Nachrichten vom Höllenhund


Klein
7. Juni 2012, 12:23
Filed under: - Belletristik | Schlagwörter:

Georg Klein: Roman unserer Kindheit

… die Karre, die so wuchtig dasteht, als würde sie sein Gebrachtwerden bereits erwarten. – Das tut beim Lesen weh. Und das hört nicht auf. Und ich seh auch keinen Grund, weshalb Klein so krampfig konstruiert. –

Vor ca. 2 Jahren war ich bei einer Lesung von Georg Klein. Sie animierte mich nicht, den „Roman unserer Kindheit“ zu kaufen, obwohl Klein, 1953 geboren, seine Kindheit in ähnlicher Zeit wie ich verbrachte. Ich kenne auch keine(n), der/die das Buch – auf Anhieb – und ohne leichten Druck ganz gelesen hat. – Woran liegt das?

Wohl habe ich den Titel des Romans missverstanden. Das „unser“ meint nicht mich, sondern bloß die Gruppe von Kindern aus den Wohnblocks in der Augsburger Nachkriegssiedlung. Speziell die Erzählerin besetzt das „unser“ für ihre Familie mit Mutter und Geschwistern. Klein lässt ein ungeborenes Kind erzählen. Könnte das interessant sein? Wohl nicht, denn das Konzept kann nicht aufgehen. Ungeborene sind noch nicht klug oder dumm, sie könnten neutral erzählen, denn sie haben noch nichts oder wenig erlebt. Kleins Ungeborene aber ist befangen, sie wird die Schwester der Kinder, und sie taugt deshalb nicht zur allwissenden, allahnenden Erzählerin. Man spürt, dass sich Klein hinter dem „unschuldigen“ Kind versteckt. Klein könnte man widersprechen, man könnte sich wehren. Kleins Ungeborene ist nicht greifbar. Die Ungeborene spricht wie ein Greis. Klein füllt sie mit aufgeblasenen Wörtern, die weder zum Kind noch zu den Kindern noch zur Handlung passen. Ob man zu Beginn der 60er Jahre so sprach, weiß ich nicht (mehr), vielleicht liegt das auch den Schichtverhältnissen. Beispiel: Herr Geistmann.

Der Ältere Bruder, der allmählich nicht mehr umhinkann, das eine oder andere Spiel zwischen den Erwachsenen auch nach deren Logik zu kapieren, beäugt mit Misstrauen, fast schon mit Unmut, wie Herr Geistmann die Neuzugänge der Leihbücherei, die er parallel zum Rauchwaren- und Zeitschriftenverkauf betreibt, über die schwarzgelackte Theke auf den flachen Bauch und die ein wenig vorstehenden Be­ckenknochen der Mutter zuschiebt. Unser großer Bruder erkennt das merkwürdige Säuseln, in das Herr Geistmann schon während dieses Schiebe- und Gleitvorgangs verfällt, er sieht mit überscharfem Erstgeborenenblick die Lider der Mutter flattern, wenn sie mit beiden Händen zugleich nach dem Roman fasst und Herr Geistmann genau im Moment dieses noch zögerlichen Zugriffs beteuert, er habe das vor­liegende Werk extra für sie reserviert, weil er nach seiner, natürlich unmaßgeblichen Vorlektüre zu vermuten wage, dass ihr das Geschehen zwischen den Gestalten, Genaueres sei nicht verraten, zusagen müsste. Der Ältere Bruder ahnt inzwischen, dem Vater gefiele es überhaupt nicht zu sehen, wie die Schmöker, mit denen seine Frau die Nacht zum Tag macht, hier angepriesen werden. Horst Geistmann kennt den Exzess bedingungslosen Hingegebenseins.

Die Diskrepanz zwischen Banalität der Handlung und Stilniveau der Darstellung könnte, das ist Ironie, erheiternd, damit auch erhellend sein. Klein hat keinen Humor, er ist allenfalls Witzerzähler. Bei Klein wirkt alles ernstgemeint, da stellt sich nicht einmal Metalachen ein. Aber Ungeborene lachen ja auch nicht. Sprechen sie aber so? – Das ist kein Stil, sondern Gewürge. Verkrampfung. Unvermögen. Ich fürchtete, dass Klein das so beabsichtigt und so blieb der „Exzess bedingungslosen Hingegebenseins“– auf Seite 86 – mein letzter Satz dieses Romans. Ein weiteres Ärgernis: Klein weiß zu jeder Episodenepisode noch ein Anhängsel, eine Beschreibung von Personen oder Dingen. Das hält auf, könnte beim Leser aber ein Zeitmosaik erzeugen, das in seinen verfugten Steinchen die Zeit „unserer Kindheit“ spiegelt. Aber wer will schon einem Mosaikkünstler beim Verlegen zusehen. Ich sehe auch nicht ein, weshalb ich Kleins (oder seiner Erzählerin) verklopfte Stilstudien lesen sollte, wenn ich weder von den Dingen noch von den Personen, die sie benutzen, einen Eindruck über „unsere“ oder deren Kindheit erhalte. Beispiel: Der Kupferbottich, der hadert und lauert.

