Rob Alef: Kleine Biester
In Berlin verschwinden Kinder von Spielplätzen. Genauer: Sie stürzen in riesige Krater, die sich urplötzlich dort auftun. Hysterie macht sich breit. Was die Kinder verbindet, ist ihre Schulsituation: Der Wechsel aufs Gymnasium stand kurz bevor. Kommissar Pachulke ermittelt im Kreis der Eltern … Ein Krimi aus dem eisigen Milieu der Super-Mamis, wo das Leistungsprinzip noch Geltung besitzt und wo Schulmassaker und PISA-Schock eng beieinander liegen. (Klappentext)
»Sie meinen, jemand hat versucht, Anna und Cem zu beseitigen, um seinem Kind einen Platz in einer bestimmten Schule zu verschaffen, zum Beispiel im Rosenhof-Gymnasium? Das ist doch völlig absurd!« Was bei Daniela Morgenitz ungebremster Enthusiasmus gewesen war, tauchte hier als abgrundtiefer Fatalismus wieder auf. Für einige Leute schien sich das ganze Leben um die Schule zu drehen.
»Was?« Fred schlug die Hände vors Gesicht und wich einen Schritt zurück.
»Du hast selbst mehr als einmal gesagt, dass du alles tun würdest, um aufs Rosenhof zu kommen. Weil du deine Mutter glücklich machen willst.«
»Aber ich habe meine Noten gemeint, die freiwillige Mitarbeit in den Arbeitsgemeinschaften, so was.«
»Alles hat ja wohl eine ganz klare Bedeutung. Alles. Mit Anna warst du auf dem Trampolin, bevor sie verschwunden ist, David hat mit dir geredet, als du am Zieleinlauf Aufsicht gemacht hast. Und an Cem hast du dich pausenlos rangeschmissen.«
»Und was ist mit Robert? Habe ich mich an den vielleicht auch rangeschmissen? Der war ein Kotzbrocken.«
»Langsam wird der Kreis von denen, die profitieren, überschaubar. Der Mörder ist unter denen, die übrig bleiben.« Sophie trat wieder einen Schritt auf Fred zu. Sie ballte die Fäuste.
»Ja, du zum Beispiel«, stieß Fred hervor.
»Ja, ich. Und ich werde übrig bleiben. Mich kriegst du nicht.« Sophie rannte davon.
Die Ausgangsidee ist grundgrotesk, gründet aber, wie das bei Grotesken so ist, auf Zeichen der Zeit. Die Geschichte spielt in Berlin, doch auch hier scheint das Auswahlverfahren für den Übertritt ans Gymnasium skurrile Blüten zu treiben. Das Rosenhof-Gymnasium wählt nicht nur seine Schüler selber aus und bestimmt auch die Kriterien, es leistet sich auch ein Profil, muss es sich leisten, damit die “Drittmittel” fließen. „Rosenhof – der Wille zum Wissen“.
Wenn sich die Schüler wie hier in der Insektenforschung hervortun, kann ein neuer Biologiesaal ausgestattet werden. Im Auswahlgremium sitzen der Schulleiter, die Biologielehrerin, daneben die Elternbeiratsvorsitzende und der Hausmeister, aber auch Pfarrer Suttner. Jede(r) hat seine eigenen Vorstellungen: der Pfarrer etwa würde am liebsten nur Jungs aufnehmen. Alle sind sie Zielscheiben für Alefs Sarkasmus, der natürlich klischeehaft übers Ziel hinausschießen darf. Wobei nicht nur geschossen wird. Auch die Schüler sind Eigenbrötler, kleine Wissenschaftler wie Cem Pollinger, altklug wie Fred mit ihren rosa Haaren. Der Polizeimann “The Dorfner” verwüstet bei einem Vortrag über Sicherheit das ganze Klassenzimmer, Kollegin Zabriskie eignet nicht nur ein ungewöhnlicher Name.
»Das Bemerkenswerte an Ihrem Blutbild ist«, sagte Frau Dr. Adam, eine kleine semmelblonde Matrone, die wie auf Schie-nen in ihrem überfüllten Behandlungszimmer umherhuschte und schließlich mit dem Finger auf eine Tabelle von unverständlichen Werten klopfte, »ist der toxisch neutrale Alkoholgehalt. Das gibt es immer wieder bei Leuten, die sich regelmäßig nicht sinnlos, vielmehr sinnvoll betrinken.«
Zabriskie nickte, das war ihre Freizeitgestaltung in einem Satz, vom Sex mal abgesehen. »Genau, Frau Doktor, so fühl ich mich auch die ganze Zeit, toxisch neutral alkoholisiert.«
»Ich bin nicht hier, um Ihnen Komplimente über den Zustand ihrer Leber zu machen, insofern werde ich’s auch lassen, aber das, was Sie da die meiste Zeit zu sich nehmen …« Frau Doktor tippte auf einen anderen Wert in der Liste. »Wie ich sehe, haben Sie ein Faible für Single Malts von den Islays. Das hat die Säure neutralisiert.«
»Tja.« Zabriskie war froh über diese Ärztin, die ihre Sprache sprach. »Whisky heißt ja auch nicht umsonst Wasser des Lebens.«
»Die andere Patientin dagegen …« Doktor Adam schüttelte den Kopf, und ihre Pagenkopffrisur wippte. »Es gibt so viele junge Frauen heute, die ihr körpereigenes Abwehrsystem mit diesem Saftzeugs gegen die Wand fahren. Wie soll der Körper denn wissen, was gefährlich ist, wenn er nie zwölf Kurze loswerden musste?«
»Die Seele bleibt nur dann unsterblich, wenn man sie sich ab und zu mal aus dem Leib kotzt«, ergänzte Zabriskie.
Maßgeblich an den Untaten beteiligt ist ein gewisser Myrmeleo, ein extrem psammophiles Wesen, hier von Alef auf XXL aufgeblasen und zu einem fulminanten Showdown in die Gänge des Berliner Untergrunds freigesetzt. Das setzt dem Zynismus die Krone auf, verdrängt aber die Schlacht ums Gymnasium in den Hintergrund. Alef spinnt viele Fäden, sammelt irgendwann auch die verlorenen wieder ein und verflicht sie mit flotter Schreibe. Unterhaltsam, ein klein bisschen lehrreich, übertrieben.
Schöne Ideen: Der Ortsname „Dönerow„, ein „Harald-Juhnke-Gymnasium„, Suttners Pfarrei „St. Hypokrit„.
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