdec­kung.

Die Geschichte ist zeitgebunden. Die Rollenverhältnisse in der Famile des Anwalts sind fix geregelt. Die Frau darf sich um Kinder und Haushalt kümmern – das Hausmädchen erledigt die hier anfallenden Arbeiten -, auch den Status des Mannes beglänzen, aber sie ist ein Besitzstück des Mannes. Sie hat zu ihm aufzuschauen, darf ihn aber nicht anschauen. Die Semiotik der Blicke ist zentrales Motiv der Novelle. Natürlich verlöre die Frau mit einer Scheidung nicht nur ihre Reputation, sondern auch ihre soziale Versorgung. Auch das weiß Irene, aber sie hat nicht die Mittel, es zu thematisieren oder gar zu analysieren. Irene ist Anhängsel, unselbständig, ein Hascherl; etwas anderes könnte sich auch Anwalt Fritz Wagner nicht vorstellen. Der Analytiker ist Stefan Zweig, er zeigt uns die Gefühle, die Irene beuteln, und er gibt die Koordinaten der “bürgerlichen “ Ordnung vor.

Aber nun sie einmal in die Untreue geraten war, kam sie wieder und wieder zu ihm, ohne beglückt, ohne enttäuscht zu sein, aus einem gewissen Gefühl der Verpflichtung und einer Trägheit der Gewöhnung. Sie war eine jener Frauen, die selbst unter den leichtsinnigen und sogar den Kokotten nicht selten sind, deren innere Bür­gerlichkeit so stark ist, daß sie selbst in den Ehebruch eine Ordnung, in die Ausschweifung eine Art Häuslichkeit mitbringen und selbst das seltenste Gefühl mit geduldiger Maske in eine Alltäglichkeit zu verspinnen suchen. Nach we­nigen Wochen schon paßte sie diesen jungen Menschen, ihren Geliebten, irgendwo säuber­lich in ihr Leben ein, bestimmte ihm, so wie ih­ren Schwiegereltern, einen Tag in der Woche, aber sie gab mit dieser neuen Beziehung nichts von ihrer alten Ordnung auf, sondern legte nur gewissermaßen ihrem Leben etwas hinzu. Die­ser Geliebte änderte bald gar nichts mehr am behaglichen Mechanismus ihrer Existenz, er wurde irgendein Zuwachs von temperiertem Glück, wie ein drittes Kind oder ein Automobil, und das Abenteuer schien ihr bald so banal wie der erlaubte Genuß.

Irene wird “geheilt”. Zweig inszeniert das als verkitscht-pathetisches Happy-End. Die Versuchsanordnung stimmt auch in dieser Schlussvolte nur, weil und indem Irene sich ihrem Mann = Therapeuten = dem Mann endgültig unterwirft, sie kann keine Eigenständigkeit mehr beanspruchen, sie ist domestiziert. Zweig wertet nicht, aber seine Darstellung ist sprachlich penetrant entlarvend. Der Schluss wirft ein säuselndes Licht auf die ganze Novelle, weil sie deren Absicht so unverschämt offenlegt.

Als sie am nächsten Morgen die Augen auf­schlug, war es schon hell im Zimmer. Und Hel­ligkeit spürte sie in sich, entwölkt und wie durch Gewitter gereinigt das eigene Blut. Sie versuchte sich zu besinnen, was ihr geschehen war, aber alles schien ihr noch Traum. Unwirk­lich, leicht und befreit, so wie man im Schlaf durch die Räume schwebt, dünkte ihr dies häm­mernde Empfinden, und um der Wahrheit des wachen Erlebens gewiß zu werden, tastete sie die eigenen Hände prüfend ab. Plötzlich schrak sie zusammen: an ihrem Fin­ger funkelte der Ring. Mit einem Male war sie ganz wach. Die wirren Worte, aus halber Ohn­macht gehört und doch nicht, ein ahnungsvoll dumpfes Gefühl von vordem, das nur nie ge­wagt hatte, Gedanke und Verdacht zu werden, beides verflocht sich jetzt plötzlich zu klarem Zusammenhang. Alles verstand sie mit einem Male, die Fragen ihres Mannes, das Erstaunen ihres Liebhabers, alle Maschen rollten sich auf, und sie sah das grauenvolle Netz, in dem sie ver­strickt gewesen war. Erbitterung überfiel sie und Scham, wieder begannen die Nerven zu zit­tern, und fast bereute sie, erwacht zu sein aus diesem traumlosen, angstlosen Schlaf. Da klang Lachen von nebenan. Die Kinder wa­ren aufgestanden und lärmten wie erwachende Vögel in den jungen Tag. Deutlich erkannte sie die Stimme des Knaben und spürte erstaunt zum erstenmal, wie sehr sie der seines Vaters glich. Leise flog ein Lächeln auf ihre Lippen und rastete dort still. Mit geschlossenen Augen lag sie, um all dies tiefer zu genießen, was ihr Leben war und nun auch ihr Glück. Innen tat noch leise etwas weh, aber es war ein verheißen­der Schmerz, glühend und doch lind, so wie Wunden brennen, ehe sie für immer vernarben wollen.