Unser großer Bruder rutscht auf der langen Holzbank zum Waschkessel hinüber, schiebt dessen riesigen, schwarzlackierten Blechdeckel ein Stück beiseite, um hineinzuschnuppern. Das Kupfer riecht. Und wenn die Luft so feucht wie heute ist, kann er das Edelmetall sogar seltsam laugig ganz hinten auf der Zunge schmecken. Die Kesselhöhlung ist tief genug, um seinem schneller gewordenen Schnaufen ein Echo anzuhängen. Das Schimmern, die orange Reinheit, die nackte Neuwertigkeit des Potts flößen ihm stärker noch als sonst ein Unbehagen ein, verraten ihm die Verfehltheit, das dingliche Verbittern des ganzen Raums, ohne dass er sagen könnte, wer sich hier worin geirrt oder womit verplant hat. Wie schon oft spürt er den heftigen Wunsch, in den Bottich hineinzuklettern. Aber er weiß, auch wenn sein Fuß wieder ganz heil sein wird, muss er diesem Verlangen widerstehen. Es wäre unklug, vielleicht sogar gefährlich, sich allzu innig mit dem rundum lautlos grollenden Kessel einzulassen. Der Ältere Bruder ahnt, das Kupfer hadert mit den Müttern, die es nun mit den elektrischen Maschinen halten. Wahrscheinlich lauert es bloß darauf, dass ihm eines der Kinder Gelegenheit zur Rache gibt.

Beispiel: Die Kondensmilchdose mit dem gelben Kraterwulst.

Die Mutter lacht kein bisschen. Unser großer Bruder be­wundert sie dafür, denn die Zwillinge haben alles derart per­fekt erzählt, dass sogar er, der es eigentlich nicht mag, ein und denselben Witz schon so bald wiederhören zu müssen, ein Losprusten nicht unterdrücken konnte. Jetzt gießt sie heißes Wasser in ihr Kaffeeglas. Der nackte Löffel schwebt noch ein Weilchen über dem dunkelbraunen Rund, rührt dann ganz gründlich um. Erst als sich alles, die kantigen Instantkörn­chen samt dem feinen Zucker, spurlos aufgelöst hat, greift die Mutter nach der Kondensmilchdose. Zwischen Daumen­und Zeigefingernagel präsentiert sie dabei deren Bild: Die Bärenmutter hält das Bärlein auf dem Schoß. Acht Tatzen tun so, als ob sie keine Krallen hätten. Gleich scheinheilig schweben die beiden Teddys, die pummeligen Glieder abge­spreizt, aus der Wölbung der Banderole auf den Betrachter zu. Dann neigt sich der Zylinder zum Glas. Sein blanker De­ckel ist zweimal durchlocht, die untere Öffnung hat einen gelben Kraterwulst. In kurzem, strammem Bogen springt die Milch in den Kaffee.

Für mich ein kaum lesbares, weil im Stil total verunglücktes Buch, das 2010 den Preis der Leipziger Buchmesse erhielt. Sollte es irgendjemand zu Ende gelesen haben? P.S. In einer Amazon-Kundenrezension schreibt Ferdinand Hauber: “In der zweiten Romanhälfte überstürzen sich Fiktion, Handlungsstränge und Erzählstruktur in übertriebener Weise und das ganze scheint dem Autor aus der Hand zu gleiten. Der mühsam zu Ende gebrachte Schluss, in dem die ganze Handlung als Fiktion der jugendlichen Hauptperson erklärt wird, erscheint unlogisch und gewollt.” Da hab’ ich ja auf Seite 86 noch mal Glück gehabt. 2010          445 Seiten

Buchtrailer

 Georg Klein liest aus dem “Roman unserer Kindheit”

 Leseprobe bei Drei Erste Seiten. Der hörbare Klick ins Buch

5-

 

Josef Schindler weist mich freundlich auf eine Rezension Ulrich Greiners zu Georg Kleins Roman „Die Sonne scheint uns“ hin. (Text und Zeit, 2004) Greiner widmet sich Kleins Kunst im Allgemeinen.


1 Kommentar so far
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Ei! Ei! Ei! Was für ein Schlachtfest! Da ist man versucht, auch seine Messerchen zu wetzen. Ich hab das Buch vor zwei Jahren auch nach den ersten 50 Seiten abgebrochen, aus ähnlichen Gründen. In den Pfingstferien habe ich es nochmals angefangen und mit wachsendem Interesse bis auf Seite 445 gelesen. Und ich habe mich fast meiner damaligen Ignoranz und Oberflächlichkeit geschämt. Also, Leute, lasst Euch nicht irremachen von jemand, der behauptet, schon auf Seite 86 den Erzähler/ die Erzählerin durchschaut zu haben und der dann mit einem offensichtlich arg platten Realismusbegriff hantiert. Ich hab‘ jedenfalls dem „Mosaikkünstler“ sehr gern beim Verlegen zugesehen. . „Künstler“! Da ist dem ungnädigen Rezensenten doch noch der richtige Begriff rausgerutscht. Was „verklopfte Stilstudien“ sind, weiß ich nicht. Soll es heißen „verkopfte“? Geschenkt! Das kennt man von Amazon-Kundenrezensionen zuhauf.

Kommentar von Josef Schindler




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