  

Jossi Wieler: Angst
nach der Novelle von Stefan Zweig

Prosa, auf die Bühne gebracht, gewinnt und verliert. Es fehlen zunächst einmal die vielsagenden „Blicke“. Irene hätte zu ihrem Mann aufzuschauen, sie dürfte ihn aber nicht anschauen. Aus der Distanz sieht man das nicht – und man kann es sich auch gar nicht vorstellen, denn hier ist Irene (Elsie de Brauw) größer als der Mann (André Jung). Irene wird eine andere, nicht nur größere, sondern auch selbstbewusstere, ja moderne Frau. Auch die Erpresserin verliert durch ihr Aussehen viel von ihrer Bedrohlichkeit: Im Text wird betont, dass sie eine ungepflegt erscheinende Frau mit massigem Körper und schlechtem Atem ist. Katja Bürkle ist zu knochig, die Angst wird nicht durch Aversion verstärkt. Sie hat sich sicher auch die Zähne geputzt, Sneakers machen noch keine Unterschicht.

Der wesentliche Verlust bei der Inszenierung aber ist der Erzähler, der kommentierende Analytiker. Irene – und zuweilen das Dienstmädchen – müssen den Text selbst sprechen. Auch dadurch wird Irene eine Rolle verpasst, die ihr nicht zukommt. Mir kommen ihre Kommentare vor wie die Stimmen aus dem Off in den alten Disney-Tierfilmen. Die Psychose wird vermenschlicht. Ich traue Elsie de Brauw die Verzweiflung, den Suizid nicht zu. Sie wird durch die Selbstanalyse zu stark, erklärt sich von außen. Sie muss – und kann – nicht mehr „geheilt“ werden. Sie fügt sich in den Trott, wird aber auch hier symbolisch von ihren Kindern getreten. Elsie de Brauw spielt souverän, für diese Rolle hätt’s das Hascherl gebraucht. (Elsie de Brauw wird 2012 52.) Irene ist einer von Zweigs “eigentlich oberflächlichen Characteren„, die sich durch ihr leidenschaftliches Temperament selbst in „seltsamste Umstände“ bringen, in Situationen, die sie nicht meistern können, die ihnen plötzlich ausweglos erscheinen. (Klappentext „Der Amokläufer“ – Das Titelbild zeigt eine Irene.)

Katja Bürkle muss sich immer wieder umziehen, sie ist nicht nur hagere Erpresserin, sondern auch angedicktes Kindermädchen mit eingezogenem Kopf. André Jung hat die kleine Rolle. Er braucht keinen Selbstkommentar. Er tritt zwar rechtwinklig auf und ab, ist aber nicht herrisch genug. Fritz Wagner setzt sich nicht zu seinen Kindern auf den Boden, um über sie zu richten.

Die Bühne tilgt die Bürgerlichkeit der Jahrhundertwende. Es gibt eine weiße Wand mit Gucklöchern, sie trennt aber nicht Außen- von Innenwelt, sie ist steril. Klinisch. Zeitlos. Zu den „ekstatischen“ Träumen von Irene weht leise Walzermusik, zeitlose Wollust hört sich anders an, Elsie de Brauw bewegt sich dazu lasziv. Der Trieb bleibt sehr kontrolliert. Freud light mit einer unerwarteten Siegerin: Irene ist die bessere Psychologin: Scham schlägt Angst – sagt sie.

Münchner Kammerspiele      –     Aufführung am 18. Mai 2012


